Interview

»Die entscheidende Frage ist: Schaffen wir es als Gesellschaft, uns auf eine Grenze der Belastbarkeit zu verständigen?«

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Die AfD liegt in fast allen Umfragen bundesweit deutlich über der 20-Prozent-Marke. Vor zwei Jahren war sie nur halb so stark. Driftet Deutschland wieder nach Rechtsaußen, Frau Ministerin?
Mir macht diese Entwicklung große Sorgen. Ich fürchte, dass wir inzwischen eine ähnliche Entwicklung durchmachen wie andere europäische Länder auch. Rechtspopulismus und Rechtsextremismus haben weltweit Konjunktur, und dass das auch in Deutschland kein Tabu mehr ist, ist besorgniserregend.

Ihre Parteifreunde in Thüringen haben im Landtag eine Steuererleichterung mit den Stimmen der AfD durchgebracht, für die die CDU alleine keine Mehrheit gehabt hätte. War das ein Tabubruch?
Ich finde es legitim, dass die CDU Thüringen in dieser besonderen Situation einer Minderheitsregierung ihren Standpunkt in einer fachlich unverdächtigen Frage deutlich macht. Es muss für die CDU möglich sein, auch in einer Konstellation wie in Thüringen politische Akzente zu setzen und sich die Agenda nicht von den Radikalen diktieren zu lassen. Ich sage aber auch, dass es mir großes Unbehagen bereiten würde, wenn das dort zum Regelfall würde. Das kann nur besonderen Ausnahmefällen gelten. Ein Tabubruch war aber dieses Vorgehen nicht, weil ihm keine Absprachen mit der AfD zugrunde lagen.

Jetzt hat die CDU Thüringen wieder einen Antrag eingebracht, diesmal für ein Verbot des Genderns. Die AfD könnte ihm erneut zu einer Mehrheit verhelfen. Welchen Zweck hat das?
Zum Umgang mit geschlechtergerechter Sprache hat die CDU Thüringen im vergangenen Jahr bereits im Parlament ihren Punkt gemacht. Ich sehe keinerlei Veranlassung, als Oppositionspartei jetzt mit einem Gesetzentwurf ins Parlament zu gehen und erneut zu riskieren, dass man – zudem noch in einer zum Kulturkampf hochstilisierten Frage - mit der AfD gemeinsame Sache macht. Ich würde dringend davon abraten, dieses Vorhaben weiter zu verfolgen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte jüngst, dass ein Beschluss, der mit der Zustimmung der AfD zustandekomme, nicht automatisch eine Zusammenarbeit mit dieser Partei bedeute. Kritisiert wurde er dafür kaum. Hat die Brandmauer gegen Rechtsaußen Risse bekommen?
Man muss schon einmal festhalten: Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist Aufgabe aller demokratischen Parteien, nicht nur der Union. Mein Eindruck ist, dass sich einige Parteien einen schlanken Fuß machen und die Verantwortung für diesen Abwehrkampf ausschließlich uns zuweisen. Wir sollten uns alle gemeinsam mit den Gründen beschäftigen, warum Menschen Rechtspopulisten und Rechtsextreme wählen. Diese Kräfte haben ja für keins der großen gesellschaftlichen Probleme auch nur im Ansatz eine Lösung. Für die CDU ist völlig klar: Es kann keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben - auf keiner Ebene. An diesem Grundsatz hat sich nichts geändert. Gar nichts!

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Müsste die CDU sich in Ländern wie Thüringen nicht ehrlich machen und zur Not auch eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Betracht ziehen? Bislang wurden Linkspartei und AfD ja auf eine Stufe gestellt…
Man kann die beiden Parteien gerade in Thüringen nicht auf die gleiche Stufe stellen, das wäre falsch. Trotzdem kann man als CDU, die einen antitotalitären Politikansatz hat, eine Regierungskoalition sowohl mit der AfD als auch mit den Linken ausschließen.

