Robert Capa

Von Schwarzmarkt bis Synagoge

Beter und Besucher der Synagoge Fraenkelufer wissen es: Robert Capa (1913–1954) war von August bis September 1945 in Berlin. Dass der berühmte Fotograf auf seinen rund 600 Berlin-Fotos auch das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana in der Kreuzberger Synagoge festhielt, wird nun dank einer neuen Ausstellung in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum publik.

Die 600 Berliner Fotos waren jahrzehntelang in Vergessenheit geraten. Robert Capas Bruder Cornell, der 2018 in den USA starb, hat das Robert Capa Archive des International Center of Photography in New York eingerichtet, das nun die Fotos zur Verfügung stellte. »Wobei das alles sehr kompliziert war, denn beim Archiv verstanden sie nicht, warum es ausgerechnet diese Bilder sein sollten«, sagt Chana Schütz, Kuratorin der Ausstellung.

Denn berühmt wurde Capa mit anderen Bildern wie etwa denen aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Capa war immer dort, wo die Gefechte am heftigsten tobten. Er fotografierte 1938 den chinesischen Widerstand gegen die japanischen Eroberer. Er landete 1943 mit US-Truppen auf Sizilien.

AUSWAHL Nun also ein ganz anderes Thema: die Nachkriegszeit. Es sei auch nicht leicht gewesen, eine Auswahl zu treffen. Die ausgesuchten Bilder wurden eingescannt und in ein einheitliches quadratisches Format geschnitten. Capa hatte die Momente damals mit einer Rolleiflex festgehalten. Erschwerend für die Ausstellung kam auch noch Corona dazu, und der geplante Öffnungstermin im Mai musste auf September verschoben werden.

Im Gegensatz zu den meisten Bildern wirken die Synagogen-Fotos nah und innig.

Doch seit Donnerstag vergangener Woche ist die Ausstellung feierlich eröffnet, Bilder und Infotafeln hängen an den Wänden und ziehen den Betrachter in eine andere Zeit, laden ein, das hochwertige Handwerk des Fotografen zu bewundern und die Straßen, Denkmäler, Plätze zu betrachten, die es teilweise heute nicht mehr gibt oder die jetzt ganz anders aussehen.

»Es ist das Kaleidoskop der einst weltoffenen, nun in Trümmern liegenden Metropole, aber eben auch der einstigen Schaltzentrale der Nazis«, sagt Chana Schütz. Dabei wird in der Ausstellung Capas imaginärer Weg durch Berlin nachvollzogen: von West nach Ost, vom Ku’damm zum Boulevard Unter den Linden, vom Bahnhof über den großen Stern durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz und Potsdamer Platz.

»LIFE«-MAGAZIN Im Sommer 1945 blickte Robert Capa in eine ungewisse Zukunft, so Cynthia Young, Kuratorin des New Yorker Archivs. Denn er war zurück in seiner Wahlheimat Paris, doch zum ersten Mal seit 1936 gab es keinen Krieg, über den er berichten konnte.

Von 1931 an hatte der gebürtige Ungar, der als Endre Ernö Friedmann geboren wurde, zwei Jahre in Berlin gelebt und emigrierte 1933 nach Paris.

Von 1931 an hatte der gebürtige Ungar, der als Endre Ernö Friedmann geboren wurde, zwei Jahre in Berlin gelebt und emigrierte 1933 nach Paris. Unter dem Pseudonym Robert Capa erarbeitete er sich einen Namen als Fotojournalist. 1939 war er nach New York geflohen, wo er sich erneut ein Netzwerk aufbaute. Schließlich kam er zurück nach Europa, um von dort als alliierter Pressefotograf über den Krieg zu berichten.

Nach Kriegsende 1945 übernahm er für das amerikanische »Life«-Magazin zwei kleinere Aufträge in Berlin. Das erste Thema war der Schwarzmarkt, der sich in der Nähe des Brandenburger Tors im Tiergarten abspielte, das andere die Feier des ersten Gottesdienstes zu Rosch Haschana in der Synagoge Fraenkelufer.

