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In der Diaspora rechts unten

Die Jugendbewegung »Betar« trägt die brennende Menora im Logo. Ihr deutscher Ableger wirkt nur einige Monate nach seiner Gründung jedoch wie erloschen. Foto: Getty Images/ Montage: CW

Mit einem leidenschaftlichen Appell wendet sich Amir Makatov an seine »Betarim«. In der WhatsApp-Gruppe von »Betar Deutschland« schreibt er, der Vorsitzende, im September vergangenen Jahres: »Es wird Zeit laut zu werden und zu sagen: ›Nicht mit uns‹!« Was den 25-jährigen Makatov – Redakteur beim populistischen Krawallmedium »Nius«, Online-Aktivist, Rapper – an diesem Tag so aufbringt, ist eine Gedenkveranstaltung zum fünften Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge von Halle. In der Ankündigung des »Festival of Resilience« auf Instagram heißt es unter anderem, man setze »ein Zeichen des Widerstands gegen rechte Denkweisen«.

Makatov ist empört: Ein »Zeichen gegen rechts«, schreibt er an die etwa 50 überwiegend passiven Personen in der WhatsApp-Gruppe, sei »ein Zeichen gegen Betar«. Rechte Juden, mutmaßt er, sind bei der Gedenkveranstaltung nicht willkommen. Also Gegenangriff: Makatov schlägt seinen Mitstreitern vor, dass sie bestimmte Fragen an die Veranstalter schicken. »Die Instagramkommentare sind offen«, betont er und liefert vorformulierte Textbausteine gleich mit. Eine Handvoll Betarim folgt seiner Aufforderung und kommentiert unter dem Beitrag – ein kleiner »Shitstorm«.

Der Vorsitzende ist offenbar zufrieden. »Sehr gut«, schreibt er. »Es ist unsere Aufgabe zu widersprechen.« Doch als die Kommentare unter dem Beitrag von den Veranstaltern einfach wieder gelöscht werden, kippt die Stimmung in der Betar-Gruppe. »Solche ekligen bastarde« (Rechtschreibfehler im Original), schreibt ein Mitglied. Makatov pflichtet bei: Seine letzte medizinische Operation sei »nicht mal halb so eklig wie das Verhalten unserer Geschwister« gewesen. Eine Person zeigt sich schockiert über den Ton im Chat. »Ich dachte Ziel der Gruppe war Achdut?«, merkt sie an. »Achdut« ist Hebräisch für Einheit und Solidarität. »Das Ziel der Gruppe ist eine starke Diaspora«, erwidert Makatov, »wir sind keine blumenficker oder hippies«. Eine Kopie des WhatsApp-Chats von Betar Deutschland liegt der Jüdischen Allgemeinen vor.

Betar erlebt seit dem 7. Oktober 2023 einen Aufschwung

Mit seiner Ablehnung von Schwäche und der Emphase auf jüdischer Wehrhaftigkeit steht Makatov durchaus in der Tradition der historischen Jugendbewegung »Betar«. Gegründet 1923 in Riga war ihr Ziel die Schaffung eines neuen Typs Jude, der fähig sein sollte, mit eigenen Händen einen jüdischen Staat aufzubauen. Das als schwach und vergeistigt gesehene Diasporajudentum wurde abgelehnt. Innerhalb der zionistischen Bewegung bildete Betar den rechten Rand und war Teil der »Revisionisten«-Fraktion, die nicht nur ganz Palästina, sondern auch Transjordanien für die Juden beanspruchte. Nach der Staatsgründung Israels gab Betar seine radikalsten Forderungen auf und blieb gleichzeitig stark mit dem rechten Parteienspektrum in Israel verbunden. Zum Likud, der Partei des amtierenden israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu, gibt es heute enge Kontakte.

Amir Makatov war bei der Gründung der Gruppe federführend – und ist stilprägend für deren äußerst aggressives Online-Auftreten.

Seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 erlebt die rechtszionistische Jugendbewegung vermehrt Zulauf, nachdem die Gruppe historisch nach und nach an Bedeutung verloren hatte. Das weltweite Betar-Netzwerk ist dezentral organisiert, der Gebrauch des Namens steht jedem frei. So ist in Großbritannien im vergangenen Jahr eine Betar-Gruppe unter dem Motto »Stolze Juden schlagen zurück« neu entstanden, und der 2023 wiedergegründete amerikanische Ableger sorgt mit seinen radikalen, teils gewalttätigen Aktionen gegen israelfeindliche Demonstranten derzeit für Aufsehen. Die jüdische »Anti-Defamation League« (ADL) wirft Betar USA »offene Islamophobie« vor und listet die Gruppe als extremistische Organisation.