Ihr Parteifreund, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, hat die Höcke-AfD eine »Nazi-Partei« genannt. Stimmen Sie dieser Beschreibung zu?
Die AfD ist in weiten Teilen eine rechtsex­tremistische Partei. Björn Höcke bedient die Narrative der Nationalsozialisten, deshalb würde ich ihn, wie Hendrik Wüst das getan hat, als Nazi bezeichnen. Und Höcke ist nun mal der Mann, der in der AfD die Fäden zieht. Viel wichtiger ist mir aber, dass wir weniger über die AfD reden als über ihre Wähler. Es gibt darunter sicher Menschen, die eine rechtsextreme Gesinnung haben. Aber es gibt eben auch Menschen, die enttäuscht sind von den demokratischen Parteien, weil wir bei bestimmten Fragen keine Lösungsansätze entwickelt haben. Wir sollten uns um die kümmern und weniger um die AfD. Ein Gelehrtenstreit über die Frage, wie man die AfD nennen darf, beantwortet keine der wirklich drängenden Fragen.

Aber sollte man eine »Nazi-Partei« nicht verbieten? Oder haben Sie Angst, dass das Bundesverfassungsgericht erneut Nein sagen könnte?
Wenn man zu einem Prüfergebnis kommt, dass die Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen, sollte man ein entsprechendes Verfahren auch anstrengen. Nicht umsonst haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes nach der Erfahrung des Nationalsozialismus die Möglichkeit geschaffen, Parteien, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zerstören wollen, verbieten zu lassen. Also ist das immer eine Option, die in Betracht kommt. Ich glaube aber, dass es im Augenblick wichtiger ist, sich mit den Wählerinnen und Wählern der AfD zu beschäftigen. Wir müssen Wege finden, die Menschen zurückzuholen in den Raum, in dem demokratische Parteien sich bewegen.

Viele Anhänger der AfD sind keine Protestwähler, sondern vertreten ein rechtsextremes und antisemitisches Gedankengut. Ist das nicht das Eingeständnis, dass die Bildungspolitik in Deutschland völlig versagt hat?
Die Gleichung, dass Bildung in jedem Fall gegen extremistische Gesinnung schützt, geht leider nicht auf. Ganz so einfach ist es nicht und auch nie gewesen. Es geht auf der einen Seite um Bildung, um das Wissen um Menschenrechte und Demokratie, um geschichtliches Wissen und um die Fähigkeit, historische Ereignisse einzuordnen und die Entwicklung im Land einzuordnen. Aber es geht auch um Empathie. Viele Menschen wenden sich Extremisten zu, obwohl sie selbst keine sind - aus Protest gegenüber bestehenden Verhältnissen oder weil sie sich überfordert fühlen angesichts der komplexen Herausforderungen, vor denen wir stehen, und mit ihren Problemen und Gefühlen nicht gesehen werden. Das trägt zu den aktuellen Umfragewerte der AfD bei.

Apropos Empathie: Müssen Sie sich als Politikerin mit jüdischen Wurzeln, zu deren Vorfahren auch Schoa-Opfer zählten, nicht ziemlich verbiegen, um auf Menschen mit antisemitischen und rechtsextremen Einstellungen zuzugehen?
Ich will nicht verhehlen, dass ich die eine oder andere schlaflose Nacht verbringe. Ich empfinde es als tragisch, dass ich knapp 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland in einer Situation lebe, in der rechtsradikales und antisemitisches Gedankengut wieder gesellschaftsfähig geworden ist. Damit hadere ich sehr. Man darf an dieser Stelle aber nicht aufgeben und die Flinte ins Korn werfen. Jetzt erst recht muss man für eine freiheitliche, humane Gesellschaft kämpfen. Es war ja der Fehler der Weimarer Republik, dass die Demokraten nicht gemeinsam für Freiheit und Demokratie gekämpft, sondern sich gegenseitig angefeindet haben. Aktuell kämpfen demokratische Parteien zu wenig gemeinsam um die Menschen. Wir haben nur dieses eine demokratische Deutschland, und dafür müssen jetzt gemeinsam kämpfen.