NEUJAHRSFEST Auf einem Foto ist auch er selbst zu sehen. Es ist das einzige, das nicht von ihm stammt. Da sitzt er in der Femina-Bar, dem heutigen Ellington Hotel, in der Nürnberger Straße und beobachtet alliierte Soldaten mit deutschen »Fräuleins«. Es ist eines der wenigen Fotos, das innen aufgenommen wurde. Ansonsten war Capa draußen unterwegs.

So hielt er Kinder fest, die vor der Kirche am Hohenzollernplatz auf einem kaputten Militärwagen herumtoben, oder Menschen, die in Zehlendorf Kartoffeln verkaufen. Ein Straßencafé am Kurfürstendamm – heute ist dort der Apple Store – hat geöffnet, während nebenan Frauen die Trümmer des Nachbarhauses wegschaffen.

Berühmt wurde Capa mit anderen Bildern wie etwa denen aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Der Fotojournalist war immer dort, wo die Gefechte am heftigsten tobten.

Auch hielt Capa eine Gruppe von So­wjetsoldaten vor der Siegessäule fest sowie das ehemals größte Kaufhaus der Welt am Alexanderplatz, »Hertie«, benannt nach seinem jüdischen Gründer Hermann Tietz. Immer wieder fängt der Fotograf auch stille Momente ein: Frauen, die inmitten von Ruinen stehen und sich in ein Buch vertiefen. »Capa war ein Bild-Journalist, kein Fotograf. Er hat sich nie als Künstler gesehen, sondern immer als Journalist«, meint Chana Schütz.

»Viele der Bilder sind aus großer Distanz aufgenommen«, sagt Anja Siegemund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum. »Sie zeigen Ruinen, gefallene Denkmäler, Menschen mit wenigen verbliebenen Habseligkeiten, die sie auf Handwagen transportieren, aber auch schon wieder solche, die im Freien in einem Café sitzen – es ist ja Sommer.«

ZUVERSICHT Hingegen seien die Fotos vom jüdischen Neujahrsfest sehr innig und strahlen ihrer Meinung nach ehrliches Interesse und Zuversicht aus. Capa verfolgte die einzelnen Abschnitte des Gottesdienstes. »Er war nie religiös und berichtete somit über ein Thema, das ihm persönlich nicht vertraut war«, sagt Anja Siegemund. Noch am selben Tag fotografierte er die erste antifaschistische Demonstration in Neukölln.

Die Ausstellung folgt Capas imaginärem Weg in Berlin von West nach Ost.
Etwa 160.000 Juden lebten in Berlin, als Capa die Stadt in den frühen 30er-Jahren kennenlernte. Im Sommer 1945 gab es nur noch einige Tausend. Sie konnten sich bei mehreren Anlaufstellen registrieren lassen, eine davon war im Gebäude neben der zerstörten Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße.

»Ihm verdanken wir die Aufnahmen von einem Rosch-Haschana-Gottesdienst in der Stadt, vier Monate nach der Befreiung.«

Anja Siegemund

»Man wünscht sich, Capa hätte mehr Fotos von Juden, jüdischen Überlebenden, jüdischen Einrichtungen und Orten gemacht. Jedoch verdanken wir ihm die Aufnahmen von einem Rosch-Haschana-Gottesdienst in der Stadt, vier Monate nach der Befreiung«, sagt die Direktorin.

BRÜDER Es waren Capas letzten Arbeiten für »Life«. In den darauffolgenden zwei Jahren zog es ihn in die USA, dann wieder nach Paris. Er veröffentlichte seine Autobiografie Slightly Out of Focus, gründete die Fotoagentur Magnum Photos. Im Alter von 40 Jahren starb er in Indochina, als er auf eine Landmine trat.

Die zwei Jungen, die er damals beim Neujahrsfest festhielt, bekamen viele Jahre später eine Identität, als sie mit dem Emigrantenprogramm des Berliner Senats in die Hauptstadt kamen und sich auf den Bildern wiedererkannten, so Chana Schütz. Es sind die Brüder Alfred (1932–2015) und Henri Taucher (geboren 1933); während der Schoa verloren sie ihre Eltern.

Henri Taucher ist übrigens, obwohl er in den USA lebt, in der Synagoge Fraenkelufer immer noch präsent. Denn die Gemeinde steht mit ihm in regem Kontakt. Vor wenigen Tagen erst hat er per Videobotschaft zum 75-jährigen Bestehen der Synagoge gratuliert.

www.centrumjudaicum.de

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