Finanzkrise

Beten für Bares

von Sabine Brandes

Manche wiegen ihren Oberkörper sanft, die Augen geschlossen, andere schwingen energisch vor und zurück, wieder andere nicken lediglich ein wenig mit dem Kopf. Die Männer in den schwarzen Anzügen mit den Hüten auf dem Kopf sind tief versunken im Gebet. Hier, im religiösen Seminar Ateret Schlomo in Bnei Brak, beten sie heute um göttliche Hilfe für ein ganz weltliches Problem: Der schnöde Mammon muss wieder her – und zwar so schnell wie möglich.
Die Finanzkrise hat die Welt der ultraorthodoxen Juden erreicht. Oberrabbiner Jona Metzger und Schlomo Amar hatten daher am vergangenen Donnerstag, dem ersten Tag des jüdischen Monats Kislew, zu einem »Tag des Betens und Klagens« aufgerufen, der speziell im Zeichen der globalen Wirtschafts- und Finanzmisere stand. In dem Appell schrieben sie, dass »alle Brüder sich in Synagogen und Bet-
räumen zusammenfinden sollen, um Gott anzurufen und um Gnade vor der Krise zu erflehen, die derzeit die ganze Welt überflutet«. Jede Menge gute Menschen hätte das Finanzdilemma bereits erreicht, stand weiter geschrieben, Torazentren könnten kaum mehr funktionieren, viele stünden kurz vor dem Aus. Außerdem haben schon Fabriken schließen müssen, wodurch Arbeiter ihre Jobs und damit die Lebensgrundlage für sich selbst und ihre Familien verloren hätten.
Auch für göttliche Hingabe muss der Rubel rollen: Zehntausende Männer in Israel widmen ihr Leben ganz und gar dem Studium der Tora, arbeiten nicht. Neben der staatlichen Sozialhilfe sind sie auf das Wohlwollen von Philanthropen angewiesen, die aus der ganzen Welt, hauptsächlich aber aus den USA kommen. Und gerade die haben jüngst Milliarden und Abermilliarden verloren und schnüren ihre Geldsäckel nun immer weiter zu. Außerdem hat der extreme Verfall des US-Dollars der letzten Monate zum Rückgang der Wohltätigkeit beigetragen.
Die Spendenfreudigkeit für religiöse Institutionen habe tatsächlich extrem nachgelassen, bestätigen Kenner der ul-
traorthodoxen Szene, viele soziale Einrichtungen seien bereits am Rande des Ruins angelangt. Vor allem Schulen und Jeschiwot litten unter dem plötzlichen Geldmangel. Doch auch Familien, oft kinderreich und schon unterhalb der Armutsgrenze, müssen die Gürtel nun noch enger schnallen.
Und so folgten Tausende strengreli-
giöse Männer, vor allem in den Charedim-Hochburgen Jerusalem und Bnei Brak, der Aufforderung ihrer Rabbiner. In elf Jeschiwot sandten alle zeitgleich Stoßgebete gen Himmel, um eine besonders intensive Bitte zu erzeugen. Die Gläubigen kamen eine Stunde früher als gewöhnlich zum Mincha-Gebet am Nachmittag in die Synagoge, rezitierten inbrünstig Slichot-Gebete, fas-teten und spendeten, so sie denn etwas zu geben hatten.
»Zu Hause wird es schon eng«, bestätigt auch Mosche Dayida, einer der Betenden in der Ateret Schlomo Jeschiwa, der mit seiner Frau und fünf Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt. »Wir müssen genau überlegen, was wir kaufen und was nicht. Auch beim Essen. Außer dem Nötigsten ist kaum noch was drin. Fleisch gibt es derzeit nur noch halb so oft, Süßigkeiten für die Kinder ganz selten. Am Ende des Monats ist es besonders hart.« Dennoch ist Dayida optimistisch: »Ich glaube fest an Seine Hilfe. Gott wird es richten, das weiß ich. Deshalb bin ich heute hierhergekommen«, spricht er mit fester Stimme und steckt ein paar kleine Münzen in die Spendendose am Ausgang.
Einen Widerspruch sehen die religiösen Oberhäupter nicht in dieser Aktion. Wer ein Leben ganz entsprechend der jü-
dischen Gebote führen will, der braucht einen vollen Magen und ein Dach über dem Kopf, wo er lernen und lehren kann. Der Rabbiner der Ateret Schlomo Gemeinde machte es während des Massengebetes vom Donnerstag deutlich: »Ihr mögt fragen, was kümmert es uns, wenn ein reicher Jude in Amerika wirtschaftliche Probleme hat. Doch ich sage euch, wenn es in einem Winkel der Welt ein Erdbeben gibt, geht uns das etwas an. Denn die Probleme kommen immer näher und näher.«

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025