soziologie

»Ohne Zensur im Kopf«

soziologie
»Ohne Zensur im Kopf«

Lena Gorelik schreibt eine Doktorarbeit über russische Zuwanderer

Frau Gorelik, man kennt Sie als Roman-Autorin, nun wechseln Sie das Genre und schreiben eine Doktorarbeit am Münchner Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Kultur. Was ist das Thema?
gorelik: Wer sagt, dass ich aufhöre, als Schriftstellerin zu arbeiten? Mit meiner Doktorarbeit stehe ich ganz am Anfang, der genaue Titel steht noch nicht fest. Es geht um die russisch-jüdische Zuwanderung seit 1990. Es wurde dazu schon wissenschaftlich gearbeitet, aber bisher nur aus einer Außenperspektive. Noch kein Wissenschaftler ist in die russischsprachige Subkultur eingetaucht. Das will ich nun machen: Ich will versuchen, die Zuwanderung auf der Basis russischsprachiger Quellen zu beschreiben.

Welche Quellen sind das?
gorelik: Es sind Autobiografien und Artikel aus russischsprachigen jüdischen Zeitungen in Deutschland. Ich möchte erforschen, was die »Russen« auf Russisch über die Zuwanderung veröffentlicht haben, ohne diese Zensur im Kopf, die sie haben, wenn ein deutscher Wissenschaftler sie dazu befragt. Wenn ich die Ergebnisse wissenschaftlicher Umfragen lese, bin ich immer erstaunt, dass da etwas ganz anderes steht, als das, was ich höre, wenn ich mich beim Tee mit »den Russen« unterhalte.
Viele Menschen neigen nicht dazu, ihre Gedanken aufzuschreiben. Die entgehen Ihnen bei dieser Versuchsanordnung.
gorelik: Wenn ich darauf stoße, werde ich diese Menschen in qualitativen Interviews gezielt befragen. Das ist geplant, soll aber nicht der Schwerpunkt meiner Arbeit sein.

Welchen inhaltlichen Schwerpunkt setzen Sie?
gorelik: Die theoretische Basis meiner Arbeit ist die sogenannte Transnationalismusforschung. Es geht darum, herauszufinden, wie die Zuwanderer tatsächlich in Deutschland angekommen sind, wie groß die Verbindung zu ihrer alten Welt noch ist und wie sie diese Mischung hinkriegen: deutsch, russisch, jüdisch.

Und was ist Ihre These?
gorelik: Die Zuwanderer entwickeln neue Mechanismen, die sie vorher nicht hatten, weil sie sie nicht brauchten. Sie müssen lernen, mit dieser russisch-jüdisch-deutschen Mischung zu leben und diese drei Welten miteinander in Einklang zu bringen, ohne dass es für den Einzelnen zum Problem wird. Das ist Integration.

Der Historiker Julius Schoeps hält die Integration für gescheitert. Die meisten Zuwanderer seien überfordert, sich gleichzeitig in Deutschland und in den jüdischen Gemeinden zurechtzufinden.
gorelik: Die Frage ist, wie man Integration definiert. Wenn man sie sich so vorgestellt hat wie Herr Schoeps Anfang der 90er-Jahre, dass die Zuwanderer nach Deutschland kommen, sie intellektuell sind, alle ganz jüdisch werden und die Gottesdienste bald brechend voll sind, dann muss man sagen, sie ist gescheitert. Aber Integration bringt etwas Neues, und sie ist ein Prozess und noch lange nicht abgeschlossen.

Mit der Schriftstellerin sprach Tobias Kühn.

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025