Laubhüttenfest

Bei Wind und Wetter

von Chajm Guski

Es existieren eine ganze Reihe von volkstümlichen Annahmen über jüdische Feiertage oder bestimmte Mizwot. Eine – bei Nichtjuden und Juden gleichermaßen beliebte – Erklärung der Kaschrut ist beispielsweise, dass man »damals bei den klimatischen Bedingungen« bestimmtes Fleisch aus hygienischen Gründen nicht lange aufbewahren konnte und dementsprechend der Verzehr verboten sei.
Wird diese These von Nichtjuden aufgestellt, dient sie meist der Herabsetzung des Judentums zu einer Religion mit archaischen Überresten einer »Wüstenreligion«. Von Juden wird diese Begründung gerne vorgebracht, um zu erklären, warum man Kaschrut heute angeblich nicht mehr halten müsse.
Das hat mehr mit Sukkot zu tun, als man zunächst annehmen könnte, denn auch die Sukka ist häufig Gegenstand ähnlicher Erklärungen. Der Bau einer Laubhütte und der lange Aufenthalt in ihr sei nichts, was man einem Mitteleuropäer im Herbst zumuten könne, heißt es dann. Es regnet häufig schon stark im Oktober, die Herbstwinde wehen kühle Luft durch die Gärten und beständig ist das Wetter gar nicht. Zudem ist es hierzulande nicht immer so einfach, einen Platz für die Sukka zu finden: Welcher Großstädter hat schon einen eigenen Garten? Der »Brauch«, eine Sukka zu bauen, sei wohl eher etwas für wärmere Klimazonen.
Die Erklärungen für Kaschrut und die Sukka gehen jedoch an einem wesentli-
chen Punkt vorbei: Die Mizwot sind nicht aus gesundheitlichen Gründen gegeben worden, noch sind sie an einen bestimmten Ort gebunden – natürlich mit Ausnahme der Mizwot, die sich auf das Land Israel und den Tempel beziehen. Die Mizwot haben ausschließlich den Zweck, »Mitleid, Güte und Frieden in der Welt zu mehren« wie Maimonides schreibt, also die Welt zu verbessern.
Um ein vollständiges Bild zu erhalten, dass eine Sukka mehr ist als eine bloße Hütte – einige mögen vielleicht an eine Gartenlaube denken –, sollten wir uns vergegenwärtigen, was eine Sukka ausmacht: Eine der Halacha entsprechende Laubhütte wird unter anderem dadurch charakterisiert, dass sie in jedem Jahr erneut gebaut wird. Wen sie auch während des restlichen Jahres aufgebaut ist, verliert sie ihre Bedeutung und gilt nicht als Laubhütte. Zudem ist sie ausschließlich eine »temporäre« Be-
hausung, und dies soll klar zu erkennen sein. Vor allem das Dach soll den temporären und fragilen Charakter verdeutlichen. Hierfür gibt es eine Reihe von Regelungen. Halachisch betrachtet muss eine Sukka so beschaffen sein, dass sie mehr Schatten spendet, als Sonne durch ihr Dach eingelassen wird. Weiterhin muss das Dach so beschaffen sein, dass man die Sterne sehen kann, und es muss aus »abgeschnittenen«, sprich natürlichen, Materialien bestehen.
In Bezug auf die Verweildauer in der Sukka haben sich die Rabbiner im Lauf der Zeiten stark eingeschränkt. Zu Beginn hieß es im Talmud, Traktat Sukka: »Unsere Weisen lehrten ›In der Sukka sollt ihr wohnen sieben Tage lang‹. Dies bedeutet, dass man die Sukka für diese Tage als feste Wohnung betrachten muss. Diese Feststellung führte sie zu der Bemerkung, dass der Mensch seine Sukka für diese sieben Tage Sukkot als dauernd und sein Haus als provisorisch betrachten soll. Auf welche Weise? Er soll seine besten Möbel und Betten in die Sukka bringen, in der Sukka essen und trinken und in der Sukka lernen.«