Auch das Aufkommen von Betar Deutschland muss im Kontext der weltweit zunehmenden Attraktivität der Jugendbewegung sowie des wachsenden Antisemitismus seit Beginn des Krieges in Nahost betrachtet werden. Die Jüdische Allgemeine hat mit Amir Makatov ausführlich über Entstehung, Positionierung und Ziele des deutschen Betar-Ablegers geredet. Aus dem Gespräch kann jedoch auf sein Verlangen hin nicht zitiert werden. Auf Grundlage öffentlich zugänglicher Informationen und der Recherchen der Jüdischen Allgemeinen lässt sich aber sagen, dass Makatov im vergangenen Sommer bei der Gründung der Gruppe federführend war – und stilprägend für deren teils äußerst aggressives Online-Auftreten.

Amir Makatov: »Der Zentralrat ist eine linke NGO«

Ausweislich seines LinkedIn-Profils arbeitet Makatov seit Juli 2023 für »Nius«, wo er vor allem über Antisemitismus schreibt und, wie er es in einem seiner Artikel ausdrückt, über »Messerangriffe, Clan-Kriminalität, Masseneinwanderung, NGO-Komplex«. Regelmäßig verfasst er Meinungstexte mit Titeln wie »Natürlich können wir Antisemitismus abschieben« oder »Wer ›Nie wieder‹ sagt, muss auch ›Abschiebungen sagen‹«. Auf Social Media, wo Makatov unter seinem Künstlernamen »Morgenthau« unermüdlich postet und streamt, spricht er sich zudem immer wieder für »Remigration« aus, ein vor allem in rechtsextremen Kreisen genutzter Euphemismus für massenhafte Abschiebungen oder gar Vertreibungen von Flüchtlingen und Deutschen mit Migrationshintergrund.

Makatov ist davon überzeugt, dass Linke in Deutschland in vielen Bereichen die Hegemonie haben – auch in der jüdischen Gemeinschaft. »Der Zentralrat ist eine linke NGO«, schreibt er etwa im Juni auf X, und meint damit den Dachverband der jüdischen Gemeinden in Deutschland, der auch Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen ist und an dessen Spitze Josef Schuster steht. Es ist dieser vermeintlich linke Mainstream der jüdischen Organisationen gegen den sich Makatov – und mit ihm Betar Deutschland – richtet.

Die damalige JSUD-Präsidentin Hanna Veiler distanzierte sich deutlich von Betar Deutschland und forderte eine »Brandmauer«.

Im ersten Beitrag, den die Gruppe einige Wochen nach ihrer Gründung auf Instagram veröffentlicht, wird als Maßnahme gegen den wachsenden Antisemitismus eine »Abschiebeoffensive« gefordert. Der Tenor des Textes, den Makatov persönlich geschrieben hat: Weder die Politik noch die jüdischen Organisationen sind in der Lage, die Juden in Deutschland zu schützen. Betar will diese Lücke füllen.

Bei den jüdischen »Geschwistern« stößt das jedoch auf wenig Gegenliebe. Im Februar wird auf der Website von »EDA«, dem Magazin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), ein anonymer Bericht veröffentlicht, in dem Betar Deutschland »pro-AfD-Positionen, Sexismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus und Homophobie, sowie offene verbale Angriffe gegen jüdische Andersdenkende« vorgeworfen werden. Auch die damalige JSUD-Präsidentin Hanna Veiler distanziert sich deutlich von Betar Deutschland. »Deren Werte sind mit den unseren nicht vereinbar«, sagt sie in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen. Daher brauche es eine »Brandmauer« zu der rechts-zionistischen Gruppe.

Betar Deutschland kontert und spricht in einem Beitrag auf Instagram von einer »Hysterie des etablierten, staatlich gezüchteten und gefütterten Judentums« und »mutwilligen Verzerrungen und Lügen«. Mit »schmutzigen Taktiken« betrieben die JSUD und andere jüdische Organisationen eine »Hexenjagd«. Der Vorwurf, Betar Deutschland sei extremistisch, stimme nicht. Man schließe Mitglieder konsequent aus, »die sich menschenfeindlich äußern«.

In Gruppe wird über die Theorie des »Großen Austauschs« diskutiert

Tatsächlich lässt sich im WhatsApp-Chat der Gruppe ein entsprechender Fall nachvollziehen. Als ein Mitglied mit hetzerischen Aussagen wie »echte Juden hassen Polen« auffällt, verwarnt Makatov ihn zunächst. Als dieser mit dem Satz »only good pole is a dead 1”, nur ein toter Pole ist ein guter, nachlegt, folgt sein Rauswurf. Ohne Rücksprache mit den anderen Betarim entfernt Makatov das Mitglied aus der WhatsApp-Gruppe. »Volksverhetzung ist eine Straftat und wir distanzieren uns«, schreibt er. »Wir wollen keine Skandale wie Polizeichats.« Der Vorfall zeigt zweierlei: Makatov sorgt sich um das Image der neugegründeten Gruppe. Und: Wichtige Entscheidungen trifft offenbar allein er.

