Samson und Dalila

Falscher Alarm

von Ulrike Gondorf

Was wusste man aus den Medien nicht alles schon über diese Inszenierung, längst bevor der Vorhang zum ersten Mal aufgegangen war. Geschmacklos und brutal – 8000 Liter Theaterblut für diese Produktion! Jugendgefährdend! Zynisch und menschenverachtend! Solisten und Chorsänger geben ihre Partien zurück, weil sie Nervenzusammenbrüche auf den Proben erleiden und Schlafstörungen hinterher. Gewaltverherrlichend und antisemitisch! Denn der Regisseur Tilman Knabe lässt sein Stück in Gasa spielen, mitten im Krieg!
Das hatte der Komponist Camille Saint-Saëns allerdings selbst auch getan. »Gaza« steht als Schauplatz im Libretto der Oper »Samson und Dalila« , uraufgeführt 1876 in Weimar unter Leitung von Franz Liszt. Nun sind in der Geschichte aus dem Buch der Richter die Juden die Unterdrückten und die Philister die brutalen Sieger. Um heutige israelische Politik zu kritisieren, dürfte der Stoff also denkbar ungeeignet sein. So viel zum Killerargument des Antisemitismus, das durch die Internetforen kursierte, in der auch »Volkes Stimme« gegen die Exzesse des Regietheaters, das auch noch aus Steuergeld finanziert werde, in erschreckend reaktionären Tönen wütete.
Alles, wie gesagt, bevor man eine einzige Szene gesehen hatte. Denn wegen einer Erkrankung der Hauptdarstellerin musste die Premiere um eine Woche verschoben werden. Statt, wie geplant, am 2. Mai, fand sie nun vergangenen Samstag statt. Die großartige Darstellerin Ursula Hesse von den Steinen war immer noch nicht gesund und musste sich die Stimme von Irina Mishura »leihen«, die die Partie auf der Bühnenseite sang. Nach knapp zwei pausenlosen und spannenden Stunden – in denen nicht ein einziger Zuschauer das Theater verließ – war für die Mehrheit des Publikums klar, dass man einen musikalisch qualitätvollen Abend mit eindrucksvollen Sängerdarstellern gesehen hatte, in einer anstrengenden, düsteren szenischen Interpretation, die von den Fragen des Stücks ausgeht und sehr zugespitzte Antworten findet. Gewiss, manchmal schießt Regisseur Tilman Knabe dabei übers Ziel hinaus, scheint gelegentlich zu verkennen, dass Oper keine realistische Kunstform ist ‚und Detonationen, Schreie und Stöhnen zur Musik eines Symphonieorchesters nicht erschreckend wirken, sondern eher theatralisch aufgesetzt. Viel stärker und schockierender sind die verfremdeten Bilder des Abends in zerdehnt langsamen Bewegungen, grell farbigen Beleuchtungen, die das Geschehen zeichenhaft verdichten. Keinesfalls kann man dem Regisseur unterstellen, dass er bloß auf Provo- kation oder inszenierten Skandal aus gewesen sei.
Ja, es gibt viel Gewalt in dieser Inszenierung. Aber »Samson und Dalila« ist ohnehin ein schreckliches Stück. Krieg und Schlachten ohne Ende, ohne Lichtblick, im Namen eines Gottes, den beide Parteien nur um eines bitten: mehr Stärke, mehr Macht, mehr Waffen zur Vernichtung des Gegners. Alle, ausnahmslos alle handelnden Personen sind besessen von diesem Hass. In der großen Verführungsszene des zweiten Aktes wird deutlich, wie selbst Liebe und körperliche Hingabe instrumentalisiert werden für diesen tödlichen Zweck. Die Fortsetzung des Kampfes mit anderen Mitteln – falsches Gefühl, aufregend modern in Töne gesetzt von Saint-Saëns. Und Tilman Knabes Regie macht hier das Hörbare sichtbar. »Schöne«, exotisch schillernde und wohlig-wollüstige Musik ist das nur, wenn man es aus dem Zusammenhang reißt und degradiert zur Wunschkonzertnummer. Wer das will, ist hier in der falschen Veranstaltung. Aber er hat auch nicht die richtige Vorstellung davon, was ein als öffentliche Aufgabe finanziertes Theater zu leisten hat. Ernsthafte, radikale Hinterfragung eines Werks und drastische, aufrüttelnde Kritik an Krieg und allen Formen zwischenmenschlicher Gewalt sind jedenfalls alles andere als ein Skandal.

Nächste Aufführungstermine 16., 23., 29. Mai, 5. Juni , jeweils 19.30 Uhr
www.buehnenkoeln.de

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025

Abkommen

»Trump meinte, die Israelis geraten etwas außer Kontrolle«

Die Vermittler Steve Witkoff und Jared Kushner geben im Interview mit »60 Minutes« spannende Einblicke hinter die Kulissen der Diplomatie

von Sabine Brandes  20.10.2025

Washington

Trump droht Hamas mit dem Tod

Die palästinensische Terrororganisation will ihre Herrschaft über Gaza fortsetzen. Nun redet der US-Präsident Klartext

von Anna Ringle  16.10.2025

Terror

Hamas gibt die Leichen von Tamir Nimrodi, Uriel Baruch und Eitan Levy zurück

Die vierte Leiche ist ein Palästinenser

 15.10.2025 Aktualisiert

München

Friedman fordert Social-Media-Regulierung als Kinderschutz

Hass sei keine Meinung, sondern pure Gewalt, sagt der Publizist. Er plädiert für strengere Regeln

 10.10.2025

Waffenruhe

»Wir werden neu anfangen, egal, wie schwer es ist«

Im Gazastreifen feiern die Menschen die Aussicht auf ein Ende des Krieges

 09.10.2025

Perspektive

Wir lassen uns nicht brechen – Am Israel Chai! 

Ein Zwischenruf zum 7. Oktober

von Daniel Neumann  06.10.2025

Berlin

Preis für Zivilcourage für Brandenburger Bürgermeisterin

Christine Herntier wird für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus vom »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ausgezeichnet

 01.10.2025