Grundschule

Eine Klasse für sich

von Brigitte Jähnigen

Als Meilenstein für das jüdische Leben in Stuttgart und Baden-Württemberg wurde am vergangenen Montag die Wiedereröffnung der jüdischen Grundschule gefeiert. Doch die größte Aufmerksamkeit der Medien galt diesmal nicht der Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Diplomatie, Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern den 15 ABC-Schützen.
»Mi bakita, mi bakita – wer ist in der Klasse« schmettern Devid, Veronika, Olga, Nili und die anderen Drei- bis Fünfjährigen in den proppevollen Gemeindesaal. Der bühnenreife Auftritt der Kindergartenkinder bringt Schwung in die von vielen Festtagsreden ermüdete Gesellschaft. Marc und Daniel, zwei der bisher 15 Erstklässler, wagen sich an den Bühnenrand, dorthin wo die Ehrengäste – unter ihnen Ministerpräsident Günther H. Oettinger und Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch – Platz genommen haben.
»Tra-Ri-Ra, die Schule, sie ist da«, singen die Kleinen jetzt, und manche Erwachsenen bekommen feuchte Augen vor Rührung. »Unsere Kinder sind die Zukunft der Gemeinde«, hat Landesrabbiner Netanel Wurmser gesagt. Und dass für eine solche Zukunft keine Arbeit und Kosten gescheut würden. Nach mühevoller Vorarbeit sei es mit Hilfe von Land und Kommune gelungen, die jüdische Grundschule wiederzueröffnen. Die Kinder, die in vernünftiger Balance zwischen Spielen und Wissensvermittlung leben würden, lernten auch Verantwortung in zwei Richtungen: Die gegenüber Gott und die gegenüber den Menschen. »Ethische Werte sind die beste Ausrüstung für ein Leben in der technologisierten Welt«, sagt Wurmser und spricht einen Segen für die drei Lehrer.
Marc und Daniel haben nicht nur ihre Schultüte genau inspiziert, sondern kennen auch ihren Stundenplan schon. Wie bei vielen Gleichaltrigen in den anderen Stuttgarter Schulen stehen Fächer wie Mathematik und Deutsch, MNK (Mensch, Natur und Kultur) und Englisch darauf. Iwrit und jüdische Religion aber gibt es nur bei ihnen.
»Neugierig« sei er auf die neue Schule gewesen, gesteht Günther H. Oettinger. Und lädt als Landesvater vom »Kinderland Baden-Württemberg« die Schulanfänger für den kommenden Frühling zu einem Besuch in seine Regierungsresidenz, die Villa Reitzenstein, ein. Auch das Geschenk für die Erwachsenen fällt mit 485.000 Euro üppig aus: »Ich garantiere mit dem Staatsvertrag, dass der Gründung weiterer jüdischer Grundschulen im Land und später einer weiterführenden Schule in Stuttgart nichts im Wege steht«, sagt Oettinger.
Nicht nur Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, freut sich über soviel Zukunftssicherheit. »Die Kinder sollten lernen: Es macht Spaß, Jude zu sein«, so Knobloch. Und Spaß sei mit lebenslangem Lernen verbunden.
Das sieht auch Marc so: »Ich lerne sehr gut, ich bin streng religiös und deshalb bin ich hier«, sagt der Siebenjährige mit den Schläfenlocken. Daniel hingegen bekennt, dass er »nicht streng religiös« sei, aber ebenso fleißig lernen wolle. Irina Feldman, Daniels Mutter, hofft, dass ihr Sohn in der Schule Toleranz einübe und eine gute Lebensperspektive bekäme. Daniel hat russische Wurzeln, eine jüdische Identität und ist in Deutschland geboren. »Es ist nicht leicht für unsere Kinder, einen eigenen Platz zu finden«, sagt Irina Feldman.
»Alles neu« befindet Maurice die Optik um ihn herum. Die neuen Lehrer, die neuen Mitschüler, die neue Schule mit ihrem frischen Duft, die Computer und den kleinen Maulwurf, eine Stoffhandpuppe für den Englisch-Unterricht. Auch die Männer mit den Bärten sind neu für ihn und sehen im Blick des Zehnjährigen »bisschen komisch« aus. Maurice ist evangelisch getauft und hatte bisher keinen Bezug zum Judentum. Das hielt aber seine Eltern nicht davon ab, ihren Sohn bei der jüdischen Grundschule anzumelden. »Das Konzept entspricht genau unseren Vorstellungen«, sagt Maurice’ Mutter, Anja Vogel. Vor allem die Ernsthaftigkeit des Lernprinzips und die Erziehung zur Toleranz imponieren ihr.
Dass die Schule das Prinzip der Toleranz vermitteln wolle, dafür stehe auch das kleine Lehrerkollegium ein, wie beispielsweise Julia David. Die 26-Jährige hat bisher an einer staatlichen Grundschule unterrichtet. »Ich denke, meine Bewerbung für die jüdische Schule wurde angenommen, weil ich als Austauschstudentin ein Jahr am Lewinski-College in Tel Aviv studiert habe«, sagt die Katholikin. Rafael Luwisch ist das interreligiöse Leben an einer jüdischen Schule überhaupt nicht fremd. Der Konrektor der I.E. Lichtigfeld-Schule ist extra von Frankfurt nach Stuttgart gereist, um »Mut zu machen«. Fast illegal, in zwei kleinen Räumen der Synagoge hätten die Frankfurter 1966 mit ihrer jüdischen Schule begonnen. Heute lernen mehr als 500 Schüler in neuen Räumen.
»Es ist ein Riesenereignis für uns, ein historischer Moment«, beschreibt Landesrabbiner Netanel Wurmser am Ende des Eröffnungstages seine Gefühle und Gedanken. Sorgen um die Zukunft der neuen Schule der Stuttgarter Gemeinde macht er sich keine. »Wir haben bis zu 50 Kinder im Kindergarten, das ist der Nachwuchs für die Schule«, zeigt sich der Rabbiner zuversichtlich. Und mit 150 Euro Schulgeld pro Monat inklusive Essen sei der Besuch einer jüdischen Schule auch kein Luxus. »Bei finanziell schwach gestellten Familien suchen und werden wir auch eine Lösung finden«, sagt der württembergische Landesrabbiner.

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