Niederlande

Mitleid lernen

von Tobias Müller

Mohamed Amejar ist sichtlich mitgenommen von dem, was er am vorletzten Wochenende sah. »Es fühlte sich an, als ob wir dort wären, zu dieser Zeit, als ob wir zwischen den Menschen wären.« Zusammen mit etwa 30 weiteren marokkanischen Männern aus Amsterdam besuchte der 60-jährige Amejar die Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau. Bemerkenswert war dabei nicht nur die Konstellation der Reisegruppe: fast alle Teilnehmer waren zwischen 50 und 70 Jahren alt und erfüllen wichtige Funktionen in der marokkanischen Gemeinschaft im als Problemviertel verrufenen Slotervaart. Die Initiative ging von einer örtlichen Stiftung aus, die Stadt Amsterdam bezahlte die Kosten, vorbereitet und organisiert wurde die Reise vom Niederländischen Auschwitz- Komitee.
Durch die eigene Anwesenheit in Baracken und Gaskammern, so die Idee der »Arbeitsgruppe Ältere Marokkaner« (WMO), sollten die Reisenden zu »Leidensgenossen« der Ermordeten werden und Kenntnisse gewinnen über die Bedeutung des Holocaust in den Niederlanden und speziell Amsterdam mit seiner ehemals großen jüdischen Bevölkerung.
Zudem erhofft man sich durch die gesellschaftliche Stellung der teilnehmenden Imame, Nachbarschaftsaktivisten und Jugendarbeiter eine Multiplikatorfunktion, um Toleranz und Respekt zu fördern. »Jeder der Männer wurde ausgewählt, weil er über ein breites Netzwerk verfügt«, so WMO-Leiter Mohamed Zani.
Hintergrund der Reise war auch der Antisemitismus, der im Zuge islamischer Radikalisierung in Slotervaart präsent ist. Jacques Grishaver, Vorsitzender des Auschwitz-Komitees und Begleiter der Gruppe, warnt indes davor, diese Tendenzen von einigen Jugendlichen auf die gesamte Gemeinschaft zu übertragen. Selbst als Kleinkind während der deutschen Besatzung mit seiner Familie untergetaucht, berichtet er von der Fassungslosigkeit der Marokkaner und der einsetzenden Überzeugung: »Wir müssen zusammen verhindern, dass es jemals wieder passiert.«
Wiewohl im Vorfeld abgemacht war, das Thema Israel-Palästina während der Reise nicht zu diskutieren, äußerte sich Initiator Mohamed Zani nach der Rückkehr: »Den Hass aus dem Nahen Osten dürfen wir hier nicht wurzeln lassen!«
Als Beispiel für ein selbstverständliches Zusammenleben von Juden und Muslimen berichteten viele Teilnehmer von ihren Kindheitserinnerungen in Marokko. In Ausch-witz trafen sie nun auf eine Gruppe marokkanischstämmiger Israelis. Grishaver er- zählt von bewegenden Momenten, als beide Gruppen gemeinsam das Kaddisch beteten.
Nach diesen Erfahrungen plant man in Amsterdam-Slotervaart nun weitere Reisen nach Auschwitz – auch mit jüngeren Marokkanern. Die Pioniere hingegen sehen sich neben der Aufgabe, im Viertel von ihren Erfahrungen zu berichten, auch einem großen Medieninteresse gegenüber. Zahlreiche niederländische Zeitungen berichteten von der Initiative; vergangenes Wochenende wurde eine TV-Dokumentation darüber ausgestrahlt. Jacques Grishaver berichtet von großer Zustimmung seitens der israelischen Botschaft in den Niederlanden.
Unterstützend äußerte sich auch David Serphos von der Nederlands-Israëlitische Hoofdsynagoge Amsterdam. »Die Einladung der Stadt an eine Gruppe älterer Mitglieder der marokkanisch-muslimischen Gemeinschaft zu einem geführten Ausch- witz-Besuch sehen wir als wichtigen Schritt, Verständnis zwischen der jüdischen und der muslimischen Gemeinschaft aufzubauen.« Reiseleiter Jacques Grishaver zieht ein überaus positives Fazit. Der 66-Jährige hat die Gedenkstätten mit verschiedenen Gruppen besucht und weiß um den Effekt. »Bei dieser Gruppe aber war es außergewöhnlich. Wenn sie morgen wieder fragen würden, würden wir sofort nochmal unsere Mitarbeit anbieten.«

Sydney

Jewish organizations decry the »scourge« of antisemitism

This time the focus is on Australia. It is hosting a conference of the international Jewish initiative »J7.« The group is presenting figures on Jew-hatred on the continent – and speaks of historic highs.

von Leticia Witte  03.12.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  02.12.2025

Thüringen

Verfassungsschutz-Chef schätzt AfD-Jugend als rechtsextrem ein

Die Mitglieder der »Generation Deutschland« würden in ihren ersten Auftritten »weder eine Mäßigung noch eine Distanzierung oder gar Wandlung« zeigen, so Kramer

 02.12.2025

Tel Aviv-Jaffa

Shimon-Peres-Preis wird erstmals in Israel verliehen

60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind der Anlass: Zum ersten Mal wird der Shimon-Peres-Preis für gemeinsame demokratische Vorhaben in Israel feierlich übergeben

von Alexander Riedel  01.12.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025