Friedhofsführer

Ein Winterspaziergang

von Sigrid Bellack

»Da, wo Chamottefabriken stehn – Motorgebrumm – da kannst du einen Friedhof sehn, mit Mauern drum. Jedweder hat hier seine Welt: Ein Feld.« (Theobald Tiger 1925).
Als Kurt Tucholsky seine frechen Verse zum Jüdischen Friedhof Weißensee schrieb – und ihm damit ein Denkmal setzte –, war dieser in geometrischen Feldern angelegte Ort der Toten erst 45 Jahre alt. Wir gehen im Februar 2009 durch einen beschneiten verwunschenen Ort, der still ist, keine Schamottfabriken lärmen mehr und kein Motorgebrumm dringt durch die dichte Vegetation. Mächtige Eichen, Platanen, Linden beschirmen die Felder der Toten, zwischen den mit Bedacht gepflanzten Alleen haben sich in den vergangenen 70, 80 Jahren unzählige Birken, Kiefern, Schwarzpappeln, Ahörner ausgesät. An ihnen klettert Efeu hoch, bedeckt den Boden, bekleidet Erbbegräbnisse, Mausoleen, rankt sich um zierliche geschmiedete Eisengitter, verdeckt Inschriften – und macht diesen »Guten Ort« der ewigen Ruhe neben seiner eigentlichen Funktion und (kunst)historischen Bedeutung zu einem sinnlichen Naturerlebnis.
Auf dem größten Berliner jüdischen Friedhof liegen 115.000 Tote. Wer diesen Friedhof besuchen möchte, hat jetzt mit dem soeben erschienenen Lesebuch zur Ge-
schichte des Friedhofs von Dietmar Strauch einen fundierten Friedhofsführer.
Jedes der 16 Ehrengräber des Landes Berlin und darüber hinaus etwa 60 weitere Berliner, die sich um Medizin, Kunst, Kultur, Politik, Industrie und Handel verdient gemacht haben, jüdische Gelehrte waren, als Widerstandskämpfer umgebracht wurden oder – wie der Computerpionier und Gesellschaftskritiker Joseph Weizenbaum – erst in jüngster Zeit starben, stellt das Buch – mit Lageplan und Rundgang – vor. Die Verstorbenen werden mit ihrem Wirken in ihrer Zeit erwähnt und ihr Platz –»Feld Z 4, Reihe 1« – auffindbar markiert. Dies ge-
schieht gut recherchiert und durchaus un-
terhaltsam; nüchtern Biografisches wird ergänzt durch Anekdoten, viele Abbildungen und weiterführende Literaturhinweise. Strauchs Fundstücke sind nicht ohne Ko-
mik, zum Beispiel zitiert er die »Allgemeine Zeitung des Judentums« von 1912, die kritisiert, dass »noch nach dem Tode ein Wett-
rennen der für die Monumente aufgewandten Kapitalien« stattfände und die argwöhnt, dass der Grund dafür Architektennachwuchs in den Familien sei: »Und diese jungen Leute, die sich mit dem Monument für ihre verstorbene Tante die architektonischen Sporen verdienen wollen, entfalten bei dieser Erstlingsarbeit die ganze Fülle des auf den technischen Hochschulen erworbenen Formenschatzes ...«
Einer dieser Marmorpaläste ist das Mausoleum des Verlegers Rudolf Mosse (Berliner Tageblatt).
Ebenfalls in Weißensee ist Lina Morgenstern beerdigt, die als »Suppenlina« und Erfinderin der Volksküchen berühmt wurde. Es ruhen Samuel Fischer und Hermann Tietz, Verleger der eine und Kaufhaus-Dynastiebegründer der andere. Das Grab des Hoteliers Berthold Kempinski zeigt ein Halbrelief und verstößt damit gegen das Bilderverbot auf jüdischen Friedhöfen, »weil es den Anschein haben würde, als würde ein solches lebloses Bildniß von denen, die ihre Gebete an den Gräbern verrichten, angebetet«, so das Berliner Rabbinat um die 20. Jahrhundertwende.
Durch die Stille erklingt plötzlich Gesang, eine Beerdigung. Ein russischer Bariton ehrt und verabschiedet den Toten.
Auf der Grabstätte eines anderen Baritons, Joseph Schwarz, gestorben 1926, stehen die Worte aus Psalm 90: »Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für«.
Rabbiner Martin Riesenburger, 1965 hier beerdigt, schrieb in seinen Erinnerungen: »… nun, da die sterblichen Überreste dort unter diesem Tempel schon siebzehn Jahre ruhten, wurde seine Grabstätte nächtlicherweise oft eine Zufluchtstätte für illegal le-
bende Juden, für gehetzte Menschen, die zur Zeit des Abends nicht mehr wussten, wo sie ihr Haupt, sei es auch nur für Stunden, zur Ruhe legen durften. In der Mitte des Daches dieses Erbbegräbnisses befand sich eine Glasplatte. Man hob diese immerhin schmale Platte und suchte sich links oder rechts von ihr ein Ruhelager für die Nacht. ...«
Wir gehen noch zum Grab Stefan Heyms. In einem seiner Gedichte heißt es: »Trauert darum nicht, sondern freut euch, dass die Sonne für euch scheint, und gedenkt meiner, wenn ihr’s gelegentlich tut, in Freundlichkeit. S.H.« Das taten wir.

dietmar strauch: adagio – feld o
biographische recherchen auf dem jüdischen friedhof berlin-weißensee edition progris, Berlin 2008, 12,50 Euro

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