Debatte

Wie hältst du’s mit der Religion?

Welche Herausforderungen gibt es heute bei der religiösen Erziehung? Dieser Frage ging am Montagabend die Podiumsdiskussion »Religiöser Humanismus – Religiöse Erziehung« nach.

Die Veranstaltung, die im Rahmen der Konferenz »Ernst Akiba Simon (1899–1988): Life, Work and Controversies between Germany and Israel« in der W.M.-Blumenthal-Akademie stattfand, war mit dem katholischen Religionspädagogen Jan Woppowa, der evangelischen Religionspädagogin Ingrid Wiedenroth-Gabler, dem jüdischen Sozialpädagogen Doron Kiesel und der muslimischen Theologin Annett Abdel-Rahman wissenschaftlich fundiert besetzt.

Grundgesetz Schnell waren sich die Wissenschaftler einig: Zwischen religiöser Erziehung und religiöser Bildung müsse unterschieden werden. Schließlich sei letztere auch Bestandteil allgemeiner Bildung. Die Moderatorin Anja Siegemund, seit 2015 Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, spitzte mit der Frage zu, ob eine solche Werterziehung nicht in einem überkonfessionellen religionswissenschaftlichen Fach besser zu leisten sei. Zunächst verwies Ingrid Wiedenroth-Gabler auf den Verfassungsrang des Religionsunterrichts, wie er im Grundgesetz-Artikel 7 Absatz 3 beschrieben, wenngleich nicht in allen Bundesländern entsprechend realisiert sei.

Tatsächlich spräche einiges für einen Raum, in dem Homogenität herrsche, also für eine religiöse Autonomie. Schließlich sollten Kinder die Religion aus einer Binnenperspektive sehen lernen. Auch wenn Wiedenroth-Gabler den Begriff der »Identitätsfindung« gar nicht verwendete, betonte Jan Woppowa, dass dies aus katholischer Sicht nicht beabsichtigt sei.

Religion solle vielmehr dabei helfen, die Schüler quasi alltagstauglich zu machen. Dies aber sei tatsächlich nur aus einer Innenperspektive heraus möglich. Überspitzt könne man sagen: Ein Religionslehrer habe selbst dann einen guten Job gemacht, wenn etwa ein Abiturient wohlbegründet seine Abkehr von der Religion erklären würde.

Organspende Dies aus dem Mund eines katholischen Pädagogen zu hören, war sicher eine Überraschung. Auch Annett Abdel-Rahman stimmte ihm – auf Nachfrage der Moderatorin – in diesem Punkt zu. Sie erläuterte dies am Beispiel der Organspende. Hier sei es Aufgabe des Religionslehrers, die Schüler in die Lage zu versetzen, selbst Antworten zu finden. Sie hätten ein Recht auf Orientierung, und die Religion habe sie dazu zu befähigen. Allerdings gestand sie auch ein: »Wir Muslime sind da noch nicht so gut.«

Doron Kiesel glaubte, eine Tendenz zur Schönfärberei zu erkennen, doch es blieb offen, ob damit die gesellschaftliche Diskussion im Lande oder auch speziell an diesem Abend gemeint war. Auch wenn es derzeit nicht realistisch sei, solle die Vision eines überkonfessionellen Schulfachs, das etwa »Zukunft« heißen könnte, nicht vorschnell verworfen werden. Gleichzeitig warnte Kiesel aber vor zu großem Optimismus, denn Interkulturalität könne schließlich auch scheitern. Die Einwanderungsgesellschaft entwickle eine Dynamik von Teilgruppen, sagte er und stellte die Frage: »Warum werden viele muslimische Einwanderer überhaupt hier erst religiös?«

In Bezug auf das Judentum stellte Kiesel fest, dass Religion in der Tat identitätsstiftend sei. Selbst die Mehrheit der säkularen Juden kenne die Bedeutung von Religion als Selbstkonzept jüdischer Identität.

Ein großes Thema, für das zwei Stunden sehr knapp bemessen waren. Irene Aue-Ben-David, Direktorin des Jerusalemer Leo-Baeck-Instituts, das den Abend gemeinsam mit dem Selma-Stern-Zentrum für Jüdische Studien in Berlin-Brandenburg veranstaltete, räumte ein: »Es wurde zu kurz angesprochen, dass jede Religion ja auch noch eine innere Vielfalt hat. Schon da ist es oft schwierig, sich darauf zu verständigen, wie man gemeinsam die Kinder erziehen will.«

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025

Freiwilligendienst

Helfen und lernen

Vier Israelis erzählen, warum sie ehrenamtlich in Deutschland arbeiten

von Christine Schmitt  06.07.2025

Porträt der Woche

Die Welt verbessern

Noam Quensel möchte sich engagieren und das Judentum nach außen tragen

von Eugen El  06.07.2025

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  06.07.2025 Aktualisiert

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert