ehrenämter

müssen vorstandsposten in jüdischen gemeinden ehrenämter sein?

Fürsorglich unabhängig
von Esther Haß

Vorstände in jüdischen Gemeinden sollten grundsätzlich ehrenamtlich tätig sein. Denn nur das Ehrenamt gewährt die Unabhängigkeit, die notwendig ist für eine objektive Sichtweise der Verhältnisse innerhalb der Gemeinschaft.
Betrachtet man die beiden Begriffe Ehre und Amt etymologisch, so hängt das Wort »Ehre, ehren« in erster Linie mit religiösen Inhalten zusammen: mit der Ehre Gottes; dem Gott, den wir ehren, dem wir Ehrerbietung entgegenbringen. Der zweite Begriff Amt steht im Zusammenhang mit einem Auftrag, den es zu erfüllen gilt. Denn Vorstände der Gemeinden werden gewählt, erhalten damit einen Führungs- und Bewahrungsauftrag der religiösen Gemeinschaft.
Zur Wahl stellt sich der Mensch aus freiem Willen, den ihm Gott verliehen hat. Die Entscheidung für ein Ehrenamt, als Vorstand in einer jüdischen Gemeinde, setzt ein Verantwortungsbewußtsein für diese religiöse Gemeinschaft und den einzelnen voraus. Diese Ehre ist gleichbedeutend mit der Ehre, die ein zur Tora Aufgerufener erlebt.
Religiös und traditionell gesehen heißt es ohnehin, daß jeder jüdische Mensch für seinen jüdischen Mitmenschen mitverantwortlich sei, erst recht gilt dies in jüdischen Gemeinden. Setzt man dies voraus, so gilt dies in erster Linie für die Führungspersönlichkeiten der Gemeinden. Gerade aufgrund der vielfältigen Probleme, die in jüdischen Gemeinden durch Integrationsarbeit, mangelnde finanzielle Ausstattung und eine wachsende Zahl von Mitgliedern vorhanden sind, gilt es, Probleme unabhängig, objektiv, fürsorglich und entscheidungsneutral zu bewältigen. Es geht um Wohlergehen und Zukunft der Gemeinden.
Das Vorstands-Ehrenamt intendiert Entscheidungsfreiheit durch finanzielle Unabhängigkeit von der Gemeinde und aus religiöser Verantwortung, die Arbeit aus frei- em Willen für andere und ohne Eigennutz zu tun. Dies läßt keine Job-Mentalität zu, weil die Motivation eine andere ist. Die Motivation, die religiöser Verantwortung entspringt, bietet die entscheidende Möglichkeit, für andere dazusein und für die Gemeinde die Existenz zu sichern und Daseinsvorsorge zu betreiben.
Gerade das Ehrenamt läßt die Repräsentation der jüdischen Gemeinde in der Öffentlichkeit zu, da die Vorstände aus religiöser Verantwortung handeln und nicht aus Eigennutz. Ihr öffentlicher Rede- und Handlungsanspruch ist getragen von der Verantwortung für die Gemeinde, für die Gemeindemitglieder, deren Wohlergehen durch sie vertreten und gewährleistet wird.
Ohnehin können sich kleinere jüdische Gemeinden sowie jüdische Gemeinden mit geringem Steueraufkommen nur eventuell bezahlte Geschäftsführer oder gar nur Bürokräfte leisten. Doch gerade aus den zuvor genannten Gründen sollten sich auch größere jüdische Gemeinden durch ehrenamtliche Vorstände führen und leiten lassen.
Auch wenn für alle ehrenamtlichen Vorstände in Gemeinden gilt, daß die Aufgabe mit viel Arbeit, zeitlichem Aufwand, innerer Stärke, Einfühlungsvermögen, Anteilnahme und Objektivität verbunden ist, so bringt diese Arbeit auch Genugtuung und Anerkennung, wenn Ruhe und Ausgeglichenheit in der Gemeinde herrschen oder Erfolge von außen zu verzeichnen sind.
Sicher sind die Repräsentationsverpflichtungen für ehrenamtliche Vorstände die erfreulichere Aufgabe, nicht immer die einfachere. Dennoch sollte dies nicht die Primärmotivation für das Ehrenamt sein. Jeder Bewerber für den ehrenamtlichen Gemeindevorstand sollte sich bewußt sein, was von ihm erwartet wird. Das sollte nicht so weit gehen, daß dies eine Idealvorstellung bleibt; doch die Religiosität des einzelnen und sein religiöses Verantwortungsbewußtsein für die jüdische Gemeinschaft sollten dabei eine wesentliche Rolle spielen.
Eine jüdische Gemeinde ist kein Wirtschaftsbetrieb, auch wenn wirtschaftliches Handeln mit den knappen Ressourcen erforderlich ist. Die jüdische Gemeinde ist und bleibt eine religiöse Gemeinschaft. Auf dieser Grundlage hat das Judentum seit Jahrtausenden überlebt, trotz aller Widrigkeiten, die ihm widerfahren sind.

