Fußball-Fieber

Das weite Rund

von Stephan Sattler

Die Frage kann nur lauten: Ist die Fußball-WM gut für Juden oder nicht? Die Antwort ist klar: Sie ist weder gut noch schlecht. Dennoch gibt es drei Aspekte, die eine Reflektion wert sind: einen sportlichen, einen politischen und einen historischen.
Da nun Israel an dem Turnier in Deutschland nicht teilnimmt, brauchen sich Juden mit keiner Mannschaft zu identifizieren. Unbehelligt von Gedanken, ob die eigene Mannschaft nicht doch – entgegen aller Expertenmeinung – Weltmeister werden kann, werden sie sich als neutrale Beobachter zurücklehnen. Sie können auf England, Holland oder Elfenbeinküste setzen und mit ihrer distanzierten Einstellung diejenigen Freunde nerven, die sich etwa ganz für Deutschland verwenden – nach Umfragen eine etwa 15 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachende Gruppe national Hochgestimmter. Wie kann man aber diejenigen, die zur sportlichen Begeisterung das unbedingte nationale Wir-Gefühl brauchen, besänftigen, um nicht nur als Störenfried zu gelten vor dem Flachbildfernseher auf der Fußballparty in der deutschen Nachbarschaft? Man kaschiert für einen Moment die aufreizende Überpartei- lichkeit und erzählt die Geschichte von Jürgen Klinsmann, dem deutschen Teamchef.
Als der noch aktiver Fußballspieler war und in den neunziger Jahren für Tottenham Hotspur, den Traditionsverein im Londoner Norden, kickte, erfanden die Fans einen Song, der jedes Mal zu einem mächtigen Massenchoral anschwoll, wenn Jürgen ein Tor erzielte: »Chim chiminee, chim chiminee/Chim Chim churoo/Jürgen was a German/but now he’s a Jew.« Anekdotensicher wäre zu erklären: Die Übernahme der Bezeichnung »Yid« oder »Jew« auch durch Tottenhams nicht-jüdische Anhänger verdankt sich zu einem Gutteil dem selbstverachtenden Zug, der dem Londoner Humor eigen ist – eine kuriose Absurdität! Daß auch Ajax Amsterdam über eine philosemitische Fangemeinde verfügt, ja von den Fans gegnerischer Vereine als jüdischer Club verschrien ist, ließe sich noch hinzufügen.
Aber halt, sollte Deutschland nach der Vorrunde auf die Niederlande oder England (in dessen Kader vier Tottenham-Spieler stehen) treffen, verbieten sich derartige verbale Versuche der Annäherung und Völkerverständigung. Klinsmanns Beliebtheit beim deutschen Fußballanhänger hält keinerlei Belastung aus, seit allgemein bekannt ist, daß er seinen Wohnsitz in Kalifornien nicht aufgeben will. Kurz: Sportlich gesehen bleibt Juden nichts anderes übrig, als für die Mannschaft zu sein, die guten Fußball spielt und die nicht zu sehr triumphiert, nicht zu sehr die Unterlegenheitsgefühle bei den Anhängern anderer Nationalmannschaften schürt. Mit dem Votum für den Superfavoriten Brasilien wäre man auf der sicheren Seite.
Politisch gesehen sollten NPD-Demonstrationen verhindert werden – von den deutschen Behörden und Gerichten. Proteste gegen die iranische Mannschaft, auch wenn sie von deutschen Skins umjubelt werden sollte, kann sich sparen, wer sich nicht lächerlich machen will. Sollte die Peinlichkeit eintreten und Irans Präsident Ahmadinedschad nach Deutschland kommen, dann heißt es: Ruhig Blut bewahren! Das emotionale Durcheinander einer Fußball-WM ist bestimmt nicht das Forum, um die neue Galionsfigur einer »Internationalen« der Holocaustleugner argumentativ zu stellen. Fußball-WMs sind Saturnalien zu Ehren der körperlichen Gewandtheit und des Spielwitzes, keine politischen Weltkonferenzen. Übrigens: Ein gutes Abschneiden der deutschen Mannschaft wäre politisch gar nicht so unopportun. Das könnte die Sucht nach nationalen Bekenntnissen, diese neue Lust auf Deutschland, etwas bremsen – eine Erregung, die Juden hierzulande langsam auf den Wecker geht. Einem alten deutschen Sprichwort könnte wieder ein wenig Geltung verschafft werden: Dummheit und Stolz wachsen auf demselben Holz.
Historisch gesehen wäre die WM ein hervorragender Anlaß, sich mit der Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball zu befassen. Ich nenne nur Bücher wie Davidstern und Lederball, herausgegeben von Dietrich Schulze-Marmeling (Die Werkstatt, Göttingen 2003), Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte –Das Leben des Walther Bensemann von Bernd-M.Beyer (im selben Verlag, 2003) und Béla Guttmann – Weltge- schichte des Fußballs in einer Person von Detlev Claussen (Berenberg Verlag, 2006). Erstaunlich, was Juden zu Beginn des letzten Jahrhunderts für Pionierleistungen in der Sportart erbrachten, die wir heute für die internationalste und globalste Leibesertüchtigung halten. Und vergeßt nicht Mordechai Spiegler, den Schützen des bislang einzigen WM-Tores einer israelischen Nationalmannschaft, erzielt am 7. Juni 1970 beim 1:1 gegen Schweden in Mexiko.

Stephan Sattler ist Kultur-Ressortleiter beim Nachrichtenmagazin »Focus«.

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