„Schalom“

Koscher aus Tradition

von Helmut Kuhn

»Der Laden ist groß und schön geworden. In meinen Jahren ist das ein Geschenk Gottes«, sagt der fromme alte Mann, der die Schoa überlebt hat, in der Tschechoslowakei als »jüdischer Spion« im Gefängnis saß und in Berlin zwei Bombenattentate überstand. Der Laden heißt »Schalom«, und jeder in der Berliner Gemeinde kennt ihn. Vor vier Jahren übergab Alexander Kalisch das Geschäft mit israelischen Spezialitäten, das er 1965 in der Kantstraße eröffnete, seiner Tochter Susanne. Im November vergangenen Jahres eröffnete die neue Chefin in der Sybelstraße 10.
Im Fenster stehen exotische Blumen, einige Spezialitäten und Weine aus Israel. Die Türe klingelt und avisiert den Kunden. Es riecht nach Kaffe und frischgebackenen Rogelach. Alexander Kalisch sitzt jetzt an seinem neuen Schreibtisch in einem kleinen Büro im hinteren Teil des Geschäfts. »Den Schreibtisch hat meine Tochter für mich gekauft. In meinem Alter freut man sich über solche Schmonzes.«
Alexander Kalisch ist 1921 geboren. Seine Eltern sind in Auschwitz ermordet worden. Er überlebte Zwangsarbeit und Lagerhaft. Nach dem Krieg ging er zurück nach Bratislava. Dort sperrte ihn das kommunistische Regime ein. Zwei Jahre war er im Gefängnis, »fast täglich wurde ich verhört. Dann bekam ich eine Ausreise nach Wien zu meinem Bruder. Dort hat man uns geraten, nach Deutschland zu gehen, da wird der Anfang für uns leichter sein als anderswo. Wir wußten nicht einmal, was Spätaussiedler waren oder was ein Vertriebenausweis ist.«
Zu seinem Geschäft in Berlin sei er »durch Zufall« gekommen. »Der Direktor einer israelischen Firma suchte einen Vertreter für israelische Weine, einen verläßlichen Menschen.« In der Kantstraße mietete Alexander Kalisch einen ersten klei- nen Laden. So fing es an. »Es war schwer. Aber man hat überlebt«, sagt der feine alte Mann mit den gütigen Augen. Es folgte der Umzug in die Wielandstraße. »Das Geschäft war ein Tante-Emma-Laden im Hinterhof«, entschuldigt sich Alexander Kalisch beinahe. Doch der Tante-Emma-La- den hatte Atmosphäre – und er bot Neues.
»Wir waren die ersten, die israelische Weine in Berlin eingeführt haben, vielleicht sogar in Deutschland.« Es gab stets einen Imbiß, »Felaffel und Schwarma, auch das haben wir in Berlin praktisch eingeführt. Ich konnte finanziell damals nichts anderes machen. Es waren andere Zeiten.« Dann zeigt er alte Zeitungsausschnitte. Zwei Bombenattentate sind auf den kleinen Laden verübt worden.
1976 hatten Unbekannte zwei Propangasbehälter vor die Ladentür gestellt – sie explodierten, der gesamte Eingangsbereich brannte aus. Zwei Jahre später fand ein italienischer Gastarbeiter eine herrenlose Tüte vor dem Laden und nahm sie mit nach Hause. Dort hörte er ein Ticken. Als er vorsichtig in die Tüte blickte, erkannte er Drähte. Er stellte die Tüte sofort in einen leeren Hauseingang, warnte Anwohner und Passanten und rief die Polizei. Die Bombe explodierte, ohne jemanden zu verletzen – 1500 Meter vom Schalom entfernt. »Daraufhin gab mir der Polizeipräsident einen Rat: Nehmen Sie das Schild ‚israelische Spezialitäten‘ herunter. Es laufen so viele Verrückte in der Stadt herum.« Fortan hieß es nur noch: Spezialitäten. »Das war ein guter Rat«, sagt Alexander Kalisch.
Susanne Kalisch ist noch in Preßburg geboren. Ihr Vater schickte sie auf ein Internat in Straßburg. Das kommt ihr heute zugute, denn der größte Teil des Wareneinkaufes geht heute über Frankreich. »Wir können keine Container direkt aus Israel importieren, dazu sind wir zu klein. Also wenden wir uns an die Großhändler in Belgien und Frankreich, wo es die größten jüdischen Gemeinden Europas gibt. Dort essen sie noch koscher«, sagt Susanne Kalisch. Auch ihr Vater lernte im hohen Alter, daß Pute auf französisch »Dinde« heißt.
Jetzt ist sie die Chefin, der Herr Papa macht noch die Buchhaltung. »Koscher einzukaufen, ist zwar teurer als Produkte einfach im Supermarkt zu besorgen. Doch die Qualität ist auch ungleich höher«, sagt sie. Zu ihren Kunden zählen viele fromme Juden, aber auch nichtjüdische Deutsche, die Israel besuchen und zu Hause israelische Produkte genießen möchten. Doch sei es bedauerlich, daß es in Berlin zwar immer mehr Juden gebe, aber gleichzeitig immer weniger, die Kaschrut halten.
Der Laden bietet ein reichhaltiges Warensortiment: vom Ketchup über gefillte Fisch polnisch oder heimisch, Liköre und eine große Auswahl israelischer Weine, gute Tropfen aus Galiläa und New York, himmlisches Hummus, koscheren Wodka, Geflügel, Kebab, Pizza, Rinds-, Puten- und Kalbswürstchen, salzige Gurken. Und jetzt zu Pessach auch alle möglichen Sorten Mazzot.
»Es ist ein schönes, repräsentatives Geschäft geworden. Das freut mich«, sagt Alex-
ander Kalisch. »Man sollte doch einmal nachdenken, Tradition und Religion aufrechterhalten und die koscheren Geschäfte unterstützen«, sagt seine Tochter. »Muß es denn französischer Wein sein? Wir sollten doch lieber Israel unterstützen. Das war auch immer das Ziel meiner Eltern.«

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