pluralismus

Friede, Freude und Kritik

Mit dem heutigen Wochenabschnitt beginnt die Josefsgeschichte, die sich über vier Paraschiot bis zum Ende des Buches Bereschit zieht. Sie bildet das Scharnier zwischen der Familiengeschichte Awrahams und Saras, die mit dem Aufbruch ins Land Israel begann, und der Mosesgeschichte, die vom Auszug aus Ägypten erzählt. Mit beiden ist sie eng verknüpft. Zugleich, auch wenn dies nicht ausdrücklich angesprochen wird, geht es um die beiden großen Verheißungen Gottes an Awraham und seine Nachkommen: ein großes Volk zu werden und das Land Israel zu erhalten.
In Josefs Familiengeschichte, die mit Awraham und Sara begann, ging es bisher in jeder Generation darum, ob es überhaupt einen Nachkommen gibt, der Träger von Gottes Verheißung an Awraham sein kann. Da gleichzeitig stets nur ein Kind diese Nachfolge antreten konnte, lesen wir von Familiendramen ohnegleichen: Brüder, die sich hassen, Mütter, die versuchen, ihre Konkurrentin in den Tod schicken, Väter, die sich feige abwenden und eines ihrer Kinder zugunsten des anderen im Stich lassen.

hürde Der Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern folgt zuerst genau diesem Familienmuster, wie auch der Vater eine unrühmliche und eskalierende Rolle spielt. Jakow bevorzugt Josef, und Josef verpetzt nicht nur seine Brüder beim Vater, sondern sagt ihnen sogar ins Gesicht, dass er sich selbst für etwas Besseres hält. Ein entscheidender Punkt allerdings hat sich geändert. Es ist nicht mehr nur ein einziges Kind, das Träger der Verheißung sein kann, sondern alle Söhne Jakows stehen gemeinsam gleichberechtigt in der Nachfolge Awrahams und bilden die Stammväter der zwölf Stämme Israels. Hiermit ist die entscheidende Hürde auf dem Weg genommen, ein großes Volk zu werden.
Die zweite Verheißung aber, das Land Israel zu erhalten, rückt mit der Josefsgeschichte in die Ferne. Drei Generationen lang lebten Awraham und seine Nachkommen im Lande. Nun aber treibt eine Hungersnot sie dazu, in Ägypten um Hilfe zu bitten. Josef, der dort zu Macht und Ansehen gekommen ist, kann seiner Familie helfen. So scheint das Ergebnis nachträglich allen recht zu geben. Josefs Arroganz scheint ebenso gerechtfertigt wie sein Verkauf in die Sklaverei durch seine Brüder, denn sonst wäre er in Ägypten nie einflussreich genug geworden, um ihnen bei der Hungersnot zu helfen. Und doch greift diese Deutung zu kurz: Josef hätte seinen Geschwistern sehr wohl helfen können, ohne sie in Ägypten anzusiedeln. Er zwingt sie, erst seinen Bruder Benjamin und dann auch noch seinen Vater Jakow nach Ägypten zu bringen. Doch hätte er seinen Brüdern Essen und Geschenke mitgeben und es ihnen ermöglichen können, im Land zu bleiben.
Die jüdische Tradition ist sich deshalb auch nicht sicher, was sie von Josef halten soll. Während sich die Tora selbst offenkundig am Ausgang der Geschichte orientiert und Josef positiv bewertet, ist das für den Midrasch nicht eindeutig. Hier werden Josefs Handlungen jeweils für sich betrachtet und die Fehler aus der Jugend nicht vom Erfolg des Erwachsenen aufgehoben.

harmonisierung Eine weitere Möglichkeit, Josef positiv zu bewerten, ist es, seine Fehler und die seiner Familie Gott anzulasten: Offenkundig haben gerade die Fehler der an der Josefsgeschichte beteiligten Personen langfristig positive Folgen. Dieser Überlegung zufolge hätte Gott Josef die Träume geschickt, die zu seinem Verkauf nach Ägypten führten, wie auch Gott es gewesen wäre, der Pharao und seinen Dienern Träume eingab. Das Problem einer solchen Deutung ist natürlich, dass die Protagonisten mehr oder weniger zu Marionettenpuppen in einem von göttlicher Hand gelenkten Spiel werden. Möglicherweise liegt hier der tiefere Grund für die zentrale Rolle der Träume in der Josefsgeschichte. Ein Gott, der Träume schickt, greift nicht mehr so direkt ein, wie er es noch bei Josefs Vater Jakow und den Generationen vor ihm getan hat. Die Träume brauchen nämlich, um wirksam zu werden, doch erst noch den menschlichen Interpreten.

kompromisslos Einen ganz anderen und viel schärferen Kommentar finden wir in der Haftara, die der wöchentlichen Parascha in der Regel inhaltlich nahesteht. Kompromisslos und kaum zu überbieten sind die Worte des Propheten Amos. Hier ist es unmöglich, eine höhere göttliche Ökonomie anzunehmen, nach der am Ende alles Unrecht ja auch zum Guten gedient hat. Hier werden die Verbrechen beim Namen genannt, angefangen beim Verkauf von Menschen in die Sklaverei und der Unterdrückung der Schwachen. Hier wird der Gang der Ereignisse nicht sanft durch Träume gelenkt, sondern Gott kündigt durch seinen Propheten Strafe an, gerade weil Er allein das Volk Israel auserwählt hat.
Es steht uns an, immer daran zu denken, dass beide Haltungen in der Bibel vertreten werden, dass beide im synagogalen Gottesdienst der Gemeinde vorgelesen werden. Die friedliche und harmonische Sicht der Josefsgeschichte ebenso wie die harte und kompromisslose Kritik menschlicher Schwäche durch den Propheten Amos. Angesichts dieser Vielstimmigkeit der Tora ist eines vielleicht auch besser zu verstehen: Ausgerechnet die Rettung der Familie durch Josef, die sie zu einem großen Volk werden ließ, gefährdete die zweite Verheißung, den Besitz des Landes Israel.

Hamburg

Zehn Monate auf Bewährung nach mutmaßlich antisemitischem Angriff

Die 27-Jährige hatte ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach einer Vorlesung über antijüdische Gewalt attackiert

 28.04.2025

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025