Engagement

Wir sind bereit

Die überwältigende Mehrheit der jungen jüdischen Erwachsenen versteht sich als dezidiert politisch. Foto: Getty Images/iStockphoto

Wir leben in einer Epoche der Krisen: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Klimawandel sowie der Höhenflug der AfD. In einer solchen Zeit scheint eine apolitische Haltung ein Luxus zu sein, den sich viele Menschen allein schon aufgrund ihrer eigenen Lebensgeschichte nicht leisten können. Das gilt vor allem für junge Jüdinnen und Juden hier in Deutschland.

Unter meinen jüdischen Freunden und Bekannten registriere ich deshalb das starke Bedürfnis, Deutschland aktiv mitzugestalten. Die überwältigende Mehrheit von ihnen versteht sich als dezidiert politisch und verortet sich innerhalb des demokratischen Spektrums. Und es ist kein neues Phänomen.

interesse Schon seit Jahren wächst das Interesse dieser jungen jüdischen Generation an Politik und Gesellschaft kontinuierlich. Während früher in vielen Gemeinden wohl die Auffassung vorherrschte, dass ihre jungen Mitglieder eigentlich nur an Partys und Schabbat-Dinnern Interesse hätten, so hat sich dieses Bild stark verändert.

Spätestens seit Gründung der JSUD 2016 schießen überall in Deutschland neue Gruppen aus dem Boden.

Denn spätestens seit Gründung der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) 2016 schießen überall in Deutschland neue Gruppen aus dem Boden. Und mit ihnen auch Orte des gemeinsamen Austauschs und Engagements.

Zwar steht die politische Arbeit nicht bei allen Verbänden an erster Stelle, aber allein durch ihre Existenz bringen sie den Diskurs über das heutige jüdische Leben in Deutschland voran. Alle, die sich jede Woche zusammenfinden und neue Programme ausarbeiten, haben mindestens zwei Sachen gemein: Sie sind jüdisch und machen das ehrenamtlich.

machanot Genau das wird innerhalb der jüdischen Gemeinschaft traditionell sehr großgeschrieben. Bereits die Machanot der verschiedenen jüdischen Organisationen ruhen maßgeblich auf den Schultern der Madrichim, die den Stab dann an ihre früheren Chanichim weiterreichen. Von Generation zu Generation haben sie so Anteil am Erhalt des jüdischen Lebens in Deutschland.

Da sehr viele jüdische Jugendliche die verschiedenen Freizeitangebote der Jugendorganisationen in Anspruch nehmen, lernen sie schon von klein auf, was es wirklich bedeutet, sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Etwas nicht nur für sich zu tun, ist Teil der jüdischen DNA in diesem Land. So ebnet die jüdische Jugendarbeit indirekt auch den Weg in den politischen Aktivismus oder die Bereitschaft junger Jüdinnen und Juden, sich in Parteien oder Organisationen zu engagieren. Denn auch hier wird ein wesentlicher Teil der Arbeit ehrenamtlich in der Freizeit geleistet.

Etwas nicht nur für sich zu tun, ist Teil der jüdischen DNA in diesem Land.

Entgegen den Erwartungen der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft engagieren sich junge Juden nicht wegen, sondern trotz des Antisemitismus politisch. Denn selbst im Jahr 2023 gibt es keine antisemitismusfreien Räume, was die politische Arbeit einer jungen jüdischen Generation immer wieder erschwert. Nichtsdestoweniger ist der Antisemitismus oftmals nicht der eigentliche Grund, warum eine Person sich politisch engagiert.

tätigkeitsfelder Die Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland hat eine sowjetische Familiengeschichte. 90 Prozent von ihnen sind russischsprachig, 45 Prozent stammen aus der Ukraine. Allein daraus leitet sich eine Vielzahl politischer und ehrenamtlicher Tätigkeitsfelder ab – sei es der Kampf für die Verbesserung der Integrationspolitik, die Forderung nach mehr Bildung oder seit Februar 2022 die Unterstützung der Ukraine.

