Michael Chabons

Ausgerechnet Alaska

von Constanze Baumgart

Meyer Landsman hat Probleme – und das nicht zu knapp: Vor zwei Jahren hat seine Ehe das Zeitliche gesegnet. Die einzigen stabilen Beziehungen, die der Polizist seitdem unterhält, sind die zu seiner Arbeit und zum Schnaps. Seine einsamen Nächte verbringt er im Hotel Zamenhof, einer trostlosen Absteige für kaputte Existenzen aus der Drogenszene. Zu allem Überfluss droht dem unbehausten Cop seine Heimatstadt Sitka abhandenzukommen. Der Distrikt im äußersten Norden der USA ist seit 1948 Bleibe für Juden aus aller Welt. Doch nun soll Sitka an Alaska zurückfallen. Landsmans Stadt »ist eine Glühbirne, die in Kürze erlöschen wird«.
Als ob das alles noch nicht reichen würde, findet Landsman eines Nachts im Hotel Zamenhof die Leiche eines seiner Nachbarn mit einer Kugel im Hinterkopf bäuchlings auf dem Bett. Er beginnt aus persönlicher Betroffenheit – schließlich ist der Mord quasi bei ihm zu Hause passiert – sofort mit den Ermittlungen. Dass der tote junge Mann einer der typischen Zamenhof-Gäste war, wird schnell klar: In der Nachttischschublade finden sich ein Spritzbesteck und Gebetsriemen, die zum Abbinden der Venen zweckentfremdet wurden. Nicht nur die Tefillin bringen Landsman schnell zu dem Schluss, der Ermordete könnte eine Vergangenheit als ultraorthodoxer Jude haben. Und damit ist der Detective mit der begnadeten Spürnase und dem guten Gedächtnis schon mittendrin in einem irrwitzigen Fall, der ihn tief in die Grauzone zwischen Religion, Wahn,Verbrechen und Geschäft eintauchen lässt.
Dem 45-jährigen Michael Chabon ist mit Die Vereinigung jiddischer Polizisten eine verbindung aus kontrafaktischer Geschichte und Kriminalroman gelungen, eine Kombination von überbordender Fantasie und rabenschwarzem Realismus.
Meyer Landsman ist ein hardboiled detective in bester Philip-Marlowe-Manier, der gegen alle Widerstände seinen Job macht, unterkühlt, selbstironisch und immer etwas melancholisch. Den humorvollen Ton, die originellen Vergleiche und noch nie gehörten sprachlichen Bilder hält Chabon als Grundfärbung des Buches von Anfang bis Ende durch, ohne abzugleiten. Sein Fantasie-Fundus scheint unerschöpflich, was schon die fiktiv-historische Folie zeigt, die er sich für Landsman erdacht hat: Nicht im sonnenverwöhnten Israel – das seine Unabhängigkeit schon nach drei Monaten im Krieg gegen die Araber wieder verlor –, sondern im vereisten Alaska ist eine jüdische Enklave entstanden mit Jiddisch als Amtssprache. Das Zusammenleben mit den einheimischen Inuit ist zwar nicht reibungslos, aber doch um einiges einfacher als das mit den Arabern. Allerdings war das Territorium den Juden nur auf Zeit verpachtet worden, und die läuft demnächst aus. Der Mord im Hotel Zamenhof hat damit zu tun. Wie und warum, das finden Landsman und die Leser erst auf den letzten Seiten heraus.
Der Pulitzerpreisträger Michael Chabon hat sich bereits mit Romanen wie Die Geheimnisse von Pittsburgh und Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay als einer der innovativsten amerikanischen Autoren profiliert. Sein neuer Roman könnte auch hierzulande für ihn zum ganz großen Durchbruch werden – spätes-tens wenn der Film zum Buch in die Kinos kommt: Die Oscarpreisträger Joel und Ethan Coen (No Country for Old Men) haben angekündigt, dass sie Die Vereinigung jiddischer Polizisten verfilmen wollen.

michael chabon: die vereinigung jiddischer polizisten
Übersetzt von Andrea Fischer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 422 S., 19,95 €

Hamburg

Zehn Monate auf Bewährung nach mutmaßlich antisemitischem Angriff

Die 27-Jährige hatte ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach einer Vorlesung über antijüdische Gewalt attackiert

 28.04.2025

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025