Studie

»Das Ausmaß hat mich schockiert«

Frau Bernstein, bislang wurden meist Nichtjuden gefragt, wenn es um Antisemitismus geht. Sie haben nun untersucht, wie Juden den Hass wahrnehmen. Ein neues Vorgehen mit neuen Ergebnissen?
Ja, das war die erste Studie in dieser Art. Die Antisemitismuskommission des Bundestags hat sie beim Institut für Konfliktforschung in Bielefeld in Auftrag gegeben. Andreas Zick hat dort mit seinem Team den quantitativen Teil gemacht, eine Umfrage unter mehr als 500 Personen. Und er hat mich und mein Team in Frankfurt gebeten, die qualitative Untersuchung zu machen: Interviews, in denen Menschen ihren eigenen Blick auf ihre Erlebnisse formulieren können.

Mit welchen Ergebnissen?

Die subjektiven Erfahrungen der Menschen sind sehr ähnlich. Juden, die wir interviewt haben, erleben fast alle Antisemitismus in Deutschland.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ohne dass wir danach gefragt haben, sagten die meisten, dass der wichtigste Ort des Antisemitismus die Schule ist: sozialer Ausschluss, Provokationen über den Nationalsozialismus, über Israel, über Themen wie Be-
schneidung. All das erlebt man hier.

Hatten Sie das erwartet?

Nein. Ich wusste von Fällen wie zuletzt dem in Berlin-Friedenau. Ich wusste, dass »Jude« auf Schulhöfen ein Schimpfwort ist, aber dieses Ausmaß hat mich schockiert.

Woran könnte das liegen?
Jeder schiebt es auf eine andere Gruppe, niemand sieht es bei sich. Die Lehrer sagen, dass es die Muslime sind. Die Linken sagen, dass es die Rechten sind.

Die Mehrheit der von Ihnen Befragten rechnet mit einer Verschlechterung. In der Mehrheitsgesellschaft heißt es aber: Wir sind erfolgreiche Geschichtsbewältiger!
Die absolute Mehrheit der Juden in Deutschland ist nicht als Juden zu erkennen. Wenn sie aber an den Hohen Feiertagen schul- oder arbeitsfrei haben wollen, stoßen sie plötzlich auf fehlende Toleranz. Oder es gibt Menschen, die ihre Jüdische Allgemeine nur in einem neutralen Umschlag erhalten wollen, weil ihr Briefkasten schon angezündet wurde. Oder, um ein scheinbar banales Beispiel zu nennen, wer sich entschieden hat, koscher zu essen, wird dieses aufdringliche »Probier doch mal! Nur einen kleinen Happen von den Shrimps!« kennen. Das ist vielleicht nett gemeint, ist aber respektlos.

Russischsprachige Zuwanderer, heißt es, klagen seltener über Antisemitismus. Erleben sie diesen tatsächlich weniger?
Sie kommen aus Gesellschaften, in denen offener Antisemitismus herrschte. Deswegen regen sie sich nicht so schnell auf – sie sind ja Schlimmeres gewöhnt. Aber wir haben Gespräche mit älteren Zuwanderern geführt, in denen das Wort »Antisemitismus« nicht vorkam: Wovon sie berichteten, waren genau die Stereotype, die andere Juden auch erleben.

Mit der Frankfurter Soziologin sprach Martin Krauß.

Kommentar

Die antisemitischen Äußerungen von Jonathan Glazer

Ein Blick zurück auf die perfiden Statements des Oscar-Preisträgers über Israel und den Krieg in Gaza

von Anna Starolselski  19.03.2024

Berlin

Merz fordert Auseinandersetzung mit politischem Islam

Hintergrund der Äußerung sind auch die israelfeindlichen Demos nach dem 7. Oktober

 19.03.2024

Neuerscheinung

Die postkoloniale Endlösung

JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel schreibt in »Deutsche Lebenslügen« über die gefährliche Allianz von linken und muslimischen Judenhassern. Ein exklusiver Buchauszug

 18.03.2024

Brandenburg

Zahl der rechten Gewalttaten gestiegen

Ein Drittel der Betroffenen sind Kinder und Jugendliche

 18.03.2024

Berlin

Zentralrat der Juden: Fehlende Förderung für Initiativen kein gutes Zeichen

Politiker beschwören den Kampf gegen Antisemitismus. Zugleich müssen viele Initiativen immer wieder neu um Gelder bangen. Was das für die Demokratie bedeutet, sagt jetzt der Präsident des Zentralrats der Juden

von Leticia Witte  18.03.2024

Frankfurt/Main

Bundesbank-Vorgängerin »willfähriger Handlanger« in NS-Zeit

Die Zentralbank Deutschlands hat ihre Geschichte untersuchen lassen

 18.03.2024

Analyse

Was macht Putin nach der Wahl?

Dass der russische Präsident im Amt bestätigt wird, gilt als sicher. Beobachter blicken mit Sorge auf die kommende Zeit

von Jim Heintz  17.03.2024

Nahost

Zweiter Israel-Besuch seit Kriegsbeginn: Scholz trifft Netanjahu

Der Bundeskanzler fordert eine Waffenruhe, um die Befreiung der Geiseln, den Stopp des Beschusses auf Israel und mehr humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Gaza zu ermöglichen

 17.03.2024 Aktualisiert

Deutschland

»Wie es weitergeht, entscheidest du«

Der dritte und letzte Kampagnen-Film von »Stop repeating Stories« erzählt von Esther - und geht erneut sehr nahe

von Sophie Albers Ben Chamo  15.03.2024