Venezuela

Feind und Helfer

von Hans-Ulrich Dillmann

Es geschah nur wenige Stunden nach dem Kabbalat-Schabbat-Gottesdienst in der Tiferet-Israel-Synagoge in Caracas. Fünfzehn schwarz gekleidete, vermummte Personen drangen am Freitag vorvergangener Woche kurz nach 22 Uhr in das sefardische Gemeindezentrum im Stadtteil Maripérez ein. Mehrmals schossen die schwer bewaffneten Täter in die Luft und nahmen dann blitzschnell den beiden Wächtern, die das Gemeindezentrum nachts sichern, ihre Waffen ab. Von dort aus gelangte die Gruppe in die Büros und in die Bibliothek, wo sie Bücher aus den Regalen rissen.
»Raus – Tod euch allen!«, schmierten sie an die Bürowände, »Verfluchtes Israel«, »Mörder«, »Wir wollen euch nicht, ihr Mörder«. Im Betsaal brachen sie den Aron Hakodesch auf, rissen Torarollen heraus – und nahmen die Aufzeichnungen der Überwachungskameras mit.
Am Morgen danach standen Mitglieder der Gemeinde sprachlos vor den Toren des Zentrums. »Das ist ein schwarzer Tag für uns«, sagt Marcos Cohen, und der Schock ist ihm anzusehen. Seit 52 Jahren lebt er in Venezuela. »Das hat es noch nie gegeben. Seit dem Zweiten Weltkrieg war keine Regierung antisemitisch, aber jetzt müssen wir uns bedroht fühlen.« Auch andere machen die Regierung für den Überfall verantwortlich. »Die sind gekommen, um uns Angst zu machen«, sagt Deborah Silverman. »Das war kein gewöhnlicher Einbruch.«
Am vergangenen Samstag, knapp eine Woche nach der Tat, verhaftete die venezolanische Polizei sieben Polizisten und vier Zivilpersonen. Sie werden verdächtigt, den Überfall auf die Synagoge verübt zu haben. Neben einer Kriminalbeamtin wurde auch ein ehemaliger Wachposten in der Synagoge in Haft genommen. Er war zeitweise Leibwächter von einem der Rabbiner der Synagoge. Bei Hausdurchsuchungen sei Beweismaterial gefunden worden, meldete das Innenministerium. Die Täter hätten über den Ex-Leibwächter erfahren, wie man in das Gemeindezentrum eindringt.
»Wir sind schockiert«, sagt Abraham Levi, Präsident des Verbands der jüdischen Gemeinden in Venezuela (CAIV). In dem lateinamerikanischen Land leben insgesamt 15.000 Juden, die Mehrheit in der Hauptstadt Caracas. Auch der CAIV macht die Regierung für den Anschlag verantwortlich. »Sie hat eine antijüdische Haltung eingenommen«, klagt Levi.
Das Verhältnis zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der Regierung, und vor allem zu Staatspräsident Hugo Chávez, ist angespannt. Seit Jahren sorgt Chávez mit anti-israelischer Rhetorik und zum Teil offenem Antisemitismus für Streit. Zwar hat er noch vor ein paar Wochen zusammen mit seiner argentinischen Amtskollegin Cristina Fernández de Kirchner und dem brasilianischen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva eine Erklärung unterzeichnet, in der auch Antisemitismus verurteilt wird. Doch das hindert ihn nicht, mit gezielten Anspielungen gegen Israel und die Weltherrschaft des Judentums die Klaviatur des Antisemitismus zu spielen.
In den vergangenen Jahren waren die jüdischen Organisationen bemüht, die Regierung nicht offen anzugreifen. Angesichts des Überfalls auf die Tiferet-Israel-Synagoge haben die CAIV-Vertreter die Zurückhaltung nun aufgegeben. »Ich fordere die Regierung auf, für unsere Sicherheit zu sorgen«, sagte der Gemeindevorsitzende der Israelitischen Vereinigung in Venezuela, Elías Farache. »Wir sind jüdisch-venezolanische Staatsbürger und verlangen Sicherheit, damit wir unseren Glauben frei ausüben und in Normalität leben können.«
Chávez selbst weist jede Verantwortung für den Überfall von sich. Er nütze »weder der Regierung, noch dem Volk, noch der Revolution«, sagte er. »Wir verurteilen die Gewalt, und wir bekämpfen sie.«
Inzwischen haben führende jüdische Vertreter den venezolanischen Außenminister Nicolás Maduro und Informationsminister Jesse Chacón getroffen. Man werde keine »antijüdischen Äußerungen« hinneh- men, sagte Maduro. Doch diese Worte beruhigen die Gemeindemitglieder nicht. Wer es sich leisten kann, sieht sich nach einer Zukunft im Ausland um. Jüdische Gemeinden in Panama, Mexiko und auf einigen Inseln der Karibik vermelden bereits Zuwachs.

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