Das Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main ist gewappnet. Wenn das Coronavirus noch einmal einen Ausbruch in dem Pflegeheim verursachen sollte und deshalb so viel Personal ausfallen würde, dass möglicherweise die Versorgung der Bewohner gefährdet wäre, würde ein Notfallplan in Kraft treten, um die Pflege und Betreuung sicherzustellen: So werden in diesen Tagen bereits Angehörige angefragt, ob sie im Notfall einspringen könnten und leichte Tätigkeiten übernehmen würden.
Das Hessische Gesundheitsministerium hat diesen Plan B eingefordert. Alle Pflegeheime werden in diesen Tagen aufgefordert, sich nun schon um eine Alternative zu kümmern, falls der sogenannte Worst Case eintreten sollte. »Es ist jetzt an uns allen, Vorkehrungen für die ersten Monate 2022 zu treffen«, heißt es in dem Schreiben des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU).
Von den jüdischen Pflegeheimen aus anderen Bundesländern ist nicht bekannt, dass sie ebenfalls einen Notfallplan erstellen sollen.
Notfallmedizin Leo Latasch kennt sich mit Notfallplänen bestens aus, denn das gehört zu seinem Beruf als Notfallmediziner, in dem er immer noch tätig ist. Ferner berät der Arzt in seiner Tätigkeit als Dezernent auch das Altenzentrum, ist Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Vorstandsmitglied der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) und Mitglied im hessischen Integrationsbeirat.
Bundeswehrsoldaten anzufordern, kommt aus mehreren Gründen nicht infrage.
Schon in normalen Zeiten kann es vorkommen, dass festangestellte Pflegefachkräfte ihren Dienst nicht antreten können, wenn sie krank werden oder sich Urlaub genommen haben. In so einem Fall wird kurzfristig bei einer Zeitarbeitsfirma ausgebildeter Ersatz angefordert. »Nun hatten wir diskutiert, was wir machen können«, so Leo Latasch. Zeitarbeitsfirmen seien gerade überlastet.
Bundeswehrsoldaten anzufordern, komme aus mehreren Gründen nicht infrage, denn viele helfen bereits in den Gesundheitsämtern aus. Erschwerend komme noch hinzu, dass die Soldaten, wenn sie im Einsatz sind, ihre Uniformen tragen müssen. »Und das ist bei unseren Bewohnern nicht möglich. Wir können hier kein Militär reinschicken.«
Fachkräfte Die freiwillig helfenden Angehörigen könnten beispielsweise das Essen mit austeilen oder beim Waschen der Bewohner helfen. Ausgabe von Medikamenten sei jedoch nicht erlaubt, dies bleibe Fachkräften vorbehalten.
»Als ich das Formular erhielt, auf dem man ankreuzen kann, ob und was für Tätigkeiten man übernehmen möchte, habe ich sofort reagiert«, sagt Pearl Hahn, deren Vater in dem Altenzentrum lebt. Drei Tage in der Woche würde sie sich Zeit nehmen, einzuspringen. »Wir befinden uns gerade in einer Notsituation, da sollten wir alle sehr solidarisch sein.« Sie würde ihren Vater betreuen, aber auch gerne andere Bewohner. »Es sind doch unsere Leute, warum also nicht?« Die Mitarbeiter des Heimes hätten in letzter Zeit viel geleistet, und es sei »unglaublich«, wie gut die Einrichtung gemanagt werde.
Was ihr hingegen nicht zusagt, ist die systemische Frage. »Seit ewigen Zeiten reden wir über Pflegenotstand in Krankenhäusern und Heimen, aber da scheint sich gar nichts zu ändern.«
»Eigentlich glaube ich nicht, dass dieser Fall überhaupt eintreten wird«, sagt Latasch über den Plan B. Aber es sei eben wichtig, vorbereitet zu sein und sich vorher schon überlegt zu haben, wie solche Situationen gemanagt werden können.
Delta Das Altenheim war im November von der Delta-Variante überrollt worden, die schließlich dazu führte, dass sich 76 Bewohner und 38 Mitarbeiter – die meisten waren doppelt geimpft – infiziert hatten. Einige Bewohner starben im Zusammenhang mit der Virusinfektion. »Wir sind alle noch in tiefer Trauer und spüren den Verlust der Menschen, die jetzt nicht mehr bei uns sind«, heißt es auf der Homepage.
Von allen Infizierten blieben 65 vollkommen symptomfrei. Im Dezember erhielt das Altenzentrum vom Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt die Bestätigung, dass die Corona-Infektion im Jüdischen Altenzentrum überwunden sei.
Seitdem möchte die Einrichtung zu einer immer noch von der Pandemie beeinflussten Normalität zurückkehren. So konnten die Wohnküchen in den Wohnbereichen wieder geöffnet werden, endlich konnten die Bewohner dort wieder ihre Mahlzeiten einnehmen und mussten nicht im Zimmer bleiben.
Omikron »Wir können uns auch wieder in Gemeinschaft treffen«, steht auf der Homepage. Doch nun rast die Omikron-Variante durch Deutschland, in Berlin gibt es Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr, weil Personal erkrankt ist, in Schulen fehlen etliche Schüler und Lehrer, ebenso in Kitas Erzieher.
Drei Tage in der Woche würde sich Pearl Hahn Zeit nehmen, um einzuspringen.
180 Bewohner leben derzeit in dem Zentrum, sagt Leo Latasch. Der Jüngste ist 29 Jahre alt, der Älteste 102. In der Einrichtung gibt es ein Haus für die Pflege und Betreuung von Überlebenden der Schoa und Betreuung von Menschen mit posttraumatischen Störungen, Pflege und Betreuung von alten Migranten und Umsetzung von kultursensibler Pflege, Pflege und Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen unter besonderer Beachtung der kulturellen Differenzierungen.
Dazu kommt noch ein Wohnhaus für jüngere Menschen mit Behinderung. »Tiberias« bietet für 21 jüngere Menschen mit Einschränkungen und Pflegegrad einen Wohnort, an dem sie im jüdischen Umfeld ein Zuhause finden, das ihnen auf »ihre persönliche Lage abgestimmt Pflege und soziale Betreuung« biete, so die Homepage. Ein besonderer Schwerpunkt werde auf die soziale Betreuung und die Verbesserung der Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung gelegt.