Gertrud Loewe

Jüdin, Britin, Deutsche

von Annette Lübbers

Hellwach blitzen die Augen unter dem leicht strubbeligen, weißen Haar. Vollgestopfte Bücherregale und ein vollgepackter Schreibtisch in ihrem Zimmer im Pflegeheim Edith Stein in Wuppertal zeugen davon, dass Gertrud Loewe ihr Interesse an der Welt nicht verloren hat. Jeden Morgen von zehn bis zwölf Uhr hört sie die Nachrichten eines englischen Senders. »Meine Familie war immer anglophil«, sagt die alte Dame, die am 26. April ihren 100. Geburtstag feierte. Keine Seltenheit in ihrer Familie. Ihre Mutter starb mit 102 Jahren, ihre Schwester wurde 98 Jahre alt.
Ein leichtes Leben hat Gertrud Loewe nicht gehabt. Ihre Mutter war Engländerin, ihr Vater ein deutscher Jude. Im norddeutschen Varel betreiben Vater und Onkel eine gut gehende Lederriemen-Fabrik: »Schwabe und Söhne«. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, wird die Familie enteignet. »Arm waren wir trotzdem nicht«, erinnert sich Gertrud Loewe. »Mein Vater hatte frühzeitig Geld ins Ausland transferiert. Und er starb, bevor die Judenverfolgung begann. Ausgewandert wäre mein Vater wohl nie, auch nicht nach Israel. Dafür war er viel zu deutsch.«
Früh kehrt die Familie Nazi-Deutschland den Rücken. War es 1935? Gertrud Loewe denkt nach und kneift dabei ihre Augen zusammen. Dann winkt sie ab. Unwichtig. »An Jahreszahlen kann ich mich nicht mehr gut erinnern.« Ihre Mutter und ihr Bruder Rudolf fliehen nach Tel Aviv. Gertrud Loewe, studierte Gartenbauarchitektin, landet im Moshav Magdiel. Sie heiratet, 1937 wird Sohn Michael geboren, 1944 kommt Daniel zur Welt.
»Alles verlief anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich war zunächst nur zu Besuch in Palästina gewesen. Als ich dann später endgültig einreiste, waren die Menschen, mit denen ich siedeln wollte, von Arabern umgebracht worden.« Gertrud Loewe arbeitet hart, aber so richtig heimisch wird sie nie im Land der jüdischen Sehnsucht. »Die Leute kamen aus aller Herren Länder. Da fällt es schwer, sich zugehörig zu fühlen. Und das Land war noch ziemlich primitiv. Drei, vier Leute mussten sich ein Besteck teilen. Und als Jeckes wurden wir sowieso schief angesehen.« Sie vermisst Europa.
1961 kommt die Familie nach Deutschland zurück. »Hauptsächlich haben wir das meinem Sohn Michael zuliebe getan. Der Junge hatte als Baby eine Hirnhautentzündung und war seitdem behindert. Ich glaubte ihn in Deutschland besser aufgehoben als in Israel.« Die Familie findet in Wuppertal eine neue Heimat. Mit »den Deutschen« hat Gertrud Loewe kein Problem. »Ich kannte viele, die keine Nazis gewesen waren. Man durfte doch nicht alle in einen Topf werfen. Allerdings habe ich mich schon gewundert, dass man über die Judenvernichtung so lange geschwiegen hat.«
Sie fühlt sich wohl in Deutschland und trotzdem kommt ihr dann und wann der Gedanke, nach Australien auszuwandern. Dort lebte ihre Schwester Lotte, die bis 1939 in Berlin geblieben und mit dem letzten Flieger nach Australien geflohen war. 1952 folgte auch Mutter Schwabe ihrer Tochter von Israel aus nach Australien. Gertrud Loewe seufzt. »Da wäre ich auch gerne hingegangen. Aber das war so weit weg.«
Ruhig ist es geworden im Leben der selbstbewussten Frau. Bis zu ihrem 94. Lebensjahr wohnte sie allein und fuhr regelmäßig zu Sommerkursen nach Cambrigde. Nach zwei Oberschenkelhalsbrü- chen ging das nicht mehr. Nun lebt sie im Pflegeheim – und vermisst die geistigen Anregungen. An den Klatsch- und Tratschgesprächen ihrer Mitbewohner hat sie kein Interesse. »Das ist nicht meine Welt.« Stolz verweist sie darauf, dass sie immer noch eine Englisch-Schülerin hat. Gertrud Loewe unterrichtet sie in der Sprache, die junge Frau erledigt im Gegenzug kleine Besorgungen für sie. Aber ihre Korrespondenz, die erledigt Gertrud Loewe immer noch selbst. »Kontakte nach England und Australien. Die sind mir wichtig«, erklärt sie.
Das Englische, das stand für Gertrud Loewe schon immer im Vordergrund. England war ihr immer wichtiger, als ihr ererbtes Judentum. »Wir waren nicht sehr religiös zu Hause. Eigentlich war mein Vater Freimaurer. Irgendwann hat er uns Kinder sogar gefragt, ob wir uns nicht taufen lassen wollten. Er hat uns wohl ein einfacheres Leben gewünscht. Das kam allerdings gar nicht in Frage, für keinen von uns.«

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