Porträt der Woche

»Verdammt einsame Arbeit«

Moshe Kahn ist Übersetzer und wird mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet

von Jan Schapira  27.07.2015 19:55 Uhr

»Bei einem guten Roman bleiben die Charaktere und Handlungen in Erinnerung«: Moshe Kahn (73) aus Berlin Foto: Jan Shapira

Moshe Kahn ist Übersetzer und wird mit dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet

von Jan Schapira  27.07.2015 19:55 Uhr

So plötzlich im Rampenlicht zu stehen, ist furchtbar – all die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit, erst nach der Leipziger Buchmesse und dem Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis und jetzt nach dem Paul-Celan-Preis für mein Gesamtwerk als Übersetzer. Acht Jahre habe ich einsam an der Übersetzung von Horcynus Orca von Stefano D’Arrigo gearbeitet.

Nicht wenige Male habe ich mir bei all dem Rampenlicht gewünscht, ich könnte zurück in meine stille Klause. Mir ist ein solches Spektakel sehr fremd, auch wenn es nützlich ist, damit die Literatur, die mir am Herzen liegt, bekannter wird – darunter vor allem Horcynus Orca. Es ist eines der herausragenden Werke der europäischen Romanliteratur. Natürlich habe ich all die Jahre auf diese große Resonanz gehofft. Wenn der Erfolg aber dann tatsächlich eintritt, kommt er dennoch meist vollkommen unerwartet. Das Buch ist der Höhepunkt meiner Übersetzerkarriere – und ihr Abschluss.

Ich bin jetzt 73 Jahre alt. Geboren wurde ich 1942 und wuchs zunächst in Zürich auf. Später hat meine Mutter mit mir und meiner Schwester ihre Wanderung um die Welt begonnen. In Rom habe ich die Grundschule absolviert, dann lebten wir an verschiedenen Orten in den USA, um schließlich wieder in die Schweiz zurückzukehren. Im Alter von 15 Jahren habe ich mich dafür entschieden, bei einer Tante in Düsseldorf zu leben, und studierte nach dem Abitur Altorientalistik, Philosophie und Rabbinische Theologie.

Die italienische Sprache habe ich erst später wieder gelernt und mich intensiv mit ihrer Grammatik auseinandergesetzt. Durch meine Kindheit in Italien hatte ich dafür zwar eine starke Grundlage, aber als ich nach Neapel ging, um dort mein Studium fortzusetzen, hatte ich auch vieles wieder vergessen.

theater Vor meiner Tätigkeit als Übersetzer arbeitete ich unter anderem am Theater. Schon als Schüler führte ich Regie bei einer Schulinszenierung, die auch der damalige Intendant des Zürcher Theaters, Oskar Wälterlin, sah. Er war seitdem überzeugt, dass ich über große Fantasie verfüge und für das Theater wie gemacht bin. Mein geisteswissenschaftliches Studium hielt er für reine Zeitverschwendung. Auf seine Vermittlung hin arbeitete ich nach der Universität ein Jahr lang als Regieassistent an der Düsseldorfer Oper.

Im Anschluss daran plante ich, ans Theater nach Athen zu gehen. Zuvor wollte ich aber meine eigene kleine »italienische Reise« unternehmen, um dann von Süditalien mit dem Schiff überzusetzen. Während ich das Land durchquerte, putschte in Griechenland das Militär. Damit waren meine Ambitionen hinfällig. Statt nach Deutschland zurückzukehren, entschied ich mich für Italien. Ich blieb dort mehr als 30 Jahre.

In Rom arbeitete ich als Assistent und Regisseur am Theater. Ich brachte eine italienische Inszenierung der Iphigenie auf Tauris auf die Bühne und provozierte damit einen wunderbaren Skandal: Orest und Pylades ließ ich beinahe nackt auftreten, schließlich werden sie von einem stürmischen Meer an Land gespült.

An den deutschen Theatern der damaligen Zeit traten die Figuren jedoch so gestriegelt und gepflegt auf, als kämen sie gerade vom Maßschneider. Diese Darstellung empfand ich schlicht als absurd. Halb nackte Menschen auf der Bühne waren damals noch ein veritabler Skandal, zumal bei einem solch geheiligten Text wie dem von Goethe. Die deutsche Gemeinde in Rom, die zu meiner Aufführung kam, war entsetzt. Man hielt die Inszenierung für Pornografie. Das hat mir eine Menge Spaß gemacht.

gedichte Insgesamt hat mir aber das Arbeitsklima am Theater, mit all seinen Rivalitäten und Auseinandersetzungen, nicht gefallen. Ich sah für mich dort keine Zukunft und stellte zur gleichen Zeit fest, dass es noch keine Übersetzung von Paul Celan ins Italienische gab. Für mich war er damals der herausragende Dichter deutscher Sprache.