Profis sind gefragt

von Rabbiner Andreas Nachama

Die Trennlinie zwischen Religionsgemeinschaften und Staat in Deutschland ist inhaltlich strikt, rechtlich bedingt und praktisch kaum wahrnehmbar gezogen. Dies findet in Staatsverträgen seinen sichtbaren Ausdruck, denn Religionsgemeinschaften, die gesetzte staatliche Bedingungen erfüllen, werden wie öffentliche Ein- richtungen subventioniert.
Die Professionalisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland hat dazu geführt, daß es hier kaum noch gewählte Mandatsträger gibt, die oberhalb der Kreisebene nicht für ihre Tätigkeiten als Stadträte, Bürgermeister oder Abgeordnete besoldet werden. Denn der Anspruch auf eine Amtsführung, die nicht zur Verquickung mit privatem wirtschaftlichen Interesse führt, ist genauso selbstverständlich, wie die Verfügbarkeit der Person rund um die Uhr. Diese Amtsträger erwarten von den jüdischen Gemeinden keine Geschäftsführer oder Abteilungsleiter als Gesprächspartner, sondern gewählte Vorsitzende auf gleicher Augenhöhe.
Die Gesellschaft in Deutschland hat sich festgelegt. Fast alles, was etwa in den USA ohne jede staatliche Unterstützung auskommen müßte und aus Spenden- oder Beitragseinnahmen der Mitglieder finanziert wird, wird hierzulande mit staatlichen Mitteln unterstützt. So findet sich in New York an jeder Ecke eine autonome jüdische Gemeinde, mit meist nicht mehr als ein paar hundert Mitgliedern, in der diese durch ihre Mitgliedsbeiträge bestimmen, was geleistet werden kann. Gefällt einem Mitglied in New York sein Rabbiner, Kantor oder Gemeindevorsitzender nicht, wechselt er zum nächsten Beitragsjahr in die Gemeinde, die eine Ecke weiter residiert. Fehlt einem Mitglied eine Leistung, dann muß er eine Gemeinde finden, die diesen Dienst bereits anbietet, meist mit der Konsequenz, daß der Beitragssatz entsprechend höher ist. Die Gemeinden in den USA bestehen oft nur aus einer Synagoge, einem Klassenraum für die SundaySchool und einem Friedhof.
Wir jedoch leben in einer vom Sozialstaatsdenken geprägten Gesellschaft mit Anspruch auf umfassende Dienste einer jüdischen Gemeinde, die in Qualität und Gebühren staatlichen Einrichtungen nicht nachstehen. An die Mitarbeiter werden die gleichen Ansprüche gestellt, wie an die des öffentlichen Dienstes. Von den Vorsitzenden wird ganz selbstverständlich erwartet, daß sie nicht nur in der Gemeinde rund um die Uhr für Ordnung sorgen, sondern sich auch in der Stadt oder im Bundesland zu Fragen des Neonazismus, Rechtsradikalismus, internationalen Terrorismus und anderen auf der Agenda stehenden gesellschaftlichen Fragen artikulieren und die Befindlichkeit ihrer jüdischen Gemeinde zum Ausdruck bringen. All das wird von einem ehrenamtlichen Vorsitzenden selbst der größten jüdischen Gemeinde in New York nicht erwartet – weil man es auch nicht erwarten kann. Diese Vorsitzenden werden meist nur für zwei Jahre gewählt. Ihre Tätigkeit beschränkt sich auf wöchentliche Sitzungen mit der Handvoll Angestellten: dem Rabbiner, Kantor, Lehrer, Schamasch und der Sekretärin sowie die Teilnahme an den Schabbat- und Feiertagsgottesdiensten.
Wer also den Anspruch auf Mammuteinheitsgemeinden mit acht Synagogen, drei Altenheimen, zwei Schulen, einem Kindergarten, zwei Gemeindehäusern, zwei in Betrieb befindlichen Friedhöfen, einem Personalkegel von rund 300 Stellen und einem Haushalt von mehr als 25 Millionen Euro hat, der wird schwerlich aufbegehren können, wenn gewählte Vorsitzende eines solchen Unternehmens besoldet werden – wie Intendanten an der Oper, Präsidenten eines vergleichbaren Stadtwerks oder Staatssekretäre eines entsprechenden Ministeriums.
Wenn ich also nachhaltig für die Besoldung von gewählten Gemeindevertretern plädiere, dann meine ich damit nicht, die mitglieder- und institutionsmäßig kleinen Gemeinden, sondern die Großunternehmen. Sie benötigen professionelle Mandatsträger, die Verantwortung tragen. Das kann nicht im Nebenamt geschehen. Ich selbst hätte als Direktor einer vom Bund und Land getragenen Stiftung wohl kaum die Zeit aufbringen können, die die Jüdische Gemeinde zu Berlin ihrem Vorsitzenden abverlangt, geschweige denn für die Gemeinde öffentliche politische Erklärungen abgeben können, hätte ich mich nicht für meine Amtsperiode als Vorsitzender beurlauben lassen.
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin sieht in ihrer Satzung seit der unmittelbaren Nachkriegszeit ausdrücklich vor, daß ein Mitglied des Vorstandes auf Beschluß der Repräsentantenversammlung besoldet werden kann. So wurde es jahrzehntelang praktiziert. Wo die Sachlage ähnlich ist wie in Berlin, sei dieses Modell auch andernorts empfohlen, denn anders wird die vom Staat letztlich vorgegebene Struktur, in einer Gebietskörperschaft alle religiösen Institutionen und Richtungen einer Glaubensgemeinschaft in jeweils einer Einheitsgemeinde zusammenzufassen, nicht realisierbar sein.

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