nahost

Freund und Feind

Israelische Soldaten, die kaltblütig wehrlose Palästinenser töten. Mütter, die mit ihren sterbenden Söhnen im Arm den Israelis ein verzweifeltes »Es ist genug« entgegenschleudern. Ein israelischer Offizier, der seinen Untergebenen mit einem Kopfnicken den Befehl gibt, mit Gewehrkolben auf wartende Palästinenser einzuschlagen – was in der neuen türkischen Fernsehserie »Ayrilik« (Trennung) in diesen Tagen zu sehen ist, vermittelt ein sehr eindeutiges Bild von Israel: das eines hoch gerüsteten Aggressors, der einen Volksaufstand brutal bekämpft.

Verhältnis »Es ist am Ende doch nur eine Fernsehserie«, versucht der türkische Vize-Premier Bülent Arinc die protestierende israelische Regierung zu beruhigen. Aber die Serie passt zum neuen Ver- hältnis zwischen der Türkei und Israel. Die früher enge Partnerschaft weicht mehr und mehr einem distanzierteren Verhältnis. Kritiker werfen der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, sich aus ideologisch-religiösen Gründen von dem lange Jahre einzigartigen Verhältnis zwischen der Republik am Bosporus und der jüdischen Demokratie abzuwenden. Der fromme Muslim Erdogan wird dabei auch von persönlicher Anteilnahme mit den zivilen Opfern des Gasakrieges umgetrieben. Doch der tiefere Grund liegt eher in machtpolitischen Faktoren.
In den 90er-Jahren, in denen die strategische Partnerschaft zwischen der Türkei und Israel entstand, habe sich die Nahostpolitik Ankaras ganz an der Achse USA –Israel ausgerichtet, kommentierte die Zeitung »Radikal«. Damals setzte das türki- sche Militär eine enge Kooperation mit der israelischen Armee durch. Heute hat sich die Lage grundlegend verändert. Die Regierung Erdogan will sich nicht mehr damit zufrieden geben, eine relativ passive Nah-
ostpolitik zu betreiben. Sie möchte die Türkei, das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, als regionale Füh-
rungsmacht etablieren, im Nahen Osten wie im Kaukasus und auf dem Balkan. Diese Verschiebung in der strategischen Vision der türkischen Außenpolitik ist der eigentliche Grund für die derzeitige Krise.

populismus Dabei ist unübersehbar, dass Erdogan und seine Kollegen auch Populismus betreiben: Der türkische Premier begründete die kürzliche Absage eines ge-
meinsamen Manövers mit Israel ausdrücklich mit »Forderungen aus der Bevölkerung«. Doch vor allem betrachten türkische Regierungspolitiker Kritik an Israel inzwischen als Gebot der Glaubwürdigkeit: Wenn die Türkei ihre angestrebte Rolle als Führungsmacht spielen will, kann sie nicht daran interessiert sein, in der arabischen Welt als bedingungsloser Partner Israels dazustehen.
Erdogans Türkei sieht sich als Land, das seine eigenen Prioritäten setzt und bereit ist, mit den Konsequenzen zu leben. »Die Türkei fühlt sich in der Lage, als Staat, der seine politischen Horizonte erweitert, mit möglicher Kritik aus Israel oder aus dem Westen zurechtzukommen«, schreibt der Kolumnist Sami Kohen, Doyen der außenpolitischen Kommentatoren, in der Zeitung »Milliyet«. Das trifft auch auf im Westen geäußerte Bedenken angesichts der rasanten Verbesserung im türkischen Verhältnis zu Syrien zu, die sich zeitgleich mit der Erosion der türkisch-israelischen Beziehungen abspielt. Es ist kein Zufall, dass kurz nach der Absage eines Militärmanövers mit israelischer Beteiligung in der Türkei nun über ein gemeinsames türkisch-syrisches Manöver gesprochen wird. Doch nicht nur Israel bekommt das neue türkische Selbstbewusstsein zu spüren. Selbst ein enger Partner wie Aserbaidschan kann nicht mehr damit rechnen, in Ankara stets Gehör zu finden: Die Türkei entschloss sich trotz Warnungen aus Baku zu einer Annäherung an Armenien.

unverständnis Erdogans neue Nahost-Politik ist in der Türkei durchaus umstritten. Doch die Kritik aus Israel an Ankara und der Fernsehserie »Ayrilik« stoßen in der Türkei größtenteils auf Unverständnis. Dass sich ausgerechnet der für seine harsche antiarabische Rhetorik bekannte israelische Außenminister Avigdor Lieberman über die TV-Serie aufrege, sei schon ein starkes Stück, kommentierte die »Radikal«-Kolumnistin Ceyda Karan. Sie sieht die türkische Kritik an Israel sogar als Begleiterscheinung eines guten Verhältnisses: »Freunde sagen auch Unangenehmes.«
Wenn das stimmt, hat die neue türkische Nahost-Politik in ihrem Streben nach Glaubwürdigkeit allerdings noch Nachholbedarf: Radikale Palästinensergruppen wie Hamas oder Akteure wie Syrien wurden von harscher Kritik aus Ankara bisher verschont.

Sydney

Jewish organizations decry the »scourge« of antisemitism

This time the focus is on Australia. It is hosting a conference of the international Jewish initiative »J7.« The group is presenting figures on Jew-hatred on the continent – and speaks of historic highs.

von Leticia Witte  03.12.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  02.12.2025

Thüringen

Verfassungsschutz-Chef schätzt AfD-Jugend als rechtsextrem ein

Die Mitglieder der »Generation Deutschland« würden in ihren ersten Auftritten »weder eine Mäßigung noch eine Distanzierung oder gar Wandlung« zeigen, so Kramer

 02.12.2025

Tel Aviv-Jaffa

Shimon-Peres-Preis wird erstmals in Israel verliehen

60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind der Anlass: Zum ersten Mal wird der Shimon-Peres-Preis für gemeinsame demokratische Vorhaben in Israel feierlich übergeben

von Alexander Riedel  01.12.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025