Macht

Moses und die Krokodile

von Chaim Guski

Moses war ein Mann von außerhalb, jemand der niemals das Schicksal der Sklaven geteilt hatte, nicht wusste, wie die harte Arbeit mit Ziegeln schmeckt. Ein Mann, der am Hofe des Pharao aufwuchs, nach Midian ging, dort wahrscheinlich ein recht behütetes Leben führte und nun plötzlich auftauchte, um »sein« Volk zu befreien. Ein Mann, der das Schicksal seines Volkes in Ägypten kannte, aber nicht teilte. Vielleicht auch deshalb empfingen die Israeliten ihn nicht mit offenen Armen, sondern mit Skepsis und Unzufriedenheit. In der Tora heißt es sogar, dass die Kinder Israels ihm gar nicht erst zuhörten: »Sie schenkten ihm aber kein Gehör wegen ihres Kleinmuts und der schweren Arbeit«. (6,9)
Wenige Zeilen später erzählt die Tora die Genealogie von Moses und Aaron und macht dadurch deutlich, dass Moses durchaus eine Verbindung mit seinen Geschwistern in der Sklaverei hatte, auch wenn er kein Sklave war.
Seine Aufgabe war nicht nur, die Kinder Israels zu befreien und sie dem politischen Einflussbereich des Pharaos zu entziehen. Vielmehr musste Moses ihnen auch beweisen, dass der Gott ihrer Vorfahren sie nicht vergessen hat und ihren Glauben an ihn stärken und eventuell sogar neu wecken. Immerhin lebten sie schon knapp 200 Jahre in Knechtschaft.
Es war nun nicht mehr nur Befreiung aus der physischen Knechtschaft, sondern auch ein Kampf gegen die Götzen- und Ideenwelt Ägyptens (der Pharao galt ja im antiken Ägypten als Gott) und ein Kampf für den Gott Abrahams, Jizchaks und Jaakovs. Moses hat die Aufgabe, zwei Parteien davon zu überzeugen, dass die Befreiung stattfinden muss. So wendet sich Moses mit anderen Zeichen und Wundern an die Kinder Israels als an die Ägypter und den Pharao.
Die Episode, in der Moses vor den Pharao tritt und ihm seinen Stab vor die Füße wirft und der sich in ein Tier verwandelt, ist auch durch eine große Hollywood-Produktion zu einer viel zitierten und bekannten geworden. Schon im vorherigen Wochenabschnitt »Schemot« taucht ein ähnliches Bild auf. Moses soll seinen Stab auf den Boden legen, und dort verwandelt sich dieser Stab in eine Schlange (hebr.: Nachasch). Am Ende der vergangenen Paraschah wiederholt Moses dieses Zeichen gegenüber den Ältesten Israels.
Die Szene aus unserer Paraschah ist ähnlich, aber nicht gleich. Wenn der Text wörtlich übersetzt werden würde, müsste dort stehen »Aaron warf seinen Stab hin vor Pharao und vor seinen Bedienten, da ward er zu einem Krokodil.« In dem betreffenden Satz (7,10) heißt es nicht »Nachasch – Schlange«, sondern »Tannin« – großes Reptil oder Krokodil. So ist es eine Anspielung auf die ägyptische Gottheit Sobek, die Krokodilsgottheit, Wassergottheit und Fruchtbarkeitsgott in einem war. In der Haftarah der Paraschah begegnen wir dem Wort »Tannin« wieder: »So spricht der Herr, der Ewige: Siehe, ich komme über dich, Pharao, König von Ägypten, großes Krokodil, das in seinen Flüssen lagert.« (Jechezkel 29,3). Ein direkter Affront gegen den Pharao als Repräsentant der ägyptischen Götzen im Diesseits. Die ägyptischen Magier zeigten sich zunächst unbeeindruckt und erschufen ebenfalls zwei Krokodile, die aber durch das aus Aarons Stab verschlungen werden.
Für die Kinder Israels dagegen, und für uns moderne Leser der Tora, hat dieses Tier zugleich eine andere Bedeutung – es steht als Erinnerung an den Schöpfergott, der die Welt erschaffen hat. »Tannin« wird auch im Bericht über die Erschöpfung der Welt in Bereschit erwähnt: »Und Gott schuf die großen Tannin und alle lebenden Wesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, jedes nach seiner Art.« (1. Buch Moses, 1,21). Aus dem Blickwinkel der Kinder Israels wird damit den Ägyptern und ihnen selbst die Macht des Schöpfergottes direkt bewiesen.
Die Schlange dagegen, die Moses den Ältesten der Kinder Israels zeigte, sollte ihren Glauben stärken. Die Schlange aus dem Buch Bereschit brachte Gott und Mensch auseinander – wir erinnern uns an die Episode im Garten Eden. Nun aber, indem Moses die Schlange am Schwanz hochhebt, sie kontrolliert und wieder zu einem Stab werden lässt, macht er den Ältesten und uns klar, dass die Beziehung zu Gott von diesem Augenblick an wiederhergestellt ist.
An die Begegnung mit dem Symbol für den ägyptischen Gott Sobek schließt sich gleich die nächste an, in Form der ersten Plage. Die Plagen sind nicht allein Rache für die Versklavung, sondern auch Ausdruck der Konfrontation mit der ägyptischen Götzenwelt.
Moses wird von Gott befohlen, den Stab, den er zuvor in eine Schlange verwandelt hatte, in den Fluss zu schlagen. Daraufhin verwandelt sich der Nil, von dem hier die Rede ist, in eine blutige, stinkende Brühe, in der Fische sterben und die ungenießbar ist. Die Lebensader Ägyptens ist zu einem toten Gewässer geworden, der Herrscher über das Wasser, der Gott Sobek, wird auch hier als macht- und bedeutungslos enthüllt.
Die nächste Plage, die Ägypten befällt, die vielen Frösche, die das Land befallen, sind eine Anspielung auf die ägyptische Gottheit Heket. Sie war die froschköpfige Göttin der Geburt. Wieder wird direkt gegen eine ägyptische Gottheit gehandelt, sie wird der Lächerlichkeit preisgegeben. In der nächsten Paraschah wird beschrieben, wie die Sonne sich verdunkelt und Finsternis entsteht, womit die wichtigste ägyptische Gottheit, der Sonnengott Re als wir- kungslos gezeigt wird.
Indem wir die Symbole wahrnehmen und verstehen, die uns in der Paraschah gezeigt werden, erkennen wir, dass die Kinder Israels nicht nur befreit worden sind, um nicht mehr Sklaven zu sein und ihre Menschenwürde wieder herzustellen. Sondern vielmehr um eine enge Beziehung mit Gott einzugehen, einen Bund mit Gott zu schließen und einen Versprechen an ihre Vorfahren zu geben, sie in das Land, in dem Milch und Honig fließen zu führen.
Der Mann, der sein jüdisches Erbe erst entdecken musste und dennoch mit seinem Volk verbunden war, wurde zum größten Lehrer (Mosche Rabbenu) in der Geschichte des Volkes, das ihm zunächst überhaupt nicht zuhören wollte.

Waera: 2. Buch Moses 6,2 bis 9,35

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