dialog

muss der dialog mit der katholischen kirche fortgesetzt werden?

Klimawandel
von Rabbiner William Wolf

In zwei Köpfen können auch einmal zwei Meinungen entstehen – schließlich ist keines der unzählbaren Gehirne, die es je auf Erden gegeben hat, genau wie irgendein anderes. Eigentlich müsste sich die Menschheit nach etlichen Jahrtausenden schon daran gewöhnt haben. Meinungsverschiedenheiten sind völlig natürlich, der Schöpfung entsprechend. Sie sind sogar wünschenswert. Wie langweilig wäre es auf dieser Welt, wenn wir alle dieselben Meinungen hätten.
Und von jeher hat die Menschheit Wege gefunden, um mit dieser Vielfalt zu leben. Man spricht darüber miteinander. Wenn wir alle dieselben Erfahrungen und Meinungen hätten, wo bliebe dann unser Gesprächsstoff? Es würde still um uns werden und mordslangweilig. So ist es unter Familienmitgliedern, so ist es in der Gesellschaft, bei allen, die gemeinsame Interessen haben, und sei es das Interesse, miteinander in Konflikt zu geraten.
So ist es nun auch schon seit Jahrzehnten im Dialog zwischen der mächtigen, weltweiten katholischen Kirche und dem älteren, aber sehr viel kleineren und möglicherweise sogar bescheideneren Bruder, dem Judentum. Und nach beinahe 2.000 Jahren, in denen der Dialog oftmals schwierig war und zeitweilig gar nicht existierte, ist der freie, ungezwungene Dialog der letzten Jahrzehnte ein wahrer Segen. Besonders heute kann er uns segnen, wenn wir uns von einem päpstlichen Entschluss bedroht fühlen.
Die Erlaubnis, die Papst Benedikt XVI. seiner Kirche erteilt hat, eine ältere Karfreitagsliturgie zu gebrauchen, die möglicherweise als anti- jüdisch betrachtet werden kann, ist hauptsächlich eine interne Angelegenheit der katholischen Kirche. Dort gibt es Theologen, die den Papst unterstützen. Es gibt auch eine Menge einflussreicher katholischer Theologen, möglicherweise die große Mehrzahl, die diesen liturgischen Rückschritt ernsthaft und mit prägenden Argumenten bekämpfen. Ich bin bereit, diesen Streit der Kirche zu überlassen. Eine Einmischung von außen könnte nur den Befürwortern des päpstlichen Beschlusses helfen. Das ist der erste Grund, sich nicht einzumischen. Der zweite ist viel wichtiger: Der päpstliche Beschluss ist ein Rückschritt in eine intellektuelle und theologische Welt, die schon vor beinahe einem halben Jahrhundert ihren Abschluss fand. Es ist weder intellektuell noch theologisch möglich, die Uhr um ein halbes Jahrhundert zurückzudrehen. Das wird sich in dem nun entfachten Streit innerhalb der Kirche schnell erweisen. Auch darum bin ich ganz gelassen, diesen Streit der Kirche zu überlassen. Ich habe volle Zuversicht, dass sich die theologische Uhr nicht zurücksetzen lässt, genauso wenig, wie ich noch einmal sechzig Jahre alt sein werde. Selbst Benedikt XVI. vermag das nicht. Auch er hat nicht die Macht, das intellektuelle Weltklima zu ändern. Dieses hat sich entschieden gewandelt seit den Vorkriegsjahren, in denen Josef Ratzinger seine theologische Ausbildung erst in Bayern, dann in Rom absolviert hat. Ein Klimawandel, ob in der Erdatmosphäre oder innerhalb der Katholischen Kirche, lässt sich nicht zurückschrauben. Wenn die kalten Winter vorbei sind, müssen wir uns daran gewöhnen. In der modernen Kirche – sogar im heutigen Judentum – ist es auch so.
Ob der Klimawandel sich als Segen erweisen wird, das wird uns die Zeit beibringen. Dass er sich in der Kirche als Segen erwiesen hat, davon sind all diejenigen, die die neue liberale Atmosphäre des Dialogs kennengelernt haben, völlig überzeugt. Ein Segen, besonders ein göttlicher Segen wie dieser, lässt sich nicht widerrufen. Er verbreitet sich unaufhaltsam und schließt immer mehr Menschen in seine Arme. Wer weiß, womöglich eines Tages auch Benedikt XVI.

