religiöse Schulen

Außen vor

Es sollte ein fröhlicher Tag werden. Mit einem großen Aleph-Bet im Heft, vielen kleinen Freunden und netten Lehrern. Stattdessen wurde der 1. September für Schuschi zu einem unschönen Erlebnis. Der Sechsjährige durfte nicht wie seine Altersgenossen durchs Schultor rennen, im Wettlauf um den besten Platz. Er musste draußen bleiben. Denn Schuschi ist schwarz.
Der kleine Junge gehört zu den insgesamt 110 Kindern mit äthiopischen Wurzeln, die vor Beginn des neuen Schuljahres mit ihren Eltern aus verschiedenen Teilen des Landes in die Stadt Petach Tikwa un-
weit von Tel Aviv gezogen waren. Hier sollten die ABC-Schützen in verschiedene Schulen aufgeteilt werden. Doch was als simpler Verwaltungsakt gedacht war, entwickelte sich zu einem nationalen Skandal: Drei private religiöse Schulen lehnten die ihnen zugeteilten 50 Kinder strikt ab. Ihre Weigerung wiederum führte dazu, dass auch die staatlichen Religionsschulen »nein« zu den Schülern äthiopischer Herkunft sagten. In Petach Tikwa drücken insgesamt um die 40.000 Mädchen und Jungs die Schulbank.

reaktion Selbst als das Ministerium an-
ordnete, die Kinder ohne Wenn und Aber aufzunehmen, lenkten die Direktoren der Schulen Darkei Noam, Lamerhav und Daat Mewinim nicht ein. Ein Treffen im Ministerium verlief derart unglücklich, dass Bildungsminister Gidon Sa’ar sämtliche Gelder an die Schulen einfrieren ließ. Die Einrichtungen werden mit 60 bis zu 75 Prozent gefördert. »Wir sind heute an ei-
nem Höhepunkt angelangt«, so der Minis-
ter während einer speziell anberaumten Knessetsitzung des Bildungskomitees. »Es geht hier nicht nur um drei Schulen. Lange schon wird das gesamte Bildungssystem von vielen betrogen, die öffentliche Gelder erhalten. Jahrelang braute sich der Rassismus zusammen, ohne dass jemand auch nur daran dachte, etwas zu unternehmen.« Vor einigen Wochen bereits hatte sich Shimshon Shoshani, Generaldirektor des Ministeriums, mit dem Elternkomitee, Direktoren und Anwälten der drei Schulen getroffen. Er zeigte sich entsetzt: »Drei volle Stunden erklärten sie mir, warum sie keine Schüler mit äthiopischem Hintergrund akzeptieren können.«

kritik Währenddessen nannte Premierminister Benjamin Netanjahu das Verhalten der Schulleiter einen »moralischen Terroranschlag, der gegen unser aller Ethos geht.« Auch Präsident Schimon Peres ist entrüstet und rief während einer Ansprache vor Schülern auf, gegen »diese Schande, die kein Israeli akzeptieren sollte«, auf die Straße zu gehen. Sogar Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu kommentierte die Geschehnisse in Israel: »Die Bilder von Kindern, die gegen ihre Diskriminierung demonstrieren, erfüllen mich mit Trauer und erinnern mich an Dinge, die ich vergessen hatte.«
Diese Worte seien Balsam für ihre Seelen, sagt Schuschis Mutter Sara Akala. »Der Alltag aber sieht anders aus. Das, was hier gerade in Petach Tikwa passiert, ist nur die Spitze des Eisbergs. Vielen von uns begegnet Rassismus ständig. Es ist allerdings besonders schmerzhaft, dass unsere Kinder das am ersten Schultag erfahren mussten. Das macht mich sehr traurig.«

situation Tatsächlich leben eine Vielzahl der afrikanischen Immigranten und ihre Nachkommen am Rande der israelischen Gesellschaft in ärmlichen Gemeinden des Landes, nicht selten in ghettoähnlichen Siedlungen. Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch, wenn die Menschen eine Anstellung haben, sind es meist ge-
ring bezahlte Jobs wie Supermarktkassiererin, Reinigungskräfte oder Sicherheitsleute. Die meisten Einwanderer kamen mit den Operationen »Moses« und »Salomon« 1984 und 1991 ins Land. In den Familien wird oft noch ausschließlich Amharisch gesprochen. Lange war die Frage des reli-
giösen Status der äthiopischen Juden um-
stritten. Obwohl sich die meisten an die religiösen Traditionen hielten, verlangte das Oberrabbinat eine Konversion.
Oberschullehrer Halel Hadari, der viele äthiopische Schüler in seinen Klassen unterrichtet, ist überzeugt, dass nur Integration gegen die Isolation helfen kann: »Gerade weil viele von ihnen vom Elternhaus keinen starken Bildungshintergrund mitbringen, wird das Engagement der Schulen doppelt benötigt.« Mit spezieller Förderung könne viel erreicht werden, ist er sicher. Für viele Eltern sei es schwer, in unserer modernen, bürokratischen Welt klarzukommen. Eine große Hürde seien die kulturellen Unterschiede, die noch in den nachfolgenden Generationen zu spüren seien. »Gerade diese Kinder aber außen vor zu lassen, ist ein großer Fehler, der sich an der israelischen Gesellschaft rächen wird.«

folgen Nachdem alle anderen im ganzen Land bereits zwei Tage zur Schule gegangen waren, saßen 100 Mädchen und Jungs in Petach Tikwa noch immer zu Hause oder in Büros der Stadtverwaltung und wussten nicht, wo sie lernen dürfen. Mittlerweile haben die Schuldirektoren dem Druck des Bildungsministers nachgegeben. Doch nicht, ohne sich in alle Richtungen zu winden und neue Schikanen in den Weg zu legen: Einigen Eltern wurde mitgeteilt, ihre Sprösslinge hätten nicht die richtigen Papiere, von anderen wurden Konversionsurkunden verlangt, die attestieren, dass die Kinder Juden sind. Eine Mutter sagte daraufhin: »Ich lebe seit 26 Jahren in Israel, alle meine Kinder sind hier geboren, ich bin durch und durch jüdisch. Haben Sie Angst, dass meine Hautfarbe abfärbt? Diese Behandlung macht mich krank.« Auch hier mussten die Behörden intervenieren. Eine Forderung nach Konversionszertifikaten sei völlig inakzeptabel, hieß es aus dem Ministerium.
Am dritten israelischen Schultag schließlich haben alle Schüler einen Platz in Klassenräumen gefunden und durften ihre Bücher letztendlich aufschlagen. Schuschi strahlt, seine Mutter jedoch muss beim Anblick ihres Sohnes mit den Tränen kämpfen. »Auch wenn ich erleichtert bin, das Gefühl, dass niemand uns will, tut weh. Dass sechsjährigen Kindern so ein Trauma auf ihrem Weg in den neuen Lebensabschnitt nicht erspart werden konnte, wird noch lange einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.«

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