Später wurde diese talmudische Auslegung tatsächlich den verschiedenen klimatischen Bedingungen angepasst. Danach erfüllt der gläubige Jude die Mizwa auch schon dadurch, dass er dort eine Mahlzeit zu sich nimmt, zumindest etwas Brot. Wenn das Wetter nicht mehr zulässt, ist schon der Kiddusch mit einem Stückchen Brot in der Größe einer Olive ausreichend.
Es ist also durchaus klar, dass die Sukka wahrhaftig nicht der angenehmste Ort im Herbst ist. Dennoch heißt es in der rabbinischen Literatur, dass gerade dieser Zeitpunkt genau der richtige für dieses Fest sei. Denn gerade jetzt, wenn andere Menschen wieder mehr Zeit drinnen in den wind- und regengeschützten Wohnungen verbringen, setzen sich Juden wieder hinaus in Hütten. Sie tun das, um zu verdeutlichen, dass es ihnen nicht um ein Verweilen im Schatten des Daches geht, sondern einzig und allein um die Befolgung der in der Tora gegebenen Mizwa.
Der Zeitpunkt von Sukkot hat noch einen anderen Aspekt: Das Laubhüttenfest ist verbunden mit Jom Kippur. Allein schon durch die Anweisung, mit dem Bau der Sukka unmittelbar nach dem Versöhnungstag zu beginnen. Sukkot vervollständigt Jom Kippur geradezu. Den Versöhnungstag verbringen wir zum größten Teil in den Synagogen, während wir zu Sukkot aufgefordert werden, uns draußen zu versammeln. Jom Kippur ist der wichtigste Fastentag des jüdischen Kalenders, während Sukkot einen festlichen Charakter hat, der auch besondere Mahlzeiten einschließt. Jom Kippur ist geprägt durch Introspektive und Ernsthaftigkeit, Sukkot wird dagegen »Sman Simchatejnu« (hebr.: Zeit unserer Freude) genannt.
Für viele bestimmt Jom Kippur das Bild, welches sie vom jüdischen Ritus haben: ernsthafte, lange Gebete und eine sehr formelle Stimmung. Gerade für sie wäre es wichtig zu sehen, dass sich Sukkot an Jom Kippur anschließt. Direkt nach Jom Kippur verlässt man die Zeit der Einkehr und be-
ginnt draußen mit dem Bau der Sukka. Beides gehört zusammen. Innere Einsicht und Arbeit draußen. Eine untrennbare Einheit. Rabbiner Jonathan Eybeschütz (1690-1764) machte darauf aufmerksam, dass beide Feste nicht getrennt zu betrachten sind, sondern tatsächlich zusammengehören: »Es ist ein ernster Rat, die sieben Tage von Sukkot zu halten, denn das Urteil von Jom Kippur wird erst an Schemini Azeret verkündet.« Noch ein weiterer Aspekt verbindet die beiden Feste: Mosche kehrte an Jom Kippur mit dem zweiten Paar Steintafeln zu den Kindern Israels zurück, und bereits am nächsten Tag verkündete er, wie das Stiftszelt »Mischkan« aufzubauen sei. Ein Platz für Gottes Präsenz zwischen den Menschen, »dass ich mitten unter ihnen wohne«, heißt es in der Tora. Der Bau der Sukka ist eine Erinnerung daran, dass jeder Einzelne nun dafür verantwortlich ist, an einer Welt »mitzubauen«, in der Gott gegenwärtig ist.
An beiden Festen erleben wir aber auch, in welchem Luxus wir tatsächlich leben. Denn wir haben ein festes Dach über dem Kopf und halten uns nur zeitweise in der Sukka auf, während es Menschen gibt, die nicht einmal eine Hütte haben. Ähnlich ist es mit Jom Kippur. Für uns ist es Luxus, fasten zu können, während viele Menschen fasten müssen, weil sie einfach nichts oder nicht genug zu essen bekommen.
Sukkot ist also kein reines Erntefest, vorgesehen für eine bestimmte klimatische Region, sondern Bestandteil der Hohen Feiertage, die vom Menschen ein Engagement auch außerhalb dieser Zeit erwarten. Und auch, wo das Engagement gezeigt werden soll, verdeutlicht das Laubhüttenfest: draußen in der Welt und nicht nur drinnen in der Synagoge oder der eigenen Wohnung.

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