Im Erdkundeunterricht geht es um Asien und den Nahen Osten. Die Lehrerin erwähnt eher nebenbei Israel, als eine Schülerin unterbricht: »Israel gibt es nicht.« Dann ruft die Jugendliche: »Juden raus aus Palästina!« Mehrere Schüler stimmen ihr zu.
So geschehen an einer Schule in Nordrhein-Westfalen. Gemeldet wurde diese Szene der Servicestelle Sabra in Düsseldorf, die bei Antisemitismus und Rassismus berät. Referent Jürko Ufert hat den Vorfall als Beispiel in einen Workshop mitgebracht. In der Alten Synagoge in Essen erfahren Lehrkräfte, Sozialarbeiter und Lehramtsstudierende, wie sie auf Antisemitismus an der Schule reagieren können.
Statistik: Jeder elfte antisemitische Vorfall ereignet sich an einer Schule
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle deutschlandweit nach oben geschnellt. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) verzeichnete von 2023 auf 2024 einen Anstieg um 77 Prozent. Rund jeder elfte der 8627 Vorfälle des vergangenen Jahres trug sich an einer Bildungseinrichtung zu.
»Das Problem hat sich seit dem 7. Oktober massiv verstärkt«, bestätigt einer der Workshop-Teilnehmenden. »Die Schüler äußern sich jetzt ganz offen antisemitisch.« Der Geschichtslehrer an einer Gesamtschule berichtet, dass die Jugendlichen Verschwörungserzählungen im Unterricht wiedergäben - etwa, dass Juden hinter der Corona-Impfkampagne steckten. Seiner Wahrnehmung nach seien es vor allem muslimische Mädchen und Jungen, die solche Behauptungen zu Hause mitbekämen.
»Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen«, betont hingegen Workshop-Leiter Ufert. »Das auf eine Gruppe zu reduzieren, wäre falsch.« Seit dem 7. Oktober habe es einen drastischen Anstieg an antisemitischen Inhalten in Sozialen Medien wie etwa Tiktok gegeben. »Da prasseln Hetzbotschaften und -videos auf die Schülerinnen und Schüler ein.«
Lehrkräfte müssen judenfeindliche Erzählungen als solche benennen
Antisemitismus werde oft nicht erkannt, erklärt der Referent. Lehrkräfte müssten judenfeindliche Erzählungen als solche benennen und zudem die Hintergründe erklären. Als Beispiel zeigt er einen digitalen Sticker, den Nutzer eines Messenger-Dienstes fürs Chatten verwenden können.
Comichaft ist ein verschmitzt grinsender Mann mit großer Nase dargestellt, der sich die Hände reibt. Das antisemitische Meme ist die Variante einer herabwürdigenden Karikatur, die so während der Nazi-Zeit im Hetzblatt »Der Stürmer« erschien.
Lehrkräfte könnten hier erklären, welche antisemitischen Narrative bedient würden und wie genau das Vorurteil vom geldgierigen Juden im Mittelalter entstanden sei, sagt Ufert. Antisemitismus dekonstruieren, nennt er das.
Der Workshop ermutigt, direkt zu reagieren und antisemitisches Verhalten zu ahnden
Der Pädagoge ermutigt die Teilnehmenden, auf judenfeindliche Äußerungen direkt zu reagieren, klare Grenzen zu setzen und antisemitisches Verhalten auch zu ahnden. Auf keinen Fall sollten solche Vorfälle einfach stehengelassen werden. Wichtig sei eine offene Kommunikation, damit die Jugendlichen verstünden, was das Problem sei.
Werden jüdische Schülerinnen und Schüler zur Zielscheibe, müssten Lehrkräfte auch unbedingt mit ihnen das Gespräch suchen und Unterstützung anbieten. Ufert rät zudem, antisemitische Vorfälle zu dokumentieren und im Kollegenkreis sowie mit der Schulleitung zu besprechen. Gegebenenfalls könne die Schule über eine Anzeige nachdenken. »Ein Hakenkreuz in den Tisch zu ritzen, ist eine Straftat«, sagt Ufert als Beispiel. Die rechtliche Dimension müssten Lehrkräfte auch den Jugendlichen klarmachen.
Rückendeckung der Schulleitung gewünscht
Im nächsten Schritt sprechen die Teilnehmenden Fallbeispiele durch. Den Workshop, der auch auf aktuelles jüdisches Leben eingeht, hat die Servicestelle Sabra gemeinsam mit der Alten Synagoge konzipiert. Bildungseinrichtungen in NRW können ihn buchen.
Eine Teilnehmerin steht vor dem Workshop-Raum und macht eine Pause. Sie wünsche sich vor allem mehr Unterstützung durch Schulleitung und Lehrerkollegium, sagt die Sozialpädagogin. »Die meisten ducken sich weg.«
Auch an ihrer Schule ist der Ton seit dem 7. Oktober rauer geworden. Jüdischen Schülerinnen und Schülern würde sie raten, ihre Religionszugehörigkeit zu verschweigen. Aktionen wie Thementage zum Judentum hätten bislang wenig Erfolg gezeigt. Nur bei einem Projekt sei das anders gewesen: Da hätten die Schülerinnen und Schüler direkten Austausch mit Jugendlichen aus Israel gehabt. »Das hat wirklich etwas gebracht.«