Dagegen greift Makatov nicht ein, wenn in dem Chat abfällig über Muslime geredet wird, etwa wenn ein Mitglied behauptet, es sei nur »eine Frage der Zeit bis in Europa der zweite Holocaust von Seiten der Moslems kommt« oder mehrfach die abwertende Bezeichnung »Muzzies« für Muslime genutzt wird. Auch als das Konzept des »Großen Austauschs« in der Gruppe besprochen wird, äußert Makatov keine Bedenken. Im Gegenteil: Der 25-Jährige ist selbst von der Wahrheit der Verschwörungstheorie überzeugt, nach der die politischen Eliten Europas gezielt heimische Bevölkerungen durch »Nichtweiße« ersetzen. Die These wird von rechtsextremen Gruppen wie der Identitären Bewegung und Teilen der AfD vertreten und motivierte mehrere Rechtsextreme zu Anschlägen – darunter auch den Attentäter von Halle, der glaubte, Juden würden die Einwanderung von Muslimen nach Deutschland steuern.

Zu den Mitgliedern von Betar Deutschland zählt Arthur Abramovych, der Vorsitzende der »Juden in der AfD«.

In der Betar-Gruppe wird – aus Rücksicht auf ein nichtdeutsches Mitglied auf Englisch – darüber diskutiert, ob die Verschwörungstheorie antisemitisch ist oder nicht. Ein Beteiligter behauptet, die Identitäre Bewegung und ihr bekanntester Aktivist Martin Sellner sähen die Juden hinter dem angeblichen »Austausch«. Ein anderer widerspricht: »Wo hat Martin Sellner das gesagt?« Ohnehin gehe für die Juden keine Gefahr von nichtjüdischen Deutschen aus, die sich mit gutem Grund wehrten. »Die Deutschen sind totale Schwuchteln (im Original: ›faggots‹) geworden«, erläutert er. »Sie sind buchstäblich kurz vor dem Aussterben.« Die Person, die dies schreibt, heißt Arthur Abramovych, Literaturwissenschaftler, Buchautor und Vorsitzender der »Juden in der AfD«.

Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen erklärte Abramovych, das Wort »faggots« im übertragenen Sinne für »Weicheier« genutzt zu haben. Er sei »tatsächlich zuhöchst besorgt über die zunehmende und durch einen Vergleich mit Israel besonders augenfällige Effeminierung der Deutschen«. Diese gehe einher mit der »Masseneinwanderung äußerst viriler Kulturfremder«, bei denen es sich »fast durchweg um Judenhasser« handele. Langfristig führe das »zum Kollaps der hiesigen Gesellschaft«.  

Abramovych bezeichnet sich als »einfaches Mitglied von Betar«. Er habe die Gruppe lediglich »durch Anbahnung von Kontakten unterstützt«. Kontakte zur AfD gehörten jedoch nicht dazu, so der 29-Jährige. »Die Mehrheit der Mitgliederschaft von Betar Deutschland sind keine AfD-Wähler«, sagt Abramovych, die Gruppe sei zudem überparteilich. Deren Gründung im vergangenen Jahr ist seiner Meinung nach ein »historisch bedeutender Schritt«, denn sie sei die erste rechtszionistische Organisation in Deutschland nach der Schoa. »Das deutsche Judentum wird nach außen vertreten von Linkszionisten oder gar Diasporisten«, glaubt Abramovych. Die meisten Juden im Land, ist er sich sicher, neigten jedoch zum Rechtszionismus.

Betar Deutschland hat sein wichtigstes Mitglied verloren

Wenn es eine Repräsentationslücke in der jüdischen Gemeinschaft gibt, ist es Betar offenbar nicht gelungen, diese zu füllen. Seit Monaten tritt die Gruppe nach außen nicht mehr wahrnehmbar auf, ihr letzter Instagram-Beitrag wurde am 14. März gepostet. Ohnehin spielten sich ihre Aktivitäten von Anfang an fast ausschließlich in den sozialen Medien ab, von wenigen persönlichen Treffen und der Teilnahme einiger Mitglieder an internationalen Betar-Veranstaltungen abgesehen. Die Zahl von 30 Aktiven, die Betar Deutschland auf Instagram angibt, dürfte deutlich zu hoch gegriffen sein – und das mit Abstand wichtigste Mitglied hat die Gruppe mittlerweile verlassen. Amir Makatov ist im April als Vorsitzender zurückgetreten. Spätestens seit dem ist Betar Deutschland eingeschlafen.

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In einer WhatsApp-Nachricht an die Betarim begründet Makatov seine Entscheidung: »Unterschiedliche weltanschauliche Auffassungen und Interessenkonflikte« hätten ihn zum Rücktritt bewogen. Doch er arbeite bereits an einem neuen Projekt: »Zukunft13K« soll eine »rechte jüdische Organisation« sein, die zwar zionistisch ist, sich aber stärker in innerdeutsche Debatten einmischt als Betar das getan hat. »Z13K ist nicht als Konkurrenz zu Betar gedacht, sondern als parallel existierende Gruppe«, schließt Makatov seine Nachricht. Kurz darauf wird auf Instagram das Konto »zukunft13k« eröffnet, das Profilfoto zeigt eine stilisierte Menorah vor dem Hintergrund des Bundesadlers. Einen Beitrag gibt es auf der Seite bisher noch nicht.

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