Lange Zeit wurde um das Berliner Stadtschloss gestritten: Soll der in der DDR-Zeit abgetragene Preußenbau wieder aufgebaut werden oder nicht? Und wie nah am Original soll der Neubau zumindest äußerlich sein? Immerhin hatte der Alliierte Kontrollrat, der nach dem Krieg die Regierungsverantwortung für Deutschland wahrnahm, am 25. Februar 1947 beschlossen, dass Preußen als »Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland« aufgelöst ist.
Nun steht es also wieder, das in Beton gegossene ganz überwiegend aus Steuergeldern finanzierte Preußen-Schloss. Es nennt sich Humboldt-Forum und soll unter anderem die ethnologischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz museal zur Schau stellen – Sammlungen, die zu einem guten Teil in der Zeit der Hohenzollernmonarchie zusammengetragen wurden. Sie umfassen unzählige Exponate, die nach Berlin transferiert wurden ohne Einverständnis ihrer eigentlichen Besitzer – um nicht den Begriff Diebstahl zu bemühen.
BISCHÖFE Ob auf der Turmspitze des Hauses wieder ein Kreuz installiert werden soll, wurde lange und kontrovers diskutiert und schließlich positiv entschieden. Merkwürdig war, dass die Berliner Bischöfe sich nicht zu Wort meldeten, obwohl hier das Symbol ihres Glaubens erneut vereinnahmt werden sollte. Denn es war kein anderer als der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., der sich einen Namen bei der blutigen Niederschlagung der Revolution von 1848 gemacht hatte, und nun das Kreuz auf die Spitze seine Residenz bringen ließ.
Ich fand es immer folgerichtig, dass über den auf fragwürdige Weise nach Berlin gekommenen Sammlungsstücken das Kreuz thronen würde, denn diese Forschungen waren im Zeichen der christlichen Überlegenheit über die »Naturvölker« angelegt.
Nun freilich kommt die Wahrheit ans Licht, denn nicht nur das Kreuz, sondern auch der verschwurbelte, aus Zitaten des Neuen Testaments zusammengesetzte Widmungsspruch des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. schwebt wieder an alter Stelle über Berlin: »Es ist kein anderer Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.«
Wir lesen dieses Zitat nicht auf einer Kirche, sondern auf einem öffentlichen Gebäude, das jetzt errichtet wird und seiner Vollendung in naher Zukunft entgegensieht.
RESPEKT Ist Berlin tatsächlich eine »bunte Palette«, wie es der in der Türkei geborene Berliner Maler Hanefi Yeter einst formulierte? Eine Stadt der Toleranz, in der Christen, Juden, Muslime, Religionslose und Religionskritiker friedlich nebeneinander leben? Eine Stadt, in der ein »House of One« entsteht, wo Juden, Christen und Muslime – jeder in seiner Tradition, aber doch unter einem Dach – auf Augenhöhe respektvoll miteinander umgehen?
Nein. Berlin ist eine Stadt, die offenbar weiter mit der Vorstellung lebt, dass allein Kreuz und Christentum glückselig machen.
VEREINNAHMUNG Ich bin gespannt, wie die Berliner Bischöfe auf die Vereinnahmung ihres Glaubens reagieren, denn sie sind durchaus Förderer von religiösem Miteinander und Respekt.
Was hätte wohl Martin Luther King in dieser Situation gesagt? »I have a dream!« – den Traum, die beiden Berliner Bischöfe würden an der Spitze einer Bürgerinitiative dafür plädieren, dass der Spruch beseitigt wird, denn im Jahr 2020 sollte es einen solchen Rückfall in die Gedankenwelt eines Preußenkönigs nicht geben.
Bliebe dann immer noch das Kreuz über den ethnologischen Sammlungen mit zweifelhafter Provenienz.
Der Autor ist Historiker und Rabbiner in Berlin, Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und sitzt im Präsidium des House of One Berlin.