Gilad Schalit

»Wir haben für ihn gebetet«

Endlich frei: Israels Premier Benjamin Netanjahu (l.) nimmt Gilad Schalit in Empfang. Foto: Flash 90

Henryks Wunsch zur Barmizwa war klar: die Freilassung von Gilad Schalit. Spontan sei dieser Entschluss gekommen, sagt sein Vater, Nathan Gelbart, und vor allem: von seinem Sohn selbst. Und so wurde der junge israelische Soldat in seine Gebete aufgenommen. »Henryk kannte das zum Beispiel auch schon vom Gebet am Schabbat in der Synagoge, wo Rabbiner Yehuda Teichtal den Wunsch nach Freiheit für Gilad Schalit und Ron Arad nie vergessen hat«, erzählt Vater Gelbart.

Und natürlich habe man auch zu Hause über das Schicksal des Gefangenen diskutiert und sich Gedanken über seine Lebensumstände gemacht: »Darf er mal ins Internet oder fernsehen? Kann er ungestört und unbewacht duschen und auf die Toilette? Spucken seine Entführer ihm ins Essen? Hat er ein Bett oder nur eine Pritsche?«

Familie Wie Henryk ging es in den vergangenen fünf Jahren wohl vielen, vor allem jüdischen Kindern: Immer wieder dachten sie an den jungen Israeli, der ganz allein und ohne Kontakt zu seiner Familie irgendwo gefangen gehalten wurde. Und auch an jüdischen Schulen war der verschleppte israelische Soldat Thema. An der Berliner Heinz-Galinski-Schule gibt es wohl kein Kind, das den Namen von Gilad Schalit nicht kennt. »Wir haben ihn in den letzten Jahren immer wieder erwähnt, zum Beispiel in den Judaistik-Stunden, aber auch zu den Feiertagen, wenn wir über bestimmte Werte wie Freiheit sprechen«, erklärt Rektorin Noga Hartmann.

Dank moderner Technik konnten die Schüler auch etwas mehr über die Person Schalit erfahren. »Er ist ja ein künstlerischer Typ, mit elf schrieb er beispielsweise eine Geschichte über Fische, die einfach nur friedlich zusammen spielen wollen. Diese Story war später von jemandem zu einem YouTube-Video gemacht worden.« Der kurze Film wurde im Unterricht gezeigt und anschließend diskutiert. »Gilad war ja damals ungefähr so alt, wie die Schüler heute.«

Briefe Ihre guten Wünsche für den Gefangenen fassten die Kinder außerdem in Briefen an ihn zusammen, die 2010 zu einem kleinen Buch verarbeitet und über Udi Lehavi von Keren Hayesod den Eltern von Schalit in Israel übergeben wurden. »Vielleicht liest er sie ja später einmal in einer ruhigen Minute«, hofft Hartmann. »Auf eine Antwort zu warten, wäre jedoch vermessen.«

2009 hatte man bereits Briefe an Schalit verschickt, in der Hoffnung darauf, dass sich das Rote Kreuz darum bemühen werde, sie weiterzugeben, »denn schließlich hat jeder Gefangene unter anderem ein Recht darauf, Post zu erhalten«. Der heute 26-Jährige hat diese Wünsche allerdings nie erhalten. »Wo sie gelandet sind, weiß ich nicht!«, konstatiert die Schulleiterin lakonisch.

Würde sie denn Schalit eines Tages gern als Gast an der Schule begrüßen wollen? Die Antwort kommt schnell und klingt entschieden: »Er soll erst einmal wieder ins Leben zurückkommen, die Freilassung ist nur der erste Schritt.« Und sie setzt hinzu: »Der arme Junge. Ihm fehlen fünfeinhalb Jahre, zuallererst wird er seine Ruhe brauchen.« Sie werde daher auch nicht versuchen, mit ihm in Kontakt zu kommen, sagt die gebürtige Israelin: »Er ist ein Mensch und kein Spielzeug, auch wenn sich alle nun über seine Freilassung freuen, Respekt muss sein. Wenn er in ein paar Jahren öffentlich über die Zeit seiner Gefangenschaft sprechen möchte, dann würde ich das natürlich gern hören.«

»Fünfeinhalb Jahre«, sagt Liat Golan von der Hamburger Joseph-Carlebach-Schule im Grindelhof, »fünfeinhalb Jahre, das muss man sich einmal vorstellen: Gilad Schalit hat länger in Gefangenschaft gesessen, als unsere Schule, die 2007 gegründet wurde, besteht.« Die Freilassung sei bei den Kindern Thema gewesen, obwohl durch Feiertage und Herbstferien die gesamte Entwicklung bis hin zum aktuellen Austausch kaum im Unterricht diskutiert werden konnte. »Aber wir haben ja zuvor immer wieder über ihn gesprochen und auch dafür gebetet, dass er endlich wieder nach Hause kommt.«

Wochenabschnitt »Gilad Schalit war bei uns vor allem im Hebräisch- und im Religionsunterricht präsent«, berichtet Marcus Schroll, der an der Münchner Sinai-Schule die Leitung für die jüdischen Fächer innehat. »Der aktuelle Wochenabschnitt, Parascha Noach, handelt beispielsweise vom Mitleid mit der Schöpfung und der Verantwortung für die Mitmenschen«, erklärt der Pädagoge das Konzept, wie auf Basis der jüdischen Ethik aktuelle Ereignisse in den Klassen besprochen werden.

Zum Abschlussfest Schemini Azeret habe man nun in der Sukka gesessen und sich »besonders darüber gefreut, dass Schalit endlich frei ist«. Dabei seien allerdings bei den Kindern auch Ängste aufgetaucht. »Dass 1.027 Terroristen wieder die Möglichkeit haben, Anschläge zu verüben, beschäftigt natürlich sehr.«

An der Düsseldorfer Yitzhak-Rabin-Schule waren noch Herbstferien, als Schalit freigelassen wurde. Ob seine Heimkehr im Unterricht thematisiert werde, könne sie spontan nicht sagen, erklärt Schulleiterin Natascha Dörner. »Situativ greifen wir jedoch durchaus auch Themen auf, die im Lehrplan nicht vorgesehen sind, wenn man merkt, dass ein aktuelles Ereignis die Kinder sehr beschäftigt.«

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