Quentin Tarantino

Nazi Horror Picture Show

von Rüdiger Suchsland

Erlaubt ist, was gefällt, lautet eine alte Theaterweisheit. Sehr weit kommt man mit ihr jedoch nicht, wenn es um die Schoa geht, um den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und die Frage nach deren angemessener Darstellung in Literatur, Kunst und Film. Zahlreich sind die ästhetischen und moralischen Klippen, groß die Gefahr, dass die Ermordeten zum Objekt der Ausbeutung werden, instrumentalisiert im Erinnerungsbetrieb einer »Holocaust-Industrie«, der sich längst von den realen Geschehnissen losgelöst und verselbstständigt hat.
Das Thema ist gerade wieder aktuell dank des neuesten Projekts von Quentin Tarantino, Inglorious Bastards, den der preisgekrönte US-Regisseur derzeit in Potsdam-Babelsberg dreht. Mit dabei sind neben Hollywoodgrößen wie Brad Pitt auch deutsche Stars, unter anderem Daniel Brühl und Til Schweiger. Der Film ist ein sehr freies Remake eines italienischen B-Movies von 1978. Die Story beginnt im besetzten Frankreich, wo eine junge Jüdin namens Shosanna die Ermordung ihrer Familie durch die Nazis miterleben muss. Sie selbst kann entkommen und flieht nach Paris. Zur gleichen Zeit organisiert ein US-Offizier eine Gruppe jüdisch-amerikanischer Soldaten, die gezielte Vergeltungsschläge gegen die Deutschen ausführen soll. Die Truppe trifft auf Shosanna, die die Gelegenheit wittert, ihre Familie zu rächen.
Klingt reißerisch? Ist es. Soll es auch sein. Tarantino hat eine besondere Liebe zu Billigkino und Genrefilm, die er auf elegante und intelligente Weise mit Anspruchsvollerem zu eigenwilligen Autorenfilmen aufwertet. Wer das Drehbuch zu Inglorious Bastards anschaut und Tarantino-Filme wie Pulp Fiction oder Kill Bill kennt, kann sich das voraussichtliche Ergebnis in etwa vorstellen: Intelligentes Spektakelkino, ge-spickt mit Hunderten film- und kulturhistorischer Anspielungen, manche platt, andere selbst für Experten zu subtil. Und selbstverständlich ziemlich witzig, dabei immer wieder die Grenze zum Geschmacklosen gefährlich streifend. Quentin Tarantino ist in der Filmszene so etwas wie ein talentiertes, begeisterungsfähiges Kind mit Freude an Radau und Grenzüberschreitung. Inglorious Bastards wird ein Actionfilm über Krieg und Nazis werden, der den Zuschauern Spaß macht.
Allein ist er damit nicht. Zuletzt haben Paul Verhoevens Blackboek für die Niederlande und Ole Christian Madsen Tage des Zorns für Dänemark die Geschichte ihrer Heimatländer unter der NS-Besatzung aufgearbeitet, beide in Gestalt reißerischer Spielfilme – bleihaltig, mit viel Action und im Grundton durchaus voller Anklänge ans 70er-Jahre-Exploitationkino.
Anders in Deutschland. Hier liebt man es eher staatstragend: Ob in Der Untergang oder Napola, in Rosenstraße, Sophie Scholl oder aktuell in Anonyma: Fast immer hüllen sich deutsche Filme über das Dritte Reich ins Gewand einer »wahren Geschichte«, geben sich die Weihe des Authentischen. Dokumentarisch-historische Korrektheit ist offenbar für einen deutschen Filmemacher das erste Gebot.
Auffällig dabei ist die Scheu, Schrecken und Mord plastisch auszumalen. Gerade das ureigene Wesen des Kinos, das schlichte Darstellen, wird vermieden. Stattdessen wird in deutschen Filmen viel geredet, nicht zuletzt durch die Täter. Analog zum Hollywood-Typus des »Talking Killers« im Thriller ist im deutschen Kino der »Talking Nazi« beliebt, der NS-Täter, der seine Taten wohlabgewogen und kühl erklärt und für sie (gute) Gründe anführen kann, der argumentiert, mitunter klug und geistreich, der sich in seine Opfer einfühlen kann, ihnen nahe ist, sich womöglich mit ihnen verbrüdert. »Ich wäre auch gern Priester geworden«, sagt der Verhöroffizier in dem KZ-Drama Der neunte Tag, und der Gestapo-Mann in Sophie Scholl entwickelt offenkundige Sympathien für die junge Frau, bevor er sie kurz später unters Fallbeil schickt. Aus diesem Muster heraus fällt als einzige Ausnahme Niko von Glasows Edelweißpiraten. Der Film wirft die Zuschauer mitten hinein in die Trümmerlandschaft des fünften Kriegsjahrs. Voller Brutalität macht die Gestapo Jagd auf Juden und Verstecke des Widerstands. Gegen das im deutschen Gegenwartskino sonst vorherrschende, überaus cleane Bild zeigt Glasow Nazis, die nicht reden, sondern gleich zuschlagen, mit Eisenstangen, und ihre Opfer in Folterkellern foltern, so wie es historische Realität war.
Vom Terror des nationalsozialistischen Deutschland lässt sich möglicherweise nur dann angemessen im Kino erzählen, wenn man den Mut aufbringt, den Naturalismus hinter sich zu lassen, der die gegenwärtigen Filme so öde, bieder und der Ästhetik des Faschismus verhaftet sein lässt. Der Erfahrung der Schoa kommt vielleicht das Medium des Horrorfilms näher als gut gemeinte, staatstragende und politisch korrekte Melodramen à la Der Pianist. Vielleicht erfasst man den Geist des Faschis- mus besser in einem Film, der Nazis als Vampire oder Körperfresser zeigt – nicht als Wesen mit Argumenten und guten Gründen, sondern als mörderische Mons_ter. Nebenbei würden Regisseure damit sogar noch an die ehrenwerte Tradition des fantastischen Kinos der 20er-Jahre anknüpfen, die in Deutschland leider auch auf den Hund gekommen ist.
Damit das passiert, müssten sich aber vor allem die Bedingungen wandeln, unter denen in Deutschland Filme produziert werden. Noch verhindert der »gute Geschmack« von Gremien und Finanziers hier jeden Film, der durch den Bauch und die Nerven geht, statt über den Kopf. Einstweilen werden wir uns deshalb an Quentin Tarantino halten müssen.

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