Redepause
von Micha Brumlik

Während der langen Jahre des Mittelalters war der Karfreitag für Juden im christlichen Abendland ein besonders gefährlicher Tag. In Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu, das den Juden zugeschrieben wurde, sah sich so mancher Christenmensch aufgefordert, den ermordeten Gott zu rächen – an den Juden. Ausschreitungen, Pogrome und Plünderungen waren die Folge; gelegentlich genügte es auch, wenn sich das jeweilige Haupt der jüdischen Gemeinde beim zuständigen Bischof eine rituelle Ohrfeige abholte. Die Ghettotore blieben über Ostern vorsichtshalber geschlossen.
Im Lauf der Zeit, zumal im 20. Jahrhundert, haben sich die Bräuche zivilisiert. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert blieben schließlich nur noch angeblich gut gemeinte Fürbitten übrig. Bis 1953 hieß es in der Karfreitagsliturgie: »Allmächtiger ewiger Gott, du schließest sogar die ungläubigen Juden von Deiner Erbarmung nicht aus, erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor Dich bringen: Mögen sie das Licht Deiner Wahrheit, welches Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden. Durch ihn, unsern Herrn, Amen.«
Etwa zehn Jahre später, beim zweiten Vaticanum, hatte sich in der katholischen Kirche herumgesprochen, dass solch ein Gebet für ein Volk, dessen Angehörige noch kurz zuvor in der Finsternis der Gaskammern und der Massengräber elend gestorben sind, womöglich nicht nur geschmacklos, sondern politisch inakzepta- bel und sogar theologisch falsch war. Papst Paul VI. zog die Konsequenz und ordnete Mitte der 70er-Jahre eine Fürbitte für jene an, »zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.«
Die katholische Kirche kennt zwar verschiedene liturgische Formen, aber nur eine Wahrheit. Demgemäß ist ernst zu nehmen, dass der gegenwärtige Papst in der – für eine Minderheit bestimmten – lateinischen Karfreitagsliturgie folgendes Gebet anordnet: »Oremus … ut ... illuminet corda eorum, ut agnoscant Iesum Christum salvatorem omnium hominum.« – »Lasset uns beten, dass Gott ihre Herzen erleuchte, auf dass sie Jesus Christus als Retter der Menschheit (an)erkennen.«
Damit wird nicht mehr und nicht weniger für wahr gehalten und bekannt, als dass unser jüdisches Herz in besonderer Weise noch immer verfinstert und erlösungsbedürftig ist. Für andere Nichtchristen wird am Karfreitag jedenfalls in dieser Deutlichkeit nicht gebetet.
Der offiziell vorgeschobene kirchenpolitische Grund für diese rückschrittliche Neuerung ist der des gegenwärtig amtierenden Papstes, die von seinen Vorgängern vergraulten Traditionalisten des inzwischen verstorbenen und exkommuni- zierten Erzbischofs Lefebvre in den Schoß der Kirche zurückzuholen – eine vor allem französische Gruppierung, die ihre Wurzeln im französischen Faschismus der Action Française hat und mörderische Diktatoren wie Franco, Salazar, Videla und Pinochet unterstützte.
Jene jüdischen Repräsentanten, die auch nach dieser reaktionären liturgischen Neuerung noch immer mit der katholischen Kirche offiziell weiterreden wollen, nehmen ihr Gegenüber offenbar nicht ernst. Die katholische Kirche ist ihrer Verfassung gemäß eine absolute Monarchie, in der als wahr gilt, was durch den jeweiligen Papst als Gottes Stellvertreter auf Erden unter bestimmten Bedingungen dekretiert wird. Daran sind dann – im Grundsatz – alle Katholiken gebunden, unabhängig davon, ob sie dem nun im Einzelnen nachkommen oder nicht. An der theologischen »Wahrheit«, dass Katholiken im Zeitalter von AIDS keine Kondome benutzen dürfen, ändert sich auch dann nichts, wenn einzelne Katholiken sich gleichwohl verantwortlich verhalten.
Es darf nicht sein – und es hilft dem Gegenüber auch nichts –, dass Juden stets hoffnungsvoll, aber doch wie besinnungslos weiterreden, wenn die katholische Kirche, als sei nichts geschehen, Entscheidungen trifft und vollendete Tatsachen schafft. Angesagt sind daher deutliche und weithin sichtbare Zeichen – zum Beispiel eine Redepause, die ja keine Denkpause sein muss. Die Verweigerung gemeinsamer religiöser Feiern ist zudem das Mindeste, was die Selbstachtung gebietet.
Von Benedikt XVI. ist nach eigener Auskunft eine Änderung nicht mehr zu erwarten. Lasst uns gleichwohl dafür beten, dass Gott das Herz des Papstes erleuchte, vom Antijudaismus abzulassen: »bimhera bejameinu« – »schnell, noch in unseren Tagen«!

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