Jom Kippur

Vergeben und Vergessen

Es ist Tradition, anlässlich von Jom Kippur Unstimmigkeiten beizulegen. Foto: Thinkstock

Es tut mir leid.» Diese vier Worte wollen einem häufig nur schwer über die Lippen. Man weiß zwar, dass man etwas falsch gemacht hat, aber statt sich bei dem anderen zu entschuldigen, sucht man eher nach Argumenten, die den Fehler kleiner erscheinen lassen sollen – es war doch alles halb so schlimm. Doch die Schuldgefühle bleiben.

Der Versöhnungstag Jom Kippur wäre ein Anlass, diesen Ballast loszuwerden und reinen Tisch zu machen. Viele machen sich vor dem hohen Feiertag Gedanken darüber, bei wem eine Entschuldigung fällig wäre. «Oh, ich weiß genau, bei wem ich noch eine Rechnung offen habe», lacht Ruth Röcher, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, und fügt hinzu: «Ich hoffe, ich kann die Entschuldigung noch bis Jom Kippur erledigen.»

religionsunterricht Aussöhnung zu Jom Kippur ist auch ein Thema im Religionsunterricht, den sie in den drei jüdischen Gemeinden Sachsens erteilt. «Die Kinder wissen es alle: Zu Jom Kippur entschuldigt man sich», erklärt Röcher. Die Schüler versöhnen sich untereinander, aber auch sie bittet um Verzeihung. «Als Lehrer hat man große Verantwortung. Man kann Schüler leicht verletzen, da genügt manchmal schon ein falsches Wort.» Und natürlich erwartet Röcher auch eine Entschuldigung von den Kindern – «sonst lasse ich sie nicht aus dem Klassenzimmer», scherzt die Gemeindevorsitzende.

«Vergeben ist die Basis guten Zusammenlebens», meint Rabbiner Zsolt Balla aus Leipzig. Auch er hat eine «Liste» von Leuten, bei denen er sich zu Jom Kippur entschuldigen will. «Wir alle machen Fehler. Zwar versuche ich, das dann sofort zu thematisieren, aber es klappt nicht immer.» Doch egal wann der Versöhnungsversuch stattfindet – Hauptsache, er sei aufrichtig gemeint, so der Rabbiner.

Bronislava Litvac, Verwaltungsleiterin der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, ist ebenfalls der Ansicht, dass jeder Mensch einen Grund hat, über fällige Entschuldigungen nachzudenken – und zwar nicht nur anlässlich des Versöhnungstages. «Man sollte immer versuchen, die Dinge auch aus der Perspektive des anderen zu sehen», meint sie. Auch Heinz-Joachim Aris, Vorsitzender des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden, ist der Meinung, dass man das ganze Jahr über und nicht nur zu Jom Kippur zur Aussöhnung bereit sein sollte. Allerdings biete der Gottesdienst am Versöhnungstag reichlich Gelegenheit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

seelenfrieden Sich entschuldigen tut gut – das meinen viele, die es mit der Versöhnung ernst meinen. «Ich kann so etwas nicht lange mit mir herumtragen. Ich versuche, möglichst gleich reinen Tisch zu machen, schon für meinen eigenen Seelenfrieden», erklärt Judith Neuwald-Tasbach. Für die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen ist es darüber hinaus seit Kindertagen Tradition, anlässlich des Versöhnungsfestes Unstimmigkeiten beizulegen. «Man sollte das neue Jahr nicht mit Altlasten beginnen, die man selbst beseitigen kann», findet sie.

David Seldner, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, empfindet ähnlich: «Das Thema ist für mich äußerst wichtig als eine Art Abschluss und um mit mir ins Reine zu kommen. Indem ich Konflikte aus der Welt räume, werde ich selbst frei.» Dabei hat der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Karlsruhe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass vermeintliche Unstimmigkeiten nur von einer Seite so gesehen werden. «Da bittet mich jemand um Verzeihung für etwas, das ich nie als Problem angesehen habe oder umgekehrt: Mein Gesprächspartner weiß gar nicht, von welchem Konflikt ich spreche. Aber auch damit wird etwas Belastendes aus der Welt geräumt.»

sünden Für Rabbiner Alexander Nachama aus Dresden gehört es zur Vorbereitung auf die Hohen Feiertage, darüber nachzudenken, wem er noch eine Entschuldigung schuldet. Für ihn hat das nichts Peinliches, denn: «Das Interessante ist, dass unsere Religion gar nicht davon ausgeht, dass wir unser Leben frei von Sünden bestreiten.» Deshalb könne man sich jedes Jahr neu von seinen Sünden reinigen.

Wert habe eine Versöhnung zu Jom Kippur aber nur, wenn die Entschuldigung auch ernst gemeint sei. «Allzu häufig erlebe ich, dass Leute sich an Jom Kippur versöhnen und dann das Jahr über doch wieder streiten.» So schön eine Entschuldigung am Versöhnungstag auch sein möge, wichtiger sei das Verhalten gegenüber den Mitmenschen im Alltag. Der Tipp des Rabbiners: Streit von vorneherein vermeiden. Dann ist eine Entschuldigung gar nicht nötig.

Thüringen

Jüdisches Kulturfest will Haifa stärker einbeziehen

Beide Städte pflegen seit dem Jahr 2005 eine offizielle Städtepartnerschaft

 17.07.2025

75 Jahre Zentralrat

Zentralratspräsident: Zusammenlegung von jüdischen Gemeinden »schmerzlich«, aber denkbar

Zu wenig engagierter Nachwuchs und mögliche Zusammenschlüsse von jüdischen Gemeinden - so sieht die Lage laut Zentralrat der Juden derzeit aus. Präsident Schuster äußert sich auch zur Rabbinerausbildung in Potsdam

von Leticia Witte  17.07.2025

Stuttgart

Geige, Cello, Kickboxen

Die Musikerinnen Taisia und Elina über den Karl-Adler-Wettbewerb, Spaß und eigene Stücke

von Christine Schmitt  16.07.2025

Jiddisch

Der unerfüllte Traum

Im Rahmen der Scholem-Alejchem-Vortragsreihe sprach der Judaist Gennady Estraikh über die Geschichte von Birobidschan

von Nora Niemann  16.07.2025

München

»Unsere jüdische Bavaria«

80 Jahre Israelitische Kultusgemeinde München und 40 Jahre Präsidentschaft von Charlotte Knobloch: Am Dienstagabend wurde das Doppeljubiläum mit einem Festakt gefeiert. Für einen scharfzüngigen Höhepunkt sorgte der Publizist Michel Friedman

von Christiane Ried  16.07.2025

München

»Ich habe größten Respekt vor dieser Leistung«

Zum 40-jährigen Dienstjubiläum von Charlotte Knobloch wird sie von Zentralratspräsident Josef Schuster geehrt

 16.07.2025

Porträt der Woche

»Musik war meine Therapie«

Hagar Sharvit konnte durch Singen ihre Schüchternheit überwinden

von Alicia Rust  15.07.2025

Berlin

Gericht vertagt Verhandlung über Lahav Shapiras Klage gegen Freie Universität

Warum die Anwältin des jüdischen Studenten die Entscheidung der Richter trotzdem als großen Erfolg wertet. Die Hintergründe

 15.07.2025 Aktualisiert

Andenken

Berliner SPD: Straße oder Platz nach Margot Friedländer benennen

Margot Friedländer gehörte zu den bekanntesten Zeitzeugen der Verbrechen der Nationalsozialisten. Für ihr unermüdliches Wirken will die Berliner SPD die im Mai gestorbene Holocaust-Überlebende nun sichtbar ehren

 15.07.2025