Bei seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am Freitag in New York ruft der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zum Frieden mit Syrien und dem Libanon auf. Einen Palästinenserstaat an der Seite Israels indes bezeichnet er als »blanken Wahnsinn«.
Netanjahu, bekannt für seine Vorliebe für aufmerksamkeitserregende Gimmicks, hält die Rede mit einem QR-Code am Revers und fordert die Zuhörer auf, ihn zu scannen. Er würde Israels Position gegenüber Gaza erklären und den Opfern des 7. Oktobers 2023 gedenken. »Ein Großteil der Welt erinnert sich nicht mehr an den 7. Oktober, aber wir erinnern uns. Israel erinnert sich an den 7. Oktober«, betont er.
Dutzende von Anwesenden hatten kurz zuvor aus Protest den Saal verlassen, als der Ministerpräsident ans Rednerpult trat. Vor dem Gebäude der Vereinten Nationen demonstrieren währenddessen Hunderte gegen Netanjahu, darunter auch Vertreter von jüdischen Organisationen und Angehörige israelischer Geiseln in Gaza.
Netanjahu dankt US-Präsident Trump
Eine Vielzahl von Staats- und Regierungschefs hatten Netanjahu und die israelische Politik wegen des Krieges in Gaza und des Vorgehens im gesamten Nahen Osten in den vergangenen Tagen aufs Schärfste kritisiert. Darauf ging Netanjahu zunächst nicht ein, sondern begann mit dem Auflisten seiner Errungenschaften. So habe Israel Tausende Terroristen getötet und sich den Sturz des Assad-Regimes in Syrien sowie die Zerstörung des iranischen Atomprogramms auf die Fahnen zu schreiben. US-Präsident Donald Trump dankte er in diesem Zusammenhang »für sein mutiges und entschlossenes Handeln«.
Er sagt, Israels »Siege über die iranische Terrorachse haben Möglichkeiten für Frieden eröffnet, die vor zwei Jahren noch undenkbar waren«. Allein die bloße Vorstellung eines Friedens zwischen Israel und Syrien schien jahrzehntelang unvorstellbar. Doch heute »haben wir ernsthafte Verhandlungen mit der neuen syrischen Regierung aufgenommen. Ich glaube, dass eine Einigung erzielt werden kann, die Syriens Souveränität respektiert und sowohl die Sicherheit Israels als auch die Sicherheit der Minderheiten in der Region, einschließlich der Drusen, schützt«.
Netanjahu: »Israel hat sich von seinen dunkelsten Tagen erholt und eines der beeindruckendsten militärischen Comebacks der Geschichte hingelegt.«
»Israel hat sich von seinen dunkelsten Tagen erholt und eines der beeindruckendsten militärischen Comebacks der Geschichte hingelegt«, so Netanjahu und fügte im Hinblick auf den noch immer andauernden Gaza-Krieg hinzu: »Israel muss seine Aufgabe zu Ende bringen, denn die Hamas verspreche, den 7. Oktober immer und immer wieder durchzuführen.«
Die israelische Armeeführung jedoch hat bereits vor Monaten und wiederholt erklärt, dass die Terrororganisation in Gaza extrem geschwächt sei, und dass sich ein »Massaker wie am 7. Oktober 2023 niemals wiederholen wird«.
Der Premier bestreitet zudem kategorisch die Vorwürfe eines Völkermords und einer Hungerpolitik in Gaza. Das Verhältnis der Todesopfer unter Kämpfern und Nichtkämpfern liege bei zwei zu eins.
Der israelische Geheimdienst übertrage seine Rede live über Lautsprecher der IDF und die Telefone der Bewohner in den Gazastreifen, so Netanjahu. Er erklärt an die Palästinenser in Gaza gewandt: »Legt Eure Waffen nieder. Wenn Ihr das tut, werdet Ihr leben. Wenn nicht, wird Israel Euch jagen.« Ein Frieden zwischen Israel und Gaza sei angeblich möglich, wenn der Streifen entmilitarisiert und eine »friedliche Zivilregierung« eingerichtet werde.
Premier bestreitet Völkermord und Hungerpolitik
Die Terrororganisation Hamas hält noch immer 48 Geiseln in Gaza gefangen. 20 von ihnen, alles jüngere Männer, sollen noch am Leben sein. Netanjahu sagt, sie würden »ausgehungert, gefoltert und jeglichen Tageslichts beraubt. Ihnen wird die Menschlichkeit genommen«.
Während dieser Worte schreit Tal Kuperstein, Vater der Geisel Bar Kuperstein, zweimal aus seinem Rollstuhl im Obergeschoss der Zuschauergalerie qualvoll auf. Er hatte nach einem schweren Autounfall einen Schlaganfall erlitten, ist gelähmt und kann kaum sprechen. Unter großen Anstrengungen lernte er jedoch, für seinen Sohn Bar um Freiheit zu rufen und ist bei den meisten Kundgebungen in Israel dabei. Nach dem zweiten Zwischenruf in New York jedoch wird der Vater aus dem Saal geleitet.
Netanjahu verliest dann die Namen jener 20 lebenden Geiseln. »Wir haben euch nicht vergessen, nicht eine Sekunde lang.« Doch er erwähnt weder Tamir Nimrodi noch Bipin Joshi, deren Tod nicht bestätigt ist, um die es jedoch große Sorge gibt. Auch nennt Netanjahu nicht die Namen der toten Geiseln. Die Israelis, allen voran die Angehörigen, sind entsetzt.
Ronen Neutra: »Mein Sohn gab sein Leben. Doch er wird nicht einmal erwähnt. Er ist allen egal. Ich bin allen egal. Ich habe mich geschämt, dieser Rede zuzuhören.«
Einige von ihnen haben anschließend harsche Worte für den Auftritt. Ronen Neutra, dessen Sohn Omer von der Hamas ermordet wurde und noch immer Geisel in Gaza ist, saß während der Rede von Netanjahu im Publikum. Er sagte anschließend: »Mein Sohn ist in New York geboren, ging nach Israel, um ihn der Armee zu dienen und gab sein Leben. Doch er wird nicht einmal erwähnt. Er ist allen egal. Ich bin allen egal. Ich habe mich geschämt, dieser Rede zuzuhören.«
Die meisten Familien der Geiseln vertrauen schon lange nicht mehr darauf, dass Netanjahus höchstes Anliegen die Befreiung ihrer Liebsten ist. Sie argumentierten, er habe dem Machterhalt seiner Regierung Vorrang vor dem Leben ihrer Angehörigen eingeräumt. Gleichwohl nutze er ihre Notlage im Ausland zynisch aus, um internationales Mitgefühl zu gewinnen und Kritiker des Krieges in Gaza mundtot zu machen.
Am selben Tag erklärte US-Präsident Trump vor Reportern – allerdings nicht zum ersten Mal – dass das Ende des Gaza-Krieges und die Freilassung der Geiseln sehr nah sei. »Es sieht so aus, als hätten wir eine Einigung in Bezug auf Gaza. Wir werden Sie weiter informieren.«