8. März

Weiblich, jüdisch, engagiert

»Heraus mit dem Frauenwahlrecht«: Das Plakat – entworfen von Karl Maria Stadler – rief zu Protesten am 8. März 1914 auf. Foto: dpa

Die Sozialistin Clara Zetkin rief vor mehr als einem Jahrhundert Frauen in Deutschland, Dänemark, Österreich-Ungarn und der Schweiz auf, für ihr Wahlrecht zu kämpfen. Das war der Startschuss für den internationalen Frauentag, der in diesem Jahr am 8. März zum 100sten Mal begangen wird. Später gingen Frauen für kürzere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn, niedrigere Lebensmittelpreise, eine regelmäßige Schulspeisung und legalen Schwangerschaftsabbruch auf die Straße. Heute sind Frauen zwar gleichberechtigt, doch weiterhin sind sie in Führungspositionen großer Konzerne nur selten anzutreffen. In der jüdischen Gemeinschaft sind sie hingegen recht gut vertreten. 45 von 108 Zentralratsgemeinden werden von Frauen geführt, drei von neun Präsidiumsmitgliedern sind weiblich. Im Direktorium des Zentralrats sind sie allerdings etwas unterrepräsentiert. Unter den 37 Repräsentanten gibt es nur vier Gemeindevertreterinnen. Wie Frauen in den Gemeinden ihren Mann stehen, zeigen folgende Porträts:

rabbinerin Alina Treiger
Den Trubel um ihre Person mag sie gar nicht. »Ich bin nichts Besonderes«, sagt Alina Treiger und verweist darauf, dass außer ihr in Deutschland noch drei Rabbinerinnen amtieren. Trotzdem hat die freie Enzyklopädie Wikipedia ihr bereits einen Eintrag gewidmet. Seit November 2010 ist die erste in Deutschland nach der Schoa ordinierte Rabbinerin offiziell in den Gemeinden Oldenburg und Delmenhorst angestellt und betreut rund 500 Gemeindemitgliederund deren Angehörige.

Wenn sie überhaupt dazu kommt, denn noch immer gibt es Anfragen für Interviews und Vorträge. »Doch ich habe schon etwas reduziert«, sagt sie in ihrer leisen zurückhaltenden Art. Gerade ist sie von der Sonntagsschule nach Hause gekommen. »Etwa zehn Kinder waren da, das ist fürs erste Mal sehr gut«, freut sie sich. Denn sie will sich viel mehr der alltäglichen Arbeit widmen, statt die Medien zu bedienen und wundert sich, dass der Hype auch nach Monaten noch anhält.

»Den Menschen zuhören, ihnen die Zeit widmen, Jugendarbeit machen.« Wie wichtig die ist, weiß sie noch aus ihren Berufsanfängen. Euphorisiert durch eine Reise nach Israel baute sie Ende der 90er-Jahre die jüdische Gemeinde in ihrer ukrainischen Heimatstadt Poltawa auf. Sie war so engagiert, dass man sie bald fragte, ob sie nicht eine Ausbildung als Rabbinerin machen wolle. »Es war sehr ideologisch geprägt, man brauchte junge Rabbiner«, erzählt sie. Aus dieser Zeit kennt sie auch den orthodoxen Rabbiner Avraham Radbil, der heute in Köln tätig ist. Ihr Verhältnis zu den jungen orthodoxen Kollegen ist entspannt. »Sie begegnen mir freundlich«, erklärt die junge Frau, die just am 8. März 32 Jahre alt wird.

2002 kam sie nach Deutschland. Eher zufällig. »Wir wussten nicht, wie alles aussehen wird. Wir wollten nur Rabbiner werden, wo, war zweitrangig«, sagt sie, wie es ihr und ihren Mitstudenten ergangen ist. Dass es Deutschland wurde, erschwerte die Sache etwas, weil sie die Sprache erst erlernen musste. So dauerte alles etwas länger für die junge ehrgeizige Studentin.

Inzwischen hat sie einen deutschen Kollegen geheiratet und sich in Oldenburg niedergelassen. Doch ihr Heimatgefühl will sie nicht geografisch verorten. Sie hat in der Ukraine, in Russland und in Israel gelebt. »Heimweh ist nicht gut, deswegen nehme ich mein Zuhause immer mit mir«, sagt sie. Sie habe gelernt, »dass es von mir abhängt, ob ich mich wohlfühle und dass ich Menschen an mich herankommen lassen muss.«

Aus der Zeit ihres Praktikums kennt sie Rabbinerin Irith Shilor in Hameln. Auch zu der Berliner Kollegin Gesa Ederberg, die im Abraham-Geiger-Kolleg unterrichtete, gibt es Kontakt. »Menschlich verstehen wir uns recht gut«, doch die Zusammenarbeit sei sicherlich noch ausbaufähig, ist die 31-Jährige überzeugt, »aber unbedingt erstrebenswert«.

Diana Sandler
Diana Sandler sprudelt vor Energie. In Brandenburg und in der jüdischen Gemeinde Landkreis Barnim ist sie die Frau für alles: Integrations- und Diskriminierungsbeauftragte sowie sozialpädagogische Fachkraft. Die Gemeinde zählt 150 Mitglieder, weitere 250 Juden aus dem Landkreis kommen hinzu.