Ein Schlüsselthema ist die Regelung der Zuwanderung. Kommunalpolitiker aller Parteien klagen über eine Überlastung. Braucht es eine Obergrenze? Und soll das Grundrecht auf Asyl abgeschafft werden, wie einige in Ihrer Partei fordern?
Es geht nicht um Begriffe, es geht um Lösungen! Alle demokratischen Parteien, Bund und Länder, sollten sich jetzt an einem Tisch setzen und wie bei der Asylrechtsreform 1992 miteinander beraten und dann auch etwas verabschieden. Der Schlüssel zur Lösung liegt allerdings weniger im Grundgesetz. Das Recht auf Asyl darf nicht zur Diskussion stehen, und die Union stellt es auch nicht in Frage. Gerade einmal ein Prozent der Zuwanderer erhalten am Ende politisches Asyl. Das eigentliche Problem liegt in den europarechtlichen Regelungen und in der Genfer Flüchtlingskonvention.

Und wie kann man es lösen?
Die entscheidende Frage ist: Schaffen wir es als Gesellschaft, uns auf eine Grenze der Belastbarkeit zu verständigen? Und verabreden wir die entsprechenden Maßnahmen? Wir brauchen dringend die Umsetzung der zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU verabredeten Reform des Asylverfahrens. Das Europaparlament sollte ihr zustimmen. Wir müssen außerdem darüber nachdenken, wie man, zum Beispiel über die Auslegung des Europarechts und der UN-Flüchtlingskonvention, zu neuen Verabredungen kommen kann. Wir sollten im Einzelfall auch über temporäre Kontrollen an den EU-Binnengrenzen reden und über die Frage, ob unser Land aufgrund unserer Sozialgesetzgebung zu attraktiv für Zuwanderer ist. Auch weitere Rückführungsabkommen mit Ländern außerhalb Europas und die Ausweitung der sichereren Herkunftsstaaten sind Elemente. Am Ende gibt es nicht das eine Allheilmittel, auch die Obergrenze ist keins.

Ersetzen Sie jetzt nicht Angela Merkels »Wir schaffen das« durch ein »Wir schaffen es nur noch bis hierhin und nicht weiter«?
Mit Blick auf die Belastbarkeit unserer Infrastruktur, unserer Integrationsfähigkeit, würde wohl auch Angela Merkel heute nichts anderes sagen. Wir leben in einer anderen Situation als in 2015. Die Menschen haben auch durch die Pandemie viel mitgemacht. Wir haben über eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen in unsere Sozialversicherungssysteme, in unser Schulsystem, in unsere Gesundheitsversorgung. Wir haben einen Fachkräftemangel in vielen Bereichen, die für die Aufnahme und Integration von Geflüchteten essentiell sind. Deshalb muss man solche Aussagen immer an der Realität überprüfen. Unsere Flüchtlingspolitik wird weiter gleichermaßen von Humanität und Steuerung bestimmt sein.

Sehen Sie angesichts der vielen Verwerfungen in Deutschland langfristig eine Gefahr für jüdisches Leben?
Von staatlicher Seite sehe ich keine Gefahr, im Gegenteil: Ich sehe parteiübergreifende Anstrengungen darum, jüdisches Leben sichtbarer und sicherer zu machen. Ich sehe aber durchaus einen enormen Anstieg antijüdischer Verschwörungstheorien und Stereotype in der Gesellschaft und im Internet. Das ist zwar eine Minderheit, aber eine signifikante. Juden in Deutschland müssen deshalb weiter achtsam bleiben.

Ist die Demokratie auf deutschem Boden in Gefahr?
Ich werde den Teufel nicht an die Wand malen. Wir leben in einer wehrhaften und starken Demokratie. Aber sie lebt davon, dass die Menschen sie auch tragen und beschützen.

Mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU und schleswig-holsteinischen Kultusministerin sprach Michael Thaidigsmann.

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