Arnold Schönberg

O-Töne eines Zwölftöners

von gerhard Uebele

Mit den Worten »Dear Miss Silvers« hebt die gebrechliche Stimme Arnold Schönbergs an, einen Dankesbrief für ein ganz besonderes Geschenk zu diktieren. Seine Schülerin Clara Silvers hatte ihm 1948 zum 74. Geburtstag ein Tonbandgerät der Marke Webster Wire Recorder verehrt, das den alternden, sehbehinderten Komponisten in die Lage versetzte, nun einigermaßen komfortabel seine Briefe und andere Schriften zu diktieren. So erklärt sich der zunächst rätselhafte Titel eines neu erschienenen Hörbuchs mit Originaltonaufnahmen Arnold Schönbergs: Dear Miss Silvers. Die erste CD enthält mehrere kürzere O-Töne, entstanden bei öffentlichen wie privaten Anlässen und gesprochen sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Die zweite CD bringt zwei lange Aufnahmen aus Schönbergs späteren amerikanischen Zeit.
Gleich der Anfang der ersten CD, ein »Test« benannter, 20 Sekunden langer Tonbandschnipsel, dokumentiert wunderbar beiläufig Schönbergs Denken. Aufgefordert »irgendetwas« zu sagen, eben als Aufnahmetest, antwortet der Komponist spontan: »Irgendetwas ist immer viel schwerer als etwas«. In sieben Worten fasst er hier sein Credo zusammen: Gegen Beliebigkeit, als schlechte Freiheit des Irgendetwas ohne innere Notwendigkeit, hat er zeitlebens gekämpft. Seine Zwölftonmusik war auch der Versuch, dem Irgendwas zu entkommen und die Musik am Reich der Vernunft teilhaben zu lassen.
So spontan war Arnold Schönberg allerdings selten. Er war ein sehr sendungsbewusster Zeitgenosse, der, was die Inszenierung seiner Person und die Sache der Neuen Musik anging, möglichst wenig dem Zufall überlassen wollte. Ein Beispiel ist ein Rundfunkgespräch aus dem Jahre 1931. Schönberg war zum Zeitpunkt der Aufnahme auf dem Höhepunkt seiner gesellschaftlichen und akademischen Anerkennung. Seit 1925 hatte er die Professur Meisterklasse Komposition an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin inne. Eine angesehenere und höher dotierte Stelle war für einen Komponisten kaum denkbar. Trotzdem spricht er im Sprachgestus des Unverstandenen, der seine Sache erklären, rechtfertigen und verteidigen muss. Offenbar saßen ihm die – oft auch antisemitischen – Anfeindungen gegen seine Person und seine künstlerische Praxis zu sehr in den Knochen, als dass er gelassen-professoral über die Neue Musik plaudern konnte.
In diesen Sprachaufnahmen von 1931 (Schönberg ist damals 56 Jahre alt) kann man auch einiges vom Ton und Gestus seiner Musik wiedererkennen, vor allem dort, wo der Komponist emotional sehr involviert ist. Diese harten Akzente, das Kantige, Kompromisslose, das niemals Zaudernde kennt man auch aus seinem Werk. Diesen Zusammenhang hat Schönberg selbst auch stets betont. Er vertrat die expressionistische Überzeugung, dass ernst zu nehmende Kunst quasi dokumentarisch das Innerste des Künstlers nach Außen kehre, »dass Musik immer etwas aussagt, egal, ob man will oder nicht, so wie Ihre Handschrift etwas über Sie aussagt oder Ihr Fingerabdruck. Wie sollte dann die eigene Musik nicht etwas aussagen, was aus dem eigenen Charakter und den eigenen Gefühlen herrührt?« Das sagt im Jahr 1950 der 76-jährige Schönberg. Auf Englisch. Seit 1933, als die Nazis ihm seine Professur entzogen, lebte er im amerikanischen Exil. Die Verfolgung hatte ihn auch wieder dem Judentum nahegebracht, dem er seit seiner Jugend entfremdet gewesen war.
Eine andere Aufnahme aus der späten amerikanischen Zeit hat der Universitäts-dozent John S. Campbell 1950 gemacht. Er führte mit dem Komponisten ein Gespräch, das er seinen Studenten vorspielen wollte. Schönberg ist hier ein aufgeschlossener Zeitgenosse, der bereitwillig Antwort gibt auf die verschiedensten Fragen, von seiner Einschätzung des Jazz und der Situation sowjetischer Komponisten bis zur Bewertung chinesischer und indischer Musik als »sehr weit von der Natur entfernt«, während die abendländische Musik aufgrund ihrer Berücksichtigung der »natürlichen tonalen Beziehungen« eine enorme Entwicklung genommen habe, nämlich hin zur Polyphonie.
Dear Miss Silvers ist nicht nur ein Hörbuch für die Ohren, sondern auch etwas zum Anschauen. Das 48-seitige Booklet enthält hervorragend ausgewählte Fotos. Apropos Fotos: Das Cover der von Klaus Sander herausgegebenen Doppel-CD zeigt Schönberg mit seinem neuen Aufnahmegerät. Clara Silvers hatte ihm mit ihren Geschenk wirklich eine Freude gemacht.

arnold schönberg:
dear miss silvers
originaltonaufnahmen 1931 - 1951
Supposé Verlag + Label 2007

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025