Auch bei der Hilfe für ukrainische Geflüchtete waren viele junge Jüdinnen und Juden beteiligt, die beispielsweise in Ankunftszentren beim Übersetzen geholfen, sich an Demonstrationen beteiligt oder Spendenaktionen organisiert haben.

Auch bei der Hilfe für ukrainische Geflüchtete waren viele junge Jüdinnen und Juden beteiligt.

Die Klimakrise ist ebenfalls ein wichtiges politisches Betätigungsfeld für junge Gemeindemitglieder. Häufig wird in diesem Kontext von »Tikkun Olam« gesprochen, einem zentralen jüdischen Prinzip, was so viel wie »Reparieren der Welt« heißt. Diese ethische Haltung ist mitverantwortlich dafür, dass sich viele junge Jüdinnen und Juden im Klima- und Umweltschutz engagieren.

partizipation Die Formen der Partizipation und die Palette der politischen Themen spiegeln die Vielfältigkeit der jüdischen Gemeinschaft wider, was angesichts des virulenten Antisemitismus nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden sollte. Genau deshalb ist es so ermutigend zu sehen, dass sich deutschlandweit junge Jüdinnen und Juden zusammenfinden, ihre Stimme erheben und gemeinsam mit anderen marginalisierten Gruppen auf die Straße gehen und ihre Solidarität zeigen.

Das geschieht aus unterschiedlichsten Motivationen heraus und ohne, dass man sie alle in eine Schublade stecken könnte. Sie alle mögen konservativ oder links sein, sie können gendern oder das generische Maskulin benutzen. Aber eines hat oftmals zu ihrer Entscheidung, sich zu engagieren, beigetragen, und das war die jüdische Sozialisation. Junge Jüdinnen und Juden wollen diese Gesellschaft nach ihren Vorstellungen verbessern und mitgestalten. Als Juden, aber auch als Bürger dieses Landes.

Der Autor ist Publizist und Mitverfasser des jüngst im Verlag Hentrich & Hentrich erschienenen Buches »Wir lassen uns nicht unterkriegen«.

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025

Chanukkia

Kleine Leuchter, große Wirkung

Von der Skizze bis zur Versteigerung – die Gemeinde Kahal Adass Jisroel und die Kunstschule Berlin stellen eine gemeinnützige Aktion auf die Beine. Ein Werkstattbesuch

von Christine Schmitt  12.12.2025

Porträt der Woche

Endlich angekommen

Katharina Gerhardt ist Schauspielerin und fand durch ihren Sohn zum Judentum

von Gerhard Haase-Hindenberg  12.12.2025

Würzburg

Josef Schuster: Hoffnung und Zivilcourage in schwierigen Zeiten

In einem Zeitungsbeitrag verbindet der Präsident des Zentralrates Chanukka mit aktuellen Herausforderungen

 12.12.2025

Berlin

Erstmals Chanukka-Feier im Bundestag

Zur Feier werden unter anderem der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein und Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann erwartet

 11.12.2025

Block-Prozess

Mutmaßlicher Entführer-Chef: Aussage gegen sicheres Geleit

Hat Christina Block den Auftrag erteilt, ihre Kinder aus Dänemark zu entführen? Der mutmaßliche Chef der Entführer äußert sich dazu als Zeuge vor Gericht

 11.12.2025

Wie jüdische Kinder Chanukka erleben

»Ich freu’ mich auf die Makkabäer«

Lichter, Dinos, Schokostreusel – was unsere Jüngsten in diesen Tagen am meisten mögen

von Christine Schmitt  11.12.2025

Sachsen

Mit Tiefgang und Pfiff

Am Sonntag wird in Chemnitz das »Jahr der jüdischen Kultur 2026« eröffnet

von Helmut Kuhn  11.12.2025