Fürstenfeldbruck

»Wir wollen nicht vergessen«

Engagement für die Opfer und Hinterbliebenen: Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin Foto: Frank Rothel

Fürstenfeldbruck

»Wir wollen nicht vergessen«

Landrat Thomas Karmasin über bestehende und neue Gedenkorte zum Attentat 1972

von Miryam Gümbel  01.09.2022 00:04 Uhr

Herr Landrat, Sie gelten als einer der besonders engagierten Politiker, wenn es um das tragische Ende des Olympia-Attentats von 1972 geht. Was sind die Gründe für dieses besondere Engagement?
Es gibt mehrere Gründe für mich. Der wichtigste ist: Wir können und wollen die jungen Menschen, die bei uns ihr Leben verloren haben, nicht vergessen. Warum wir als Landkreis? Nun, die Ereignisse um das Olympia-Attentat sind auch ein Teil der Geschichte der hiesigen Bevölkerung; viele haben sie quasi hautnah miterlebt, in ihrer Stadt. Der Name »Fürstenfeldbruck« wurde weltweit bekannt und verbunden mit den Ereignissen auf dem Fliegerhorst. Schließlich sind die Olympiade und das Attentat auch Teil meiner ganz persönlichen Geschichte, das mag auch eine Rolle gespielt haben.

Als der Überfall auf die israelische Sportlermannschaft geschah, waren Sie knapp zehn Jahre alt. Wie haben Sie die Tage erlebt?
Es waren Spiele, die quasi über Nacht München und die Region modern und farbig gemacht haben. Die alten grauen Züge waren durch die S-Bahn ersetzt, das Olympia-Gelände mit der berühmten Architektur und den neuen Farben war faszinierend, die Stimmung war euphorisch. Und dann die Morde, begangen durch Verbrecher – der Begriff »Terrorist« wurde erst später in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen. Die Hubschrauber, die die Geiseln nach Fürstenfeldbruck gebracht haben, sind über unser Haus geflogen. Meine Mutter hat die Zimmer verdunkelt, als ob wieder Krieg wäre.

Haben Ihre Lehrer dazu Stellung genommen? Was wurde in der Schule gesprochen, war das ein Thema?
Nein, jedenfalls bei uns in der Unterstufe nicht.

In Ihrer Amtszeit als Landrat haben Sie sich für einen Gedenkort – außerhalb des militärischen Bereichs – eingesetzt. Was ist heute daraus geworden?
1999 wurde die Gedenkstätte des Künstlers Hannes L. Götz vor dem Haupttor des Fliegerhorstes eingeweiht. Seither findet jedes Jahr an dieser Gedenkstätte eine Gedenkveranstaltung für die Opfer, die Hinterbliebenen und die Überlebenden des Attentats statt.

Zum runden Gedenktag vor zehn Jahren haben Sie eine zentrale Gedenkfeier ausgerichtet. Was ist für dieses Jahr vorgesehen?
Dieses Jahr wird wieder eine große Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Fliegerhorstes stattfinden. Ausrichter sind diesmal die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern und der Landkreis Fürstenfeldbruck.

Beim Gedenken stehen Sie in engem Kontakt mit der IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch …
Ja, das stimmt, dafür bin ich sehr dankbar. Frau Knobloch ist zum jährlichen Gedenken immer vor Ort; sie ist auch Mitglied unseres »Forums«, das sich aus Vertretern der Kommunalpolitik, der IKG, des Generalkonsulats, des Freistaats und der Verwaltung zusammensetzt und sich mit der Frage eines Erinnerungsorts befasst.

2012 waren auch die Angehörigen der israelischen Opfer anwesend. Glauben Sie, dass der aktuelle Konflikt noch beigelegt werden kann?
Die Frage zielt auf das Verhältnis zwischen den Angehörigen und der Bundesrepublik Deutschland. Ich möchte dazu nicht viel mehr sagen als: Die Hoffnung auf eine Einigung sollte man nie aufgeben. Das gemeinsame Gedenken ist aus meiner Sicht eine unpolitische Angelegenheit, die man nicht mit Streitigkeiten um finanzielle Leistungen verknüpfen sollte, aber wir halten uns aus dieser Frage völlig raus.

Die Verbitterung der Angehörigen wirkt bis heute nach. Wie kann man dies im Gedenken würdig aufnehmen?
Ich erwähnte bereits, dass und warum mir das Gedenken an das Olympia-Attentat so wichtig ist. Ich hatte 2012 den Eindruck, dass die Angehörigen und Überlebenden das Engagement in Fürstenfeldbruck schätzen – und die Teilnahme von IKG und Generalkonsulat an unseren Veranstaltungen und Vorhaben bestätigen dies aus meiner Sicht. Ich finde es richtig, dass sich insbesondere auch die wissenschaftliche Forschung intensiv mit den Ereignissen von damals beschäftigt und auch vor schwierigen Fragen nicht haltmacht.

