jüdische Lehre

Krieg und Frieden

von Rabbiner Baruch Rabinowitz

Krieg, Tod, Zerstörung. Sie gehören zu unserem Alltag. Sie sind untrennbarer Teil der menschlichen Geschichte und der Religion. Egal ob wir uns mit der Tora, dem Koran oder der Bagavad-Ghita beschäftigen, stellen wir unvermeidlich fest, daß Kriege schon so lange geführt worden sind, wie es Menschen auf dieser Welt gibt. Und sogar noch viel länger. Denn das Schlachtfeld liegt nicht nur auf der Erde, sondern auch in der spirituellen Welt.
Götter, Engel, Geister und Dämonen führen miteinander seit Ewigkeiten einen bitteren Kampf. In den hebräischen Schriften wird der Gott Israels auch »Mann des Krieges« und »Gott der Heerscharen« genannt.
Religionen ermutigen den Menschen, einen gnadenlosen Kreuzzug gegen den bösen Trieb, die Sünde und die Ungerechtigkeit zu führen. Die physische und die geistige Welt, die miteinander verbunden sind und einander widerspiegeln, sind ununterbrochen mit Kämpfen, Schlachten, Niederlagen und Siegen erfüllt. Im babylonischen Talmud (Traktat Brachot) steht geschrieben, daß der Mensch sehr froh sein muß, daß er nicht sehen kann, was in der unsichtbaren Welt rund um ihn herum geschieht. Das Bild von blutigen spirituellen Kriegen, die vor seinen Augen geführt werden, könne den Menschen verrückt machen.
Das kann auf den ersten Blick als Widerspruch zur sonst sehr friedlichen Botschaft der Tora und der gesamten jüdischen Lehre gesehen werden. Die schriftlich und mündlich überlieferte Tora gebietet uns, die Menschen zu lieben. Es geht darum, wirklich jeden Menschen als Ebenbild Gottes zu sehen. Es steht ja schließlich geschrieben »Du sollst nicht töten« und »Es ist besser getötet zu werden, als zu töten«.
Nebenbei finden wir in der Tora aber auch direkte Befehle, Kriege zu führen und Menschen zu töten. Das Judentum ist eine lebensnahe und rationale Religion. Es weiß zwischen der messianischen Hoffnung und der Realität zu unterscheiden. Wir glauben, daß die Zeit kommt, in der »Gott Bogen und Schwert zerbricht, in der es keinen Krieg mehr gibt und in der Gott Ruhe und Sicherheit finden läßt« (Hosea 2,20). Jedoch, so lange dieser von vielen Menschen erwünschte und täglich erwartete Weltzustand nicht erreicht ist, erkennt die Tora an, daß es Lebensumstände gibt, in denen man kämpfen muß.
Israel lebt in einer ungemütlichen Nachbarschaft, umgeben von Menschen, die den Wert des Lebens nicht anerkennen. Wenn wir über das Leben unserer Brüder und Schwestern wachen, können wir uns nicht hinter humanistischen Positionen verstecken, die uns das Recht absprechen, hart und gezielt gegen die zu kämpfen, die unser Volk angreifen. Man soll in der Lage sein, sich selbst, seine Familie, seine Umgebung, sein Land – ja seine existenziellen Werte – verteidigen zu können, mit den Mitteln, die dafür am besten geeignet sind. So lange es spirituelle und physische Feinde gibt, die unsere Seele, unseren Körper und unsere Umgebung mit Zerstörung bedrohen, ist es unsere religiöse und menschliche Pflicht, uns gegen sie zu wehren. Wenn sie uns angreifen, müssen wir sie zerstören. »Töte, bevor du getötet wirst«, rät der Talmud, nachdem alle Versuche einer friedlichen Existenz mit dem Feind gescheitert sind.
Wenn ein Krieg unvermeidlich ist, kann man nur schwer über Moral und Ethik reden. Die Tora und die jüdischen Weisen widmen jedoch dem Thema Kriegsführung sehr viel Aufmerksamkeit. Zahlreiche halachische Gesetze lehren, wie man kämpfen muß. So soll zum Beispiel ein Krieg nur dann angekündigt werden, wenn alle Schlichtungsversuche erfolglos gewesen sind. Man soll nur dann kämpfen, wenn es um Selbstverteidigung und Schutz des Nächsten geht. Denn es steht geschrieben: »Du sollst nicht stehen bleiben, wenn das Blut deines Bruders vergossen wird«. Man solle sich vor seinem Feind nicht verstecken und ihn nicht von hinten angreifen, heißt es im Talmud. Man dürfe nur mit dem bewaffneten Feind kämpfen und man solle alles tun, um kein »unschuldiges Blut« zu vergießen.
Die Geschichte zeigt, daß es nicht immer einfach gewesen ist, mit einem Feind zu verhandeln. Was theoretisch schön, ethisch und menschlich erscheint, ist in der Praxis oft nur sehr schwer umsetzbar. Das Judentum fordert, den Nächsten zu lieben, nicht den Feind. Denn die Nächstenliebe ist keine Einbahnstraße. Schon gar nicht, wenn es um einen Feind geht, der den Tod dem Leben vorzieht. Und wenn es um einen Feind geht, der um jeden Preis das Judentum und den jüdischen Staat zerstören will.
Die Zeit von offenen Feldschlachten, nur mit Armeen und ohne Zivilisten, ist endgültig vorbei. Der Krieg wird von einem versteckten Feind angesagt, der sehr wohl unter uns leben kann, bevor er seine tödliche Mission erfüllt.
Die ganze Welt schaut nun auf Israel und seinen Krieg gegen den Terror. Egal wie die Truppen kämpfen, sterben dabei bedauerlicherweise auch unschuldige Menschen. Krieg ist nie eine Heldentat gewesen – er ist im besten Fall das notwendige Übel, das eine größere Katastrophe verhindern kann. Wer herausgefordert wird, muß auch nach den Regeln spielen, die von der anderen Seite vorgegeben werden.
In der menschlichen Geschichte wurde schon sehr viel Blut vergossen. Die Religionen konnten es nicht verhindern, die Politiker konnten es nicht aufhalten. Wir sind wohl noch nicht so weit. Bevor wir von der Nächstenliebe sprechen, sollen wir vielleicht einfach lernen: leben und leben lassen. Und gegen diejenigen kämpfen, die diese einfache Regel nicht akzeptieren wollen. Den Terrorismus zu verurteilen und gegen ihn zu kämpfen, sollte als ein göttliches Gebot angesehen werden, das unsere Welt in die Zeit ohne Krieg und Haß führen kann.

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025