Abt Nikodemus, die katholische Kirche hat einen neuen Papst, Leo XIV. Auf einer Skala von 0 bis 100, wie überrascht waren Sie über den Ausgang des Konklaves?
40. Ich bin jetzt nicht aus allen Wolken gefallen, er war auch in meinem erweiterten Favoritenkreis. Aber wenn Sie mich fragen, welches Maß an Begeisterung seine Wahl ausgelöst hat bei mir, dann würde ich sagen: 100. Denn dieser Papst macht Mut.
Warum sind Sie so angetan vom neuen Pontifex?
Weil Leo XIV. genau das sein wird: ein Pontifex. Das bedeutet ja Brückenbauer. Er hat schon jetzt auf fast geniale Art und Weise die richtigen Akzente gesetzt. Man spürt: Dieser Papst ist angstfrei. Er breitet seine Arme weit aus. Er funkt auf verschiedenen Wellenlängen. Er ist polyglott. Er holt die Menschen dort ab, wo sie sind. Er kennt die Zentrale in Rom, aber auch die Situation in den Gemeinden vor Ort. Und er kann Strömungen zusammenführen. Damit ist er genau der Papst, den die Kirche jetzt braucht.
Zum Dialog mit dem Judentum hat er noch nicht viel Wesentliches gesagt...
Robert Prevost war Generaloberer des Augustinerordens, er ist weltweit gut vernetzt, auch mit Vertretern anderer Weltreligionen. Ich bin mir sicher: Der hat Lust auf Dialog, Lust auf Veränderung, Lust auf Zukunft. Ihm traue ich zu, dass er gerade mit Blick auf das Verhältnis zum Judentum neuen Schwung bringen wird.

Auch mit Äußerungen zu Nahost hat er sich bislang zurückgehalten.
Richtig. Was ich aber jetzt schon als ein zentrales Leitmotiv wahrnehme, ist das Thema Frieden. Das hat er immer wieder betont bei seinen ersten Auftritten. Er will ein Friedenspapst sein. Und er will die Dehumanisierung des anderen beenden, auch die durch Worte, durch Hass, durch Dämonisierung. Das macht mir Hoffnung.
Wie können die angekratzten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel wieder verbessert werden?
Indem man offen über die Wunden auf beiden Seiten spricht. Israel hat jedes Recht zu sagen: Es gibt Enttäuschungen, wir hätten uns manches anders gewünscht. Aber es gibt auch Wunden auf unserer Seite. Wir haben zum Beispiel ein Problem mit extremistischen Juden, die uns als Christen im Heiligen Land angreifen. Wir müssen klar sagen: Antisemitismus verträgt sich nicht mit Kirche, ein Antisemit kann nicht katholisch sein. Und Israel muss klar sagen: Christenhass geht gar nicht.
Wird Leo ein politischer Papst werden?
Ja. Das zeigt schon seine Namenswahl. So wie Leo XIII. vor 130 Jahren Antworten auf die industrielle Revolution finden musste, muss er nun Antworten auf die digitale Revolution finden. Leo XIV. vereinigt allein durch seine Biografie den Globalen Norden mit dem Globalen Süden. Dadurch wird er auch überall ernst genommen werden.
Mit dem Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem sprach Michael Thaidigsmann.