Zionisten-Kongreß

Das wahre Leben

von Gila Lustiger

Als ich gefragt wurde, ob ich etwas über den 35. Zionistischen Kongreß (vgl. S. 6) schreiben möchte, beschloß ich, nachzulesen über das, was die Delegierten aus 33 Ländern debattiert hatten. Ich setzte mich an den Computer. Aufschluß, dachte ich, finde ich in der israelischen Presse. Doch das war alles andere als einfach. Längst hat die Aktualität die Reflektion über eine politische Grundidee des Judentums ganz weit nach hinten gedrängt. In der Haaretz, der linksliberalen Tageszeitung Israels, war die breaking news: Die radikal-islamische palästinensische Hamas-Regierung habe das Existenzrecht Israels indirekt anerkannt. Auch in der Zeitung Ma’ariv fand ich auf den ersten Seiten nichts über den Zionistischen Kongreß. Dafür einen Artikel über die Entführung des 19jährigen Soldaten Gilad Schalit. Die Jerusalem Post berichtete, daß israelische Bodentruppen in der Nacht zum Mittwoch in den Gasastreifen eingerückt waren.
Und was erfuhr ich über die Ergebnisse und den Verlauf des Zionistischen Kongresses? Wenig. Der 35. Zionistische Kongreß interessierte in Israel kaum jemanden, von den Offiziellen einmal abgese- hen. Und interessiert sich der Zionistische Kongreß für Israel? Möchte er wissen, mit welchen sozialen, politischen und gesellschaftlichen Realitäten sich die israelische Gesellschaft auseinandersetzt? Inwieweit stimmt das, was Israelis täglich erleben, mit den Forderungen der Zionisten-Organisation überein? Eine der bemerkenswertesten (und amüsantesten) politischen Bescherungen der vergangenen Jahre ist der spektakuläre Wahlsieg der Rentnerpartei. Ihren Erfolg hat die Protestbewegung der alten Herren nicht nur der eigenen Zielgruppe zu verdanken. Die sieben Sitze in der Knesset gewannen sie hauptsächlich mit Hilfe der Erst- und Zweitwähler: ihrer Enkel. Was die Jugend bewegte, ihre Stimme den Großeltern zu geben, die weder ein überzeugendes sicherheitspolitisches Programm vorzuweisen haben noch sonst etwas, ist die unfaßbare Armut derjenigen, die in Israel »die Generation der Pioniere« genannt wird. Mit einer Grundrente von 300 Euro pro Monat leben viele unter der Armutsgrenze. Auch die ultra-orthodoxe Partei Schas sagte in ihrer Wahlkampagne der Verarmung breiter Gesellschaftsschichten den Kampf an. In ihrem Fernseh- spot sahen Israelis ein für europäische Verhältnisse undenkbares, voyeuristisch anmutendes Bild: Ein arbeitsloser Familienvater erzählt vor laufenden Kameras, daß er seine Miete nicht mehr zahlen kann.
In Israel wurden in den vergangenen Jahren die Sozialhilfe um fünfzig Prozent gekürzt. Krieg und Terrorismusbekämpfung sind teuer. Kein Wunder also, daß Rentner, Orthodoxe und die Arbeitspartei in ihren Wahlkampagnen mit sozialer Gerechtigkeit auf Wählerfang gegangen sind. Mehr als eine Million Israelis sind keine Juden. Die größte religiöse Minderheitengruppe besteht aus Moslems, auch sie zählen zu den Ärmsten der Armen.
Welche Themen wurden im 35. Zionistischen Kongreß angeschnitten? Schenkt man einem internen Artikel Glauben, und warum sollte man das nicht, so kreisten die hitzigsten Debatten um: Israel als ein jüdischer demokratischer Staat. Die Besiedlung des Negevs und Galiläas. Die Einwanderung. Bemühungen gegen Antisemitis- mus. Die Delegitimierung Israels. Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in der Diaspora überrascht durch ihren Anachronismus. Sie erinnert an die Ausgangssituation des Zionismus. Der Wiener Publizist Theodor Herzl hatte sein Buch Der Judenstaat (1896) im Schatten der Dreyfuß-Affäre geschrieben. Den Judenstaat erträumte er sich als nationale Antwort auf die Judenfeindschaft. Mit der »Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte« glaubte er, sich der Furcht vor dem fremden Blick ein für allemal entledigen zu können. Glaubte er. Auch »die Besiedlung des Negevs« umweht einen mit dem Duft von einst. Erinnert sie doch an junge Pioniere, die Sümpfe trockenlegen, Straßen bauen und Wasserkanäle graben.
Keine Frage, man hätte auf dem 35. Zionisten-Kongreß auch ganz andere Probleme in Angriff nehmen können, zeitgemäßer, substantieller, brauchbarer. Vielleicht wäre hierfür eins nötig gewesen: die israelische Gesellschaft in ihrer ganzen verworrenen Ambivalenz wahrzunehmen.

Sydney

Jewish organizations decry the »scourge« of antisemitism

This time the focus is on Australia. It is hosting a conference of the international Jewish initiative »J7.« The group is presenting figures on Jew-hatred on the continent – and speaks of historic highs.

von Leticia Witte  03.12.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  02.12.2025

Thüringen

Verfassungsschutz-Chef schätzt AfD-Jugend als rechtsextrem ein

Die Mitglieder der »Generation Deutschland« würden in ihren ersten Auftritten »weder eine Mäßigung noch eine Distanzierung oder gar Wandlung« zeigen, so Kramer

 02.12.2025

Tel Aviv-Jaffa

Shimon-Peres-Preis wird erstmals in Israel verliehen

60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind der Anlass: Zum ersten Mal wird der Shimon-Peres-Preis für gemeinsame demokratische Vorhaben in Israel feierlich übergeben

von Alexander Riedel  01.12.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025