Tonkunst

Guter Klang

von Achim Beinsen

Ein Gemälde im Büro von Andor Izsák, dem Direktor des Europäischen Zentrums für jüdische Musik in Hannover (EZJM), zeigt die ehemalige Synagoge auf dem hannoverschen Klagesmarkt. Am 9. November 1938 wurde sie von den Nazis in Brand gesetzt. Auf dem Foto daneben, Teil eines jüdischen Kalenderblatts, ist die prachtvolle Orgel in der großen Dohány-Synagoge von Budapest zu sehen. »Das ist so etwas wie mein persönlicher Kompass«, sagt Izsák: »Als das Gebäude in Hannover abbrannte, zerstörte man auch die Tradition der synagogalen Musik in Europa. Die Synagoge und ihre Orgel in Budapest jedoch blieben erhalten.« Dort entdeckte Izsák als Jugendlicher seine große Leidenschaft für dieses musikalische Genre.
Inzwischen ist Izsák Inhaber des Lehrstuhls für synagogale Musik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. 1990 gegründet, wurde das EZJM nach dreijähriger Projektphase zu einem ordentlichen Institut der Lehranstalt. Die Etablierung war dem Hochschullehrer wichtig: Den großen jüdischen Komponisten geistlicher Musik, wie etwa Louis Lewandowski (1821–1894), gebühre ein gleichberechtigter Rang neben den bekannten klassischen Künstlern, sagt er. Wichtig war seinen Mitstreitern und ihm auch die Ansiedlung des Zentrums in Deutschland: »Die Zerstörung dieser Musik kam aus Deutschland, und in Deutschland sollte ihre Rekonstruierung stattfinden«, erklärt Izsák.
Aufgabe des Instituts neben der Lehre ist es, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, zu recherchieren und zu erforschen, die Kompositionen zu retten und die Musik auf Tonträgern und im Konzert hörbar zu machen. Bisher wurde sie mit renommierten Chören zumeist in Kirchen aufgeführt. Dadurch sei der Fanclub schon sehr groß geworden, schwärmt Izsák. Im November dieses Jahres gibt er zusammen mit dem NDR-Chor ein Konzert in der Berliner Philharmonie.
Am Neunten des gleichen Monats wird das EZJM in ein altes jüdischen Bürgerhaus einziehen: die Villa Seligmann. Der Termin ist Izsák wichtig: »Auf den Tag 70 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge wird der neue Ort für die synagogale Musik seinen Geburtstag haben.« Seit Mai befindet sich das Haus im Besitz der Siegmund-Seligmann-Stiftung, die es von der Stadt Hannover für zwei Millionen Euro gekauft hat. Vorsitzender des Kuratoriums ist der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff. Möglich gemacht haben den Kauf etliche Unterstützer und Sponsoren, denen die Bewahrung der jüdischen Musik am Herzen liegt.
Ihre große Zeit hatte diese Kunst im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 1810 führte der Pädagoge Israel Jacobson in der Synagoge einer jüdischen Schule des Harzstädtchens Seesen erstmals die Orgel ein. Zwischen den jüdischen Gemeinden war diese Reform heftig umstritten, gewann jedoch immer mehr Anhänger. So konnte eine von Solo- und Chorgesang sowie einer kraftvollen Orgelbegleitung getragene Musik entstehen, die von den Traditionen der europäischen Orgelkompositionen und dem geistlichen jüdischen Gesang gleichermaßen beeinflusst war. Für Izsák ist diese Musik zur Quelle seiner persönlichen Vision von ihrer Neubelebung geworden.
1944 im jüdischen Ghetto von Budapest in einem orthodoxen Elternhaus geboren, hing sein Leben zunächst am seidenen Faden. Eine Bombenexplosion in unmittelbarer Nähe verletzte Gehör und Augen; die musikalische Begabung blieb ihm jedoch erhalten. Fasziniert hörte er als Kind das erste Mal in einem Film die Klänge einer Orgel. So etwas gab es in dem Gotteshaus seiner orthodoxen Gemeinde nicht, wohl aber in der Großen Synagoge in Budapest. Im 13. Lebensjahr, nach seiner Bar Mitzwa, wagte Izsák den Eltern zu gestehen: »Da will ich hin.« »Das war für sie wohl fast so schlimm wie ein Trauerfall«, erzählt er. Andor Izsák allerdings ist hartnäckig. Der talentierte Junge hat die Große Synagoge nicht nur besuchen, sondern bald auch selbst an der Orgel Platz nehmen und spielen dürfen.
Mit dem Erwerb der Villa Seligmann erfüllt sich für Andor Izsák ein Lebenstraum: Die 1938 zerstörte synagogale Musik bekommt eine neue Heimat. Bereits der Erbauer des Hauses, Siegmund Seligmann (1853–1925), seinerzeit Geschäftsführer der Firma Continental in Hannover und einflussreiches Mitglied des jüdischen Bürgertums, holte zu Lebzeiten namhafte Künstler der synagogalen Musik in seine Villa. In der Atmosphäre des großbürgerlichen Judentums des späten 19. Jahrhunderts soll sie nun erneut erklingen und auf den Orgeln aus den Synagogen, die Izsák in einer persönlichen Sammlung zusammengetragen hat, begleitet werden.
Seine Aufgabe sei musikalischer, nicht religiöser Natur, sagt der gläubige Jude Andor Izsák, für den der Gang in die Synagoge am Schabbat selbstverständlich ist. Aber vielleicht gehen von der Villa ja neue Impulse für das liturgische Leben aus: »Es kann nur dann eine neue synagogale Musikkultur entstehen, wenn ihre Wurzeln bekannt sind«, davon ist Izsák überzeugt. In diesem Sinne solle die Villa Seligmann ein lebendiger Ort sein, sagt er.
Bereits am kommenden Freitag, den 27. Juni, wird ein Symposium zum Thema »Jüdische Musik in Europa: Brücke im Dialog der Kulturen« den Garten der Villa mit Leben füllen. Unter den Rednern: Ministerpräsident Christian Wulff sowie der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans- Gert Pöttering. Im Gebäude selbst hat inzwischen die Restaurierung begonnen. »Das wird noch einmal teuer«, sagt Izsák und hofft, weitere potenzielle Sponsoren für seine Vision begeistern zu können.

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025