Ihre Kraft bezieht die 43-Jährige aus »meinem Talent zu organisieren«, und dem Judentum, in dem sie tief verwurzelt ist. Qualität geht ihr über alles und gerade dort, wo sie am meisten gebraucht wird: im Sozialbereich. Nicht umsonst ist Diana Sandler auch die Vertreterin aller Immigranten im Land Brandenburg, »nicht nur der jüdischen«, wie sie betont. Auf das, was sie für ihre Gemeinde geschafft hat, ist sie nicht ohne Grund stolz. »Meine Lehrer hier in Deutschland haben viel in mich investiert. Das gebe ich jetzt zurück und setze es ein«, sagt die Mutter von drei jugendlichen Söhnen.

1995 kam die damals 27-Jährige nach Deutschland. Seit 1997 lebt sie in Brandenburg und half, die Gemeinde aufzubauen. Der Vorstand, und darauf legt sie ebenfalls großen Wert, ist sehr paritätisch besetzt, junge, mittelalte und zwei ältere Mitglieder bilden ihn, mit ihr sind dort drei Frauen und vier Männer vertreten. »Doktoren, gebildete Menschen und, was wichtig ist, Menschen, die engagiert sind und Arbeit übernehmen wollen.« Wohl ein Patentrezept, das die Gemeinde auch in den ungewöhnlichen Zustand versetzt, frei von jeglichem Streit, Oppositionsdenken und Ränke zu sein.

»Wir haben ein großes Potenzial«, wird Diana Sandler nicht müde zu betonen. Und das nutzt sie auch: Drei- bis viermal im Jahr organisiert die Gemeindevorsitzende Fortbildungsveranstaltungen zu Themen wie jüdische und deutsche Kultur, Senioren oder soziale Integration. »Mein Ziel ist immer etwas auf hohem Niveau anzubieten«, sagt Diana Sandler. Ihre Stärke: »menschliche Autorität. Ich werde wohl die erste weibliche jüdische Zuwanderin sein, die demnächst das Bundesverdienstkreuz bekommt«, sagt sie in ihrem schnellen Redefluss.

Diana Sandler identifiziert sich mit ihrer neuen Heimat. »Ich bin angekommen, ich bin in Deutschland zu Hause, ich liebe das Land. Meine Identität: Ich bin ein deutsche Jüdin.« Nur ihr Akzent verrät, dass sie 1969 nicht in Barnim, sondern in Dnepropetrowsk in der Ukraine geboren wurde.

Leah Floh
Leah Floh spricht viele Sprachen. Die musste sie bei ihrem wechselvollen Leben auch lernen. In einem kleinen Ort im Ural geboren, studierte sie in Russland und in Israel, jüdische Religion, Hebräisch und Englisch. 1975 lernte sie ihren Mann, einen deutschen Maschinenbauingenieur kennen, und ging mit ihm nach Israel. Als er nach Deutschland zurückkehrte, ging sie selbstverständlich mit ihm. 1988 führte sein Beruf die Familie nach Mexiko. Seit 17 Jahren ist die tatkräftige 55-Jährige jetzt in Mönchengladbach. Die älteste Tochter ist außer Haus, die jüngste gerade mit der Jewrovision in Berlin gewesen.

Ihre »Auslandserfahrungen« und die Sprachkenntnisse erleichtern Leah Floh ihre Arbeit als Gemeindevorsitzende. 750 halachisch jüdische Gemeindemitglieder hat sie in Mönchengladbach. Doch auch die rund 3.000 nichtjüdischen Familienangehörigen können am Gemeindeleben teilhaben, mit Rechten und Pflichten, außer der religiösen und dem Wahlrecht.

Gerade in der Religion hatte Leah Floh viel Nachhilfearbeit zu leisten, als sie im März 2004 die Gemeindeleitung übernahm. Inzwischen hat sie einen Bikur Cholim und eine Chewra Kadischa aufgebaut. Die Batmizwa ihrer Tochter vor zwei Jahren leitete sie selbst. Freitags trifft sich Leah Floh regelmäßig mit dem Seniorenklub. Die Themen formulieren die Teilnehmer selbst. Einmal heißt es »Wie mache ich Komplimente?«, dann gibt es mal nur einen musikalischen Abend oder es werden Wünsche für den nächsten Freitag vorgeschlagen.

Soziale Hilfestellung ist derzeit die Hauptarbeit, sagt Floh. »Unsere Gemeindemitglieder haben in den Kursen, die ihnen unsere Gemeinde anbieten konnte, gut Deutsch gelernt. Doch jetzt sind sie alt und fallen im Alter in ihre Muttersprache zurück.« Es heißt also vor allem dolmetschen bei Ärzten bei psychologischen Gesprächen, die die Holocaustüberlebenden immer häufiger benötigen.

Um den Ansprüchen zu genügen, die die Gemeindearbeit von ihr verlangt, hat Leah Floh alle nur erdenklichen Seminare und Fortbildungskurse besucht. Sie gehört zu den ersten Absolventen des Studiums der jüdischen Sozialarbeit an der Erfurter Fachhochschule. Ihre Arbeit trug den Titel: »Bedeutung der jüdischen Seniorenbegegnungszentren als Orte des Spannungsausgleichs in Migrationsprozessen«. Floh legt Wert auf die Professionalisierung in diesem Bereich und auf Teamwork. »Frauen führen eben anders«, sagt sie. »Sie zeigen mehr Empathie, sind sensibler und suchen das Gespräch. Sie sind einfach sozialer, nicht so egozentrisch wie Männer, kommunikativer und zukunftsorientiert.«

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