Wolfgang Nossen

Chef mit Charme

von Heide Sobotka

Er verehrt schöne Frauen. Wolfgang Nossens tiefe, brummige Stimme wird weich, wenn er von seiner kleinen Schwester schwärmt, von seiner Mutter als »einer sehr attraktiven Frau« erzählt und von seiner ersten Frau sagt: »Sie war ein Topmodel.« Frauen waren für ihn immer sehr wichtig, auch wenn nicht jede Partnerschaft ewig hielt. Heute lebt Nossen mit seiner Jugendliebe Elisabeth zusammen.
Wolfgang Nossen wurde am 9. Februar 1931 in Breslau in eine Familie von Viehhändlern und Metzgermeistern geboren. »Nach mir kamen noch vier Mädchen.« Bis 1943 war das Leben für Juden in der späteren Frontstadt noch halbwegs erträglich. Dann mußte die Familie in ein Stadtghetto. Der Vater war 1938/1939 im KZ Buchenwald, wurde wieder entlassen, kam 1944 in ein Nebenlager von Großrosen, flüchtete auf dem Todesmarsch und schloß sich der Roten Armee an. Wolfgang Nossen wird mit 14 Jahren Haushaltsvorstand. Älter geschätzt als er wirklich war, wurde er 1944 noch zur Zwangsarbeit eingeteilt. »Und stellen Sie sich vor, vor ein paar Wochen habe ich dafür tatsächlich eine dürftige Entschädigung bekommen.«
1945 können sich die Kinder mit ihrer Mutter in einer ehemaligen SS-Siedlung vor dem drohenden Abtransport verstecken. Sie hoffen, daß der Vater lebt. Wolfgang ist skeptisch, als Mutter und eine Schwester einen Tag nach Ende des Krieges auf Fahrrädern losfahren, um den Vater zu suchen. »Jetzt sind beide durchgeknallt«, denkt Wolfgang Nossen in Sorge um Mutter und Schwester, denn man hört von Vergewaltigungen. Sie kehren zurück. »Jetzt bist du nicht mehr unser Haushaltsvorstand, der Papa lebt.« Nossen ahmt die etwas zickige Stimme seiner damals knapp 13jährigen Schwester nach. Noch heute merkt man ihm an, daß er in diesem Moment sehr an der Zurechnungsfähigkeit von Mutter und Schwester zweifelte.
Doch dann kam der 11. Mai 1945. »Es war ein sonniger Tag«, erzählt Nossen. »Ich lag auf dem Flachdach unseres Unterschlupfes, als Reifen quietschten, Autotüren knallten, wo sonst nie ein Fahrzeug zu hören war. Ich guckte und sah meinen Vater. Er war ein Koloß, nicht zu übersehen, in der Uniform eines russischen Soldaten.« Die Frauen hatten recht behalten.
Die Familie geht nach Erfurt. Eine glückliche Zeit für Wolfgang Nossen. Er besucht die Volkshochschule und verliebt sich in eine Mitschülerin. Als seine Familie 1949 nach Israel auswandert, soll die Freundin nachkommen. Das klappt nicht. Nossens bauen bei Beit Natif im Jerusalemer Korridor einen Kibbuz auf. Drei Jahre bleibt er dort, dann geht Nossen zur israelischen Armee. Zuletzt ist er Kompanieführer in der Artillerie und für die Logistik zuständig. 1955 heiratet er die Erbin eines Strickwarenfabrikanten und wird Betriebsmechaniker. Die Firma schickt ihn nach Deutschland. Nossen will nicht. »Ich bin froh, daß ich von dort weg bin«, sagt er zur Schwiegermutter und läßt sich doch überreden. Nach der Scheidung macht er sich mit Strickereiwaren selbständig. Als das schiefgeht, bekommt er ein Angebot aus Deutschland und arbeitet in der Gastronomie. »Sieben Jahre Nachtarbeit, dann wollte ich etwas anderes machen.« Nossen wird Seniorenheimleiter in Nürnberg.
Am 20. November 1989 fährt Nossen »als neugieriger Tourist« nach Erfurt und besucht die Synagoge. »Die war voll. Ich war total erstaunt.« Es stellt sich heraus, daß viele Bürgerrechtler im jüdischen Gotteshaus saßen. »Hast du schon Elisabeth gesehen«, fragt ihn eher beiläufig sein Freund, bei dem er wohnt. »Nee, wohnt die denn noch hier?« Nossen sieht im Telefonbuch nach, findet einen Eintrag und ruft an. Sie ist es. Sie verläßt ihren Mann und kommt mit nach Nürnberg. Doch dort fühlt sich Elisabeth nicht wohl. Gemeinsam gehen sie zurück nach Erfurt, und Wolfgang Nossen wird in der jüdischen Gemeinde angestellt, später zum Vorsitzenden der Gemeinde gewählt. »Und das jetzt schon zum vierten Mal«, sagt er mit Genugtuung.
Seine langjährige Sekretärin Ursula Ulbricht gibt ihm recht. »Es läuft gut bei uns«, sagt sie. Vielleicht werde es manchmal etwas eng, laufe nicht gleich auf Anhieb glatt, weil er lieber alles selber macht, »aber er ist wirklich für jeden da«. Die Gemeinde ist ihm ein Anliegen und kein Prestigejob, das merke man ihm an, sagt Ulbricht. Sie weiß ihren Boß zu nehmen.
Der rundliche Mann mit der rauen und doch charmanten Stimme kann auch schon einmal poltern, wenn ihm etwas nicht paßt. Daß Wolfgang Nossen für die Gemeinde und seine Mitglieder kämpft, erkennt jeder an. Genauso, wie auch sein Engagement gegen Rechtsradikalismus ihm am Herzen liegt. Am vergangenen Freitag wurde er zum neuen Vorsitzenden des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) gewählt.
Auch das Geburtstagsprogramm am
9. Februar in der Gemeinde hat Nossen selbst organisiert. Und viele haben zugesagt. Vor allem freut er sich auf die Familie, seine fünf Kinder und alle Geschwister, die heute in Israel und Deutschland leben.

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