Eheanbahnung

Lieb und teuer

von Wladimir Struminski

Ihren Partner fürs Leben finden Israelis nahezu überall. Für viele junge Menschen führt der Weg unter die Chuppa noch immer über den Wehrdienst, obwohl die Rolle der Armee als Ehevermittler der Na-
tion zurückgegangen ist. Schließlich muss heute die erste Liebe nicht gleich die letzte sein. Auch sonst mangelt es nicht an Gelegenheiten, von der Universität über den Arbeitsplatz und den Ausflug nach Indien bis hin zum Internet. Allerdings gilt die Chancenvielfalt nicht für alle. In der ultraorthodoxen Bevölkerung – sie stellt ein Zehntel aller israelischen Juden, wegen der Altersstruktur zugleich einen weitaus höheren Anteil an der Gesamtzahl junger Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter – geht es bei der Partnersuche noch immer nach alter Weise zu. Wie einstmals im Schtetl werden Ehen zumeist ohne das Wissen der jungen Leute eingefädelt und von den Eltern abgesegnet, und auch das nur, wenn der Rabbiner sein Jawort gibt.
Das findet Mosche – seinen wahren Na-
men will er nicht genannt wissen, schließlich sind Mediengespräche in strenggläubigen Kreisen verpönt – in Ordnung. »Ich verlasse mich auf meine Eltern und habe nicht die Probleme, die einen Säkularen plagen«, sagt der 20-Jährige aus Jerusalem. Dass es die eine, die Richtige für ihn gibt, steht für Mosche außer Zweifel. »Noch vor der Geburt eines Menschen wird im Himmel bestimmt, wen er oder sie heiraten wird«, weiß er.
Um die himmlischen Paare zusammenzuführen, ist auf Erden jedoch hoch spezialisiertes Knowhow vonnöten. Dieses bringen die in ultraorthodoxen Kreisen noch immer unentbehrlichen Schadchanim, Ehevermittler, auf. Mit scharfem Blick, gesundem Menschenverstand, Stift und Notizbuch bewehrt, betreiben sie ihre segens-
reiche Tätigkeit meist nur als Nebenberuf, sind aber ständig auf der Lauer. Wenn ein 25-jähriger Jeschiwa-Bocher aus guter Familie eine gottesfürchtige Braut bis 23, vorzugsweise aus ungarnstämmiger Familie sucht, wird sich der Schadchen daran sofort erinnern, wenn die Eltern einer passenden Braut bei ihm in der Stube stehen und die Vorzüge ihrer Tochter preisen.
Allerdings fängt seine Arbeit damit erst an. Es werden noch viele Tage voll mit Te-
lefonaten und Hintergrundgesprächen vergehen, ehe der Vermittler die Eltern zu-sammenbringt und diese einander das »Wort« geben. Mit dem jiddischen Begriff wird eine grundsätzliche Übereinkunft der Väter und Mütter bezeichnet. Erst dann dürfen die jungen Menschen einander sehen. Die Reinform des »geredten Schidduch«, also der von Eltern abgesprochenen Eheschließung, bei der das Paar einander erst bei der Hochzeit sieht, ist heute nicht mehr üblich. Selbst konservative Eltern lassen wenigstens ein kurzes Treffen zu, damit die jungen Menschen die gegenseitige Eheeignung wenigstens im Ansatz abschätzen können. In den meisten Fällen kommen die Kandidaten auch mehrmals zusammen, bevor die Eltern ihnen eine endgültige Entscheidung ab-
verlangen. Rebellion gegen das alte Sys-
tem ist selten. »Es mag Bachurim geben, die sich bei Freunden diskret nach geeigneten Kandidatinnen erkundigen«, weiß Mosche. »Allerdings läuft die Kontakt-anbahnung auch dann über den Schadchan.« In der Branche gibt es sogar Spezialisierungen auf »schwierige Fälle« wie Ge-
schiedene und Verwitwete. Oder Neureligiöse. »Die Baalei Teschuwa«, weiß eine Ehevermittlerin aus Bnei Brak, »haben es besonders schwer. Anders als bei von Ge-
burt an Frommen haben sie keine Familie, die die Partnersuche für sie übernimmt.« Deshalb sei die Eheanbahnung für Baalei Teschuwa – sie heiraten zumeist untereinander – eine besonders große Mizwa.
Zu den Betroffenen gehört Nachman (Name geändert). »Ich habe schon eine Reihe von Frauen getroffen«, seufzt der erst seit Kurzem ultraorthodoxe Endzwanziger, »aber es hat nicht geklappt.« In seiner Not hat Nachman, aus seinem früheren Leben mit den Wegen der sündigen Außenwelt vertraut, sogar auf religiösen Eheanbahnungsseiten im Internet ge-
surft. »Dort findet man aber nur nationalreligiöse Mädchen«, stellt er enttäuscht fest. Und die sind Nachman, heute Anhänger der Brazlawer Chassidim, nicht fromm genug.
Eheschließungen kosten aber nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Dabei ist das Ho-
norar des Ehevermittlers mit typischerweise 500 bis 1.000 Dollar der geringste Sollposten. Gewichtiger sind die Mitgift und die bei mehreren Hundert Gästen Tausende, wenn nicht Zehntausende von Dollar kostende Hochzeitsfeier. In ultraorthodoxen Kreisen wird mit Vorliebe in der US-Währung abgerechnet. In aschkenasischen Kreisen wird von den Eltern erwartet, dass sie zumindest den Großteil der neuen Wohnung finanzieren. Die Verteilung der Last zwischen den Eltern des Bräutigams und der Braut variiert. In chassidischen Kreisen stellen beide Elternpaare für gewöhnlich je ein Drittel des Kaufpreises, während der Restbetrag über ein Hypothekendarlehen oder mithilfe ultraorthodoxer Kreditkassen finanziert wird. Bei der auf strengste Gelehrsamkeit be-
dachten litauischen Strömung hängt die Finanzierung nicht zuletzt vom Status des Bräutigams an seiner Jeschiwa ab. Um für ihre Tochter einen besonders begabten Toraschüler zu ergattern, zeigen sich viele litauische Eltern bereit, das Gros oder die Gesamtheit des Wohnungskaufs zu übernehmen – und zwar in den frommen Hochburgen Jerusalem oder Bnei Brak. Für andere kommt das nicht infrage: Um die Belastung möglichst gering zu halten, lassen sie ihre Kinder nach der Eheschließung in periphere Landesteile oder in die Westbank umziehen. Nach jüngsten Erhebungen des Universitätszentrums in Ariel sind heute 31 Prozent aller israelischen Siedler im Westjordanland ultraorthodox, auch wenn sie ihren Wohnort nicht aus ideologischen, sondern aus ökonomischen Erwägungen gewählt haben. Trotz solcher Sparmaßnahmen gibt es zahllose Familien, für die die Verheiratung des Nachwuchses mit jeder weiteren Hochzeit zu einer finanziellen Katastrophe wird. Auf ihre Kinderschar – sechs bis sieben Sprosse pro Familie sind die statistische Norm – würden die frommen Eltern dennoch nicht verzichten.

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