Berlin-Wilmersdorf

Vehikel in die Freiheit

Akkurat stehen die goldenen Pokale gegenüber dem Schreibtisch von Gennadi Bark aufgereiht. Darüber hängen mehrere Urkunden. Auch einige Wimpel zieren die Wand. Die Auszeichnungen sind Gennadi Barks ganzer Stolz. »Diese hier habe ich nach dem Rennen in Belgien bekommen«, sagt der 54-Jährige und deutet auf einen roten Wimpel. »Rallye-Champion der Sowjetunion 1988«, steht dort in kyrillischen Buchstaben geschrieben.

Bark stammt ursprünglich aus dem ukrainischen Odessa. Seit 1991 lebt er mit seiner Familie in Berlin. Zu Sowjetzeiten war er Teil des landeseigenen Autorallyeteams und nahm an Rennen und Meisterschaften in ganz Europa teil. Sein motorisiertes Schlachtross war damals ein aufgemotzter, bunt lackierter Lada, erzählt Bark. »Der Lada war gar kein schlechtes Auto. Wenn wir damit in anderen Ländern zur Rallye angetreten sind und gut abgeschnitten haben, haben wir damit gleichzeitig auch Werbung für den sowjetischen Autobau gemacht« sagt er.

Heute fährt der Mann mit dem freundlichen Lächeln und dem gepflegten Schnauzbart einen Toyota Lexus mit Hybridantrieb. Auch seine Schüler nutzen bei ihren Lehrfahrten die umweltfreundliche Antriebstechnik. Denn seit 2016 betreibt Bark eine Fahrschule in der Mecklenburgischen Straße in Berlin-Wilmersdorf. Den Führerschein kann man bei ihm auf Deutsch und Russisch machen – sowohl in der Theorie als auch in der Praxis.

reisepass Bark selbst ist vor allem für den wöchentlichen Theorieunterricht zuständig. Manchmal sitzt er auch mit den Schülern im Auto. Meistens aber übernimmt diese Aufgabe einer seiner zwei angestellten Mitarbeiter. Als Inhaber muss sich Bark schließlich auch um den ganzen Papierkram kümmern, der bei einer gut laufenden Fahrschule nun einmal so anfällt. »Manchmal komme ich tagelang nicht von meinem Schreibtisch weg«, sagt er mit einem breiten Grinsen.

Seit Gennadi Bark denken kann, spielen Autos und Motorsport eine wichtige Rolle in seinem Leben. Nach dem Schulabschluss in Odessa besuchte er eine technisch ausgerichtete Fachhochschule in Kiew. Sein Diplom schloss er mit der Gesamtnote »Eins« und einer Auszeichnung für herausragende Leistungen ab. Danach wurde Bark Lehrer für Autotechnik in der ukrainischen Abteilung des sowjetischen Motorsportklubs.

Über den Klub kam er später ins Rallyeteam. »Als Sportler hatte ich einen speziellen Reisepass, der mir die Ausreise ins Ausland zur Teilnahme an den Autorennen ermöglichte«, erzählt Bark. So war er vor dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht nur in Belgien, sondern auch mehrmals in der DDR und anderen Ländern des Ostblocks. »Wir Sportler hatten Privilegien, die die Mehrheit der Sowjetbürger nicht hatte«, sagt er.

mazzot Das Auto war für den Fahrschullehrer nicht nur der Schlüssel zum Reisen, sondern immer auch ein Stück persönliche Freiheit – die er aus dem sowjetischen Alltag nicht kannte. »In Odessa gab es eine große jüdische Gemeinde, aber kaum jemand traute sich, sein Jüdischsein auch offen zu zeigen«, erzählt er. Seine Eltern seien zwar nicht religiös und er selbst höchstens zwei Mal in der Synagoge gewesen. Aber er könne sich noch gut daran erinnern, wie seine Großmutter die frisch gebackenen Mazzot zu Pessach heimlich unter ihrer Jacke versteckt mit nach Hause gebracht habe. »Die Nachbarn sollten nicht sehen, dass wir ein jüdisches Fest zu Hause feiern.«

In der Sowjetunion habe es aufgrund des vom Regime verordneten kommunistischen Atheismus nicht nur eine generelle Abneigung gegenüber Religion gegeben, sondern auch einen handfesten Antisemitismus, erzählt Bark. Deshalb sei er auch gleich bei der ersten Gelegenheit 1991 in die Bundesrepublik gekommen.

In Berlin lebten bereits Verwandte. Die Regelungen über die Kontingentflüchtlinge aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion machten es Bark einfach, seine Frau und seinen Sohn nachzuholen und eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erwirken. Seinen ersten Job als Mechaniker in einer Kfz-Werkstatt im Stadtteil Wedding bekam er bereits kurz nach seinem Einzug in das Flüchtlingserstaufnahmelager in Ahrensfelde. Später heuerte er als Mitarbeiter bei einem Handel für Autoersatzteile an. Dann kam auch schon seine Tochter Arianna zur Welt.

»Die Leidenschaft für Autos habe ich mit der Muttermilch aufgesogen«, sagt die 25-Jährige. Als junges Mädchen habe sie sich nicht etwa für Reiten oder Ballett, sondern für die Formel 1 interessiert. Den Führerschein hat sie schon mit 16 gemacht. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre arbeitet Arianna derzeit bei einer Firma als Personalmanagerin. »Ich wohne sehr gerne in Berlin. Hier habe ich meine Freunde und eine nette Synagogengemeinschaft«, sagt sie.

Chabad So oft es geht, besucht sie die Gottesdienste in der Synagoge von Chabad Lubawitsch, die nur einen Katzensprung von ihrer Wohnung in Charlottenburg entfernt liegt. Arianna bezeichnet sich als religiös. »Alle 613 Mizwot halte ich dann aber doch nicht ein«, sagt sie und lächelt.

Vater Gennadi ist froh, dass Arianna in Berlin alle Freiheiten hat, ihr Leben und ihre weltanschaulichen Überzeugungen selbst zu bestimmen. Auch wenn er persönlich nach wie vor nicht viel mit Religion anfangen kann und auch die Chabad-Begeisterung seiner Tochter nicht teilt, sagt er über sich: »Ich bin stolz, jüdisch zu sein.«

Kotel Mindestens einmal im Jahr reist Bark mit der ganzen Familie nach Israel, um dort Freunde und Bekannte zu besuchen. Nach der Ankunft am Ben-Gurion-Flughafen geht es zunächst nach Jerusalem und zum Besuch an der Kotel. Darauf besteht Gennadi Bark bei jeder Israelreise.

»An der Kotel fühle ich mich dem jüdischen Volk wie an keinem anderen Ort der Welt verbunden. Das ist ein ganz besonderes Gefühl für mich«, sagt er. Dieses besondere Gefühl der Verbundenheit hat sich Bark vor Kurzem auch in sein Wilmersdorfer Büro geholt. Ein kleines Stück zumindest. Hinter seinem Schreibtisch hängt ein XXL-Poster von der Klagemauer mit Blick auf den Tempelberg.

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