Hans Mayer

Außenseiter des Jahrhunderts

von Wolf Scheller

Er konnte wunderbar erzählen. So etwa die Geschichte von Brecht, in der ein Kind am ersten Schultag keinen Platz abbekommt und dafür vom Lehrer eine Ohrfeige kassiert, auf dass es gleich lerne, dass man Glück haben muss. Darüber konnte Hans Mayer immer wieder lachen. Das Spekulative war ihm ja keineswegs fremd. Im Gegenteil: Hegels Ästhetik wusste er so sachkundig hin und her zu drehen, dass schon gesprächsweise ein Stegreif-Seminar herauskam. Uwe Johnson, einst in Leipzig Schüler von Hans Mayer, beschrieb, wie sein Lehrer den Aufbau eines Brechtschen Gedichtes kommentierte: »Ein anderes Mal hindert er dreißig Personen mit Erfolg daran, das Gedicht Erinnerung an die Marie A. zu rasch zu lesen. Er weist ihnen, mit einer Art Empörung nach, dass sie das Gedicht ja gar nicht gelesen haben. Ihnen fällt ja nicht mal am Rhythmus was auf! Er muss das Original leiern, es geniert ihn durchaus nicht. Na? Sagt er. Unter seinen Fragen weitet sich das Gedicht zu einer Welt aus. Die Studenten müssen aber eine Stunde an dieser Welt bauen. Sie verlassen den Seminarraum und haben im Ohr einen Essay von Hans Mayer.«
Als engagierter Zeitgenosse, Gelehrter und Schriftsteller konnte Mayer – ähnlich wie Heinrich Mann – für sich beanspruchen, dass dieses Zeitalter ganz das seine war. Freilich stets aus der Perspektive des Nichtdazugehörigen: Der am 19. März 1907 in Köln-Ehrenfeld geborene jüdische Großbürgersohn schlug sich früh auf die Seite der Linken. Homosexuell war er auch. Da war schnell alles beisammen, was ihn für die Nazis zur Unperson machte. 1933 wurde der damalige Rechtsrefendar aus seiner Vaterstadt vertrieben, 1938, inzwischen nach Frankreich und später in die Schweiz geflohen, ausgebürgert. Seitdem ließ den »Deutschen auf Widerruf« – so der Titel seiner 1984 und 2001 erschienenen zweibändigen Erinnerungen – das Thema des Außenseiters nicht mehr los. Jude, Kommunist, Intellektueller, Schwuler: ein Verfolgter par excellence.
Den Neubeginn nach 1945 suchte der überzeugte Marxist, nach einer kurzen Station als Chefredakteur von Radio Frankfurt, in der DDR, in Leipzig, wo man sich noch an die atemberaubenden Vorlesungen im berühmten Hörsaal 40 erinnert. Bis 1963 lehrte er dort Germanistik. Dann kehrte Hans Mayer dem zweiten deutschen Staat, in den er, wie sein Freund Ernst Bloch, anfangs so große Hoffnungen gesetzt hatte, enttäuscht den Rücken und ging in die Bundesrepublik, wo er bis 1973 in Hannover lehrte. Dem realen Sozialismus bescheinigte Mayer nach dem Fall der Mauer 1989: »Objektiv war die DDR von Anfang an ein Unrechtsstaat, wenn die Grundidee des bürgerlichen Rechtsstaats als Norm genommen wird.« Trotzdem wurde er nie zum intellektuellen Renegaten, sondern beharrte auf seinen Träumen und den von Bloch entliehenen Utopien.
Goethe und Büchner, Thomas Mann und Bert Brecht – Hans Mayer hat über all die Großen der Literaturgeschichte geschrieben. Es kümmerte ihn nicht, dass Gegensätze oftmals als Sujet seine Betrachtung bestimmten. Lebenslang blieb er ein Linker, aber einer, dessen Linkskurve nie ganz ausgefahren wurde. Er hatte sich immer gewünscht, einmal auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben zu werden. Dort liegt er nun seit sechs Jahren unter schwarzem Basalt, nicht weit entfernt von Hegel, Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Helene Weigel.

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025