Haben Sie persönlichen Kontakt mit der einen oder anderen Familie der ermordeten Sportler?
Ich hatte wichtige Begegnungen 2012, dauerhaften Kontakt habe ich nur zur Familie des deutschen Polizisten.

Sobald die Bundeswehr endgültig abgezogen ist, wollen Sie auf dem Gelände eine Gedenkstätte für die Opfer errichten. Gibt es hier schon konkrete Planungen?
So weit ist man noch nicht. Für 2026 ist derzeit der Abzug der Bundeswehr geplant. Die Fertigstellung einer Gedenkstätte zu diesem Termin ist – jedenfalls vom Landkreis Fürstenfeldbruck – nicht in Planung. Es ist auch noch nicht geklärt, wer Träger einer solchen Gedenkstätte sein könnte. 2012 hat der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer den Angehörigen einen Erinnerungsort in München mit einer »zweiten Koordinate« in Fürstenfeldbruck versprochen. Es gibt schon seit längerer Zeit verschiedene Gedanken, Überlegungen und Ideen von unterschiedlichen Interessierten, Institutionen und Vereinigungen, wie der authentische Ort nach dem Abzug der Bundeswehr genutzt werden kann und soll. Die Konversion des Teils des Fliegerhorstgeländes, zu dem der Alte Tower gehört, obliegt der Großen Kreisstadt Fürstenfeldbruck, die Grenze zur Gemeinde Maisach verläuft genau dort. Der Alte Tower sowie das ehemalige Rollfeld sind noch im Besitz der Bundeswehr. Der Kreistag Fürstenfeldbruck hat gerade beschlossen, an die Bundesrepublik einen Appell zu richten, beides in ihrem Eigentum zu belassen und für einen Gedenkort zur Verfügung zu stellen.

Inzwischen gibt es eine virtuelle Gedenkstätte – mit Bildern und Informationen zum Attentat. Wie soll diese genutzt werden?
Der digitale Erinnerungsort zum Olympia-Attentat 1972, der ab dem 5. September online sein wird, stellt die Inhalte für eine große und heterogene Zielgruppe mittels einer ausführlichen Website und einer App dar. Ziel ist, eine zeitgemäße Form der Vermittlung zu nutzen und damit der Erinnerung an die Geschehnisse und dem Gedenken an die Opfer langfristig und über die Landesgrenzen hinaus Raum zu geben. Der digitale Erinnerungsort richtet sich an Schulen, Vereine und Interessierte. Außerdem zählen Museen, Universitäten und außerschulische Bildungsorganisationen zu den Kooperationspartnern für die Bildungsarbeit. Hauptaugenmerk liegt auf der Zielgruppe der Jugendlichen. In den Schulfächern Politik und Geschichte finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte zu den mit dem Attentat verbundenen Themen, außerdem können Schüler und Schülerinnen zeit- und ortsunabhängig mit den Texten, Bildern und Videos der Website und der App arbeiten.

Ratsversammlung

»Die Gemeinden sind das Rückgrat der jüdischen Gemeinschaft«

In Frankfurt kamen 90 Delegierte aus den Landesverbänden zusammen, um aktuelle Anliegen und Sorgen zu besprechen. Gastredner war Kulturstaatsminister Wolfram Weimer

von Katrin Richter  03.12.2025

Jewish Quiz

»Fast wie bei den Samstagabend-Shows«

Am Wochenende raten in Frankfurt über 500 Jugendliche um die Wette. Dabei geht es um mehr als bloße Wissensabfrage, betonen die Organisatoren der Veranstaltung

von Helmut Kuhn  03.12.2025

Berlin

Ein Nachmittag voller Licht

Mitzwa Express lädt zum traditionellen Chanukka-Basar in die Synagoge Pestalozzistraße ein

 03.12.2025

Chemnitz

Sachsen feiert »Jahr der jüdischen Kultur«

Ein ganzes Jahr lang soll in Sachsen jüdische Geschichte und Kultur präsentiert werden. Eigens für die Eröffnung des Themenjahres wurde im Erzgebirge ein Chanukka-Leuchter gefertigt

 03.12.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 4. Dezember bis zum 10. Dezember

 03.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Trauer

Mit gebrochenem Herzen

Die Israelitische Kultusgemeinde nahm Abschied von Rebbetzin Shoshana Brodman sel. A., die Anfang November nach langer Krankheit starb

von Esther Martel  02.12.2025

Kulturtage

»Weitermachen ist die einzige Chance«

»Jüdisches Leben in Deutschland – Heute und Morgen«: Ein Podium stellte die Frage nach gesellschaftlichen Dynamiken und Konsequenzen nach dem 7. Oktober

von Esther Martel  02.12.2025

Planegg

Historische Sensation

Eine Ausstellung erzählt vom Schicksal Jakob Hirschs, der 1818 als erster Jude in Bayern geadelt wurde

von Ellen Presser  02.12.2025