Köln

Vorkämpfer für den Sieg gegen Nazi-Deutschland

Hoch dekorierte Veteranen: Evgeny Karchemnik, Natali Raksina, Sinovin Goldberg, Diana Medvedeva, Alla Sidorenko und Tatiana Polotovskaya (v.l.) Foto: Jörn Neumann

»Wer der Toten nicht gedenkt, der verehrt die Lebenden nicht.« Unter diesem schlichten Satz der russischen Schriftstellerin Olga Bergholz (1910–1975) fand am Dienstag eine Konferenz zum 70. Jahrestag der Befreiung von der Leningrader Belagerung statt. »Die Blockade Leningrads ist kein Thema in Deutschland«, stellte Michael Rado vom Vorstand der Kölner Synagogen-Gemeinde treffend fest und fügte im voll besetzten Saal hinzu: »Auch für die Synagogen-Gemeinde Köln war dieses Ereignis nicht im Bewusstsein.« Bislang jedenfalls.

auswirkung Doch dies sollte sich durch die Konferenz ändern. Einerseits, weil schließlich rund 5000 Mitglieder der Synagogen-Gemeinde Köln aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammen. »Sie bringen ihre Kultur mit, die wir gerne und mit Interesse kennenlernen«, sagte Rado. »Zur mitgebrachten Kultur gehört eben auch die Erinnerungskultur.«

Das Gedenken an die mehr als zwei Jahre dauernde Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg ist ein Bestandteil dieses Gedächtnisses. Andererseits kommt dem Rückzug der deutschen Truppen in anderer Hinsicht große Bedeutung zu: »Die Einwohner von Leningrad haben mit ihrem Leiden letztlich zum Sieg der Roten Armee im Großen Vaterländischen Krieg beigetragen – und dieser Sieg hat die Juden Osteuropas und Deutschlands von der Nazi-Verfolgung befreit.«

Dies ist der entscheidende Beweggrund, warum die Gemeinde die Initiative zu dieser Konferenz von ihren Mitgliedern Evgeny Karchemnik und Elena Aizenberg aufgegriffen hatte. »Nichts und niemand ist vergessen«, lautete es in der Einladung zur Veranstaltung, die zudem vom »Bundesverband der Veteranen, Ghetto- und KZ-Gefangenen sowie der Überlebenden der Leningrader Blockade« sowie des »Vereins der Überlebenden der Leningrader Blockade in Köln« mitveranstaltet wurde. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland unterstützte die Konferenz.

Synagogenvorstand Abraham Lehrer, der ebenso wie seine Vorstandskollegin Isabella Farkas teilnahm, überbrachte die Grüße des Präsidenten Dieter Graumann. »Die Rote Armee hat Leningrad befreit und den Kampf gegen den Faschismus erfolgreich geführt«, hatte Graumann zuvor in einer Erklärung betont. »Das würdigen und schätzen wir und werden wir nie vergessen. Die Leningrader Blockade ist in den Schulbüchern heute kaum noch zu finden. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung wachzuhalten.«

Tatiana Polotovskaja, die als Kind das Massensterben und die grauenvollen Zustände in ihrer Heimatstadt miterlebt hatte, berichtete: »Die Vernichtung der Leningrader Bevölkerung durch Hunger war ein bewusst einkalkuliertes Kriegsziel«. Die Medaille, mit der sie Jahre später für ihren Durchhaltewillen geehrt wurde, hatte sie sich ans Revers geheftet. Zahlreiche weitere Veteranen waren außerdem zugegen und an ihren Orden und Verdienstmedaillen rasch als Zeitzeugen auszumachen.

Letzter Wunsch An den Tischen verfolgten die rund 150 Zuhörer die Redebeiträge aufmerksam. Zutiefst berührend war etwa die Geschichte eines damals elf Jahre alten Mädchens, von dem Evgeny Karchemnik berichtete: Sie hatte einem Toten unter schwierigsten Umständen dessen letzten Wunsch erfüllt: »Ich möchte auf einem jüdischen Friedhof beerdigt werden.«

Am Ende der Veranstaltung gab es keine Simultanübersetzung mehr. Vorstandsmitglied Rado hatte auch eingangs darauf hingewiesen, dass die Sprachbarriere mitunter das Verständnis oft erschwert. Umso ergreifender war es, als der 93 Jahre alte Veteran Grigorij Krupnik heftig gestikulierte und mit fast brechender Stimme an das Zusammenstehen und den Durchhaltewillen der damals eingeschlossenen Menschen erinnerte.

Mit einem hebräischen, russischen und deutschen Lied untermalte der Chor unter Leitung von Ekaterina Margolin musikalisch diesen Nachmittag lebendiger Erinnerung. Gemeinderabbiner Jaron Engelmayer stimmte zudem das »El male rachamim« an.

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025