Ghettozeitung

Chronik der Leerzeichen

von Barbara Goldberg

Sie war eine Zeitung ohne Leser, geschrieben für künftige Generationen: Die Chronik des Ghetto Lodz. Die Bewohner des Ghettos ahnten nichts von diesem Werk. Denn die 15 Wissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten, die im Auftrag der »Statistischen Abteilung« der jüdischen Selbstverwaltung zwischen den Jahren 1941 und 1944 die 2.500 Seiten starke Chronik des Ghetto Lodz verfassten, recherchierten und schrieben im Verborgenen. Und auch ihre Sprache verbirgt mitunter mehr, als sie offenbart. So wird die deutsche Obrigkeit mit keinem Wort erwähnt. Auch durfte nichts notiert werden, das die Autorität des Judenältesten im Ghetto, Mordechai Rumkowski, infrage gestellt hätte.
Mitunter liest man zwischen den Zeilen auch die Angst der Autoren heraus, mit ihren Worten das zu beschreiben, was sie tagtäglich im Ghetto Entsetzliches erleben. So verschanzen sie sich lieber hinter nüchterner Statistik und lapidaren Formulierungen. Das Grauen spricht eher aus den nüchternen Zahlen, aus dem, was ausgespart bleibt, was ihre Chronik nicht erwähnt.
Genau das ist es, was diese Nachrichten von damals – aus dem Inneren der Hölle – diese täglichen akribischen Eintragungen zum Wetter, zu Festnahmen und Selbstmorden, zu Kartoffelrationen, Krankheiten, Todesfällen und Geburten heute zu einem einzigartigen Zeitzeugnis macht.
Nachdem sie fast 60 Jahre lang nahezu unbeachtet blieb und nur in Teilen auf Englisch und Hebräisch veröffentlicht worden war, liegt seit dem vergangenen Jahr die »Ghetto-Chronik« nun erstmals in einer vollständigen Ausgabe auf Deutsch vor. Eine polnische Fassung soll im nächsten Jahr folgen. Herausgegeben wurde sie von der Arbeitsstelle Holocaustliteratur der Universität Gießen. Deren Leiter, Sascha Feuchert, war am vergangenen Sonntag auf Einladung der Initiative 9. November nach Frankfurt am Main gekommen, um einzelne Passagen aus der Chronik vorzulesen und zu erläutern. Er tat dies zusammen mit fünf Studenten, die ihm bei der Edition geholfen hatten. Und er wählte für die Lesung einen historischen Ort, die Friedberger Anlage, jenen Hochbunker, der auf den Fundamenten der zerstörten Frankfurter Ostend-Synagoge errichtet worden war.
Selbst das Datum passte. Am 19. Oktober 1941, es war ebenfalls ein Sonntag, genau vor 67 Jahren, waren 1.125 Frankfurter Juden frühmorgens aus ihren Wohnungen abgeholt und nach Lodz deportiert worden. Zu ihnen gehörte auch der Komponist Siegfried Würzburger, dessen Passacaglia und Fuge über Kol Nidre zu Beginn der Veranstaltung an diesem Sonntag erklang. Die Mehrheit der 17.2225 »Westjuden«, die im Ghetto Lodz interniert waren, wurde von dort aus weiter in die Vernichtungslager von Chelmno und Auschwitz geschickt. Und auch von den aus Frankfurt Deportierten haben nur drei das Kriegsende erlebt.

Interview

»Sehr präzise und äußerst wirksame Schläge«

Arye Sharuz Shalicar über Israels Angriff auf den Iran, die Situation der iranischen Bevölkerung und die Zukunft des Mullah-Regimes

 15.06.2025

Krieg

Jerusalem warnt Menschen im Iran vor möglichen neuen Angriffen

In bestimmten Gebieten des Irans stehen offensichtlich neue Angriffe bevor. Israels Militär ruft die iranische Bevölkerung zur Evakuierung auf

 15.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025