Unbedingt wollte ich, dass man Celan in Italien kennenlernte, und übersetzte gemeinsam mit meiner Freundin Marcella Bagnasco in fünf Jahren 102 Gedichte.

Es war eine bestialische Arbeit. Marcella und ich führten gegeneinander mitunter trojanische Kriege über ein einziges Komma oder Wort, um den richtigen Ausdruck zu finden. Es waren zwar produktive Streitereien, aber danach habe ich mir geschworen, nie wieder zu übersetzen. 1976 veröffentlichten wir dann die Gedichtauswahl im Mondadori-Verlag.

meisterwerke Später habe ich zahlreiche italienische Autoren ins Deutsche übertragen, darunter auch Andrea Camilleri, Pier Paolo Pasolini oder Primo Levi und zuletzt Stefano D’Arrigo mit Horcynus Orca. Es ist ein Roman über Themen wie Heimkehr, Leben, Liebe und Tod. Von seiner Struktur her, der Schilderung einzelner Episoden, erinnert das Buch in Teilen an James Joyces Ulysses und Homers Odyssee.

Was das Buch so einzigartig und zu einer solch großen Herausforderung macht, ist die sprachliche Gestaltung, das Wie des Erzählens. D’Arrigo hat mehr als 20 Jahre an diesem Werk gearbeitet und über die Jahre einen enormen sprachlichen Erfindungsreichtum entwickelt, der nachgestaltet werden musste. Zur einen Hälfte ist das Buch auf Italienisch verfasst, zur anderen besteht es aus einer Vielzahl von Mundarten und Wortschöpfungen.

Es finden sich auch zahlreiche sprachliche Einflüsse des Französischen, Normannischen, Griechischen oder Arabischen. Das alles ist miteinander verrührt, wie Zutaten in einem Teig, der einen wunderbaren Kuchen ergibt. Für jemanden, der sich intensiv mit Sprache beschäftigt, ist das natürlich ein Festmahl. Horcynus Orca ist eines der Meisterwerke der europäischen Literatur. Natürlich gibt es keine objektiven Kriterien für eine solche Festlegung. Es ist ein rein subjektives Urteil, aber eines, das von einer langjährigen Leseerfahrung herrührt.

Ein zentrales Kriterium für einen großen Roman scheint mir die durchgehende Abwesenheit von Banalitäten und Plattheiten. Die Charaktere und die Handlung müssen in Erinnerung bleiben. Man muss sich hineingezogen fühlen in die Geschichte. Ein Gegenbeispiel dazu sind etwa Rosamunde Pilcher und die Verfilmungen ihrer Romane. Es ist der Gipfel der Banalität; kaum hat man etwas gesehen, weiß man schon nicht mehr, was es war. Dieses Vergessen ist ein Zeichen dafür, dass es sich um nichts Großes handeln kann.

marrakesch Einen Großteil der Übersetzung von Horcynus Orca habe ich in Marokko angefertigt. Das hatte schlicht ökonomische Gründe. Ich wusste, dass ich bei meinem Arbeitstempo und den Zahlungen, die ich für jede Teillieferung der Übersetzung vom Verlag erhielt, in Deutschland nicht würde überleben können. Deswegen musste ich mir für dieses Buch die passenden wirtschaftlichen Bedingungen suchen.

In Marrakesch stellten mir Freunde eine Wohnung zur Verfügung. Von der Stadt selbst habe ich in meinen vier Jahren dort nur wenig kennengelernt, ich habe das Haus beinahe nur zum Einkaufen verlassen. Ab und an kamen Freunde zu Besuch, meine Nachbarn waren sehr nett, und ich habe auch einige Personen aus der jüdischen Gemeinde kennengelernt. Wo auch immer ich gelebt habe, war mir dieser Kontakt immer sehr wichtig. Denn wo feiert man die Feste schöner als bei uns Juden? Sonst war ich in Marokko die meiste Zeit über alleine. Das Übersetzen ist eine ganz verdammt einsame Arbeit.

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