kiddusch

Der Rabbi als Dompteur

Kürzlich war ich am Nachmittag allein zu Hause und hatte gerade nichts zu tun. Ich schaltete den Fernseher an und guckte Kinderkanal. Es ging um Robben. Man sah einen Dresseur, wie er Robben beibrachte, mit ihren Vorderpfoten zu klatschen. Danach gab es einen Fisch zur Belohnung. Es waren sehr intelligente Robben. Sie konnten rückwärts watscheln, sich einmal um die eigene Achse drehen und auf Befehl ins Wasser springen. Für jedes Kunststück gab es einen Fisch. Mir schien jedoch, dass die Robben unzufrieden mit ihrem Dompteur waren. Ich glaube, sie hatten großen Hunger. Der Dompteur ließ sich davon aber nicht beeindrucken und forderte immer mehr.
Entnervt von diesem Schauspiel schaltete ich den Fernseher wieder aus. Plötzlich fiel mir ein, an wen mich dieser Dompteur erinnerte: an unsere Rabbiner! Vielleicht kennen Sie das auch: Sie haben drei Stunden gebetet und stehen nun im Kiddusch-Raum. Sie haben großen Hunger. Der Rabbiner schreitet zu seiner letzten Aktion an diesem Schabbat, dem Kiddusch. Doch bevor es so weit ist, nervt er die Hungrigen mit einer zweiten Rede. Die erste hat er schon in der Synagoge gehalten, jetzt strapaziert er die Nerven seiner Mitglieder nochmals.
Das ist in meinen Augen gröbster Unfug und sollte von jedem Rabbiner unterlassen werden! Ich hasse es, wenn der Rabbiner den Entertainer mimt: »Bevor wir unsere Bäuche vollschlagen mit den Leckereien, die übrigens von Frau Lewenstein, in Andenken ihres verstorbenen Ehegatten, großzügig finanziert wurden, möchte ich nochmals auf einen Punkt meiner Rede zurückgreifen ...« Nun weiß ich, wie Zirkus-Robben leiden.
Einmal habe ich sogar erlebt, wie ein Rabbiner lobenswert gleich mit dem Kiddusch begonnen hat, dann aber plötzlich in der Mitte des Gebets einen Vortrag hielt. Die Menschen standen blöd mit den Minibecherchen in der Hand und lauschten den Ausführungen des Rabbiners. Natürlich verzog keiner eine Miene. Wie kleinkariert würde so etwas aussehen! Lieber sterben als opponieren. Dabei darf man das Kidduschgebet gar nicht unterbrechen.
Einmal hatte der von mir sonst geschätzte Rabbiner die Idee, den Barmizwa-Jungen vor dem Kiddusch zu segnen. Süß. Robbenhaft. Gerührt standen wir um den Kleinen – und hofften auf eine kurze Segnung, denn der Bengel hatte durch sein stotterndes Singen in der Synagoge den Gottesdienst um eine halbe Stunde verlängert. Aber nein, der Rabbi segnete den Jungen auf Hebräisch, Deutsch und für die angereiste Verwandtschaft auf Russisch. Nochmals zehn Minuten warten. Verdammt, ich wollte endlich essen!
Okay, in Zukunft werde ich einfach drauflos schlemmen. Mir doch egal, was die anderen sagen. Bin ich eine Robbe, Herr Rabbiner? Oder vielleicht sollte ich laut »Dajenu« (»es reicht«) singen, aus der Pessach-Haggada. Doch so viel Mut habe ich nicht. Ha, jetzt habe ich die Lösung! In Zukunft werde ich den Rabbiner vor der Toilette abfangen. »Herr Rabbiner, kann ich Sie kurz etwas fragen? Ich weiß, Sie müssen dringend, nur ganz kurz ...«
In den Pirkej Avot, den »Sprüchen der Väter«, heißt es: »Beruhige nicht den Choleriker, wenn er gerade aus Wut sein Hemd zerreisst.« Er ist dann nämlich unempfänglich für Besänftigungen. Mein Spruch lautet: Belehre nicht die Hungrigen. Sie wollen nach drei Stunden Beten endlich etwas futtern. Beni Frenkel

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025