Am Dizengoff-Brunnen in Tel Aviv hängt ein riesiges Foto. Darauf zu sehen ist Maya Foder. Die 25-Jährige lacht in die Kamera. In ihren Armen hält sie einen Dackel. Ivo Dierbach aus Erfurt steht vor diesem Foto, er kann die Tränen nicht zurückhalten. Er weiß, dass sie auf dem Nova-Festival einfach mit all ihrer Lebenslust tanzen wollte. Sie war eine der Teilnehmerinnen, die am 7. Oktober 2023 kaltblütig von den Terroristen der Hamas ermordet wurden.
Ivo Dierbach ist nicht als Tourist in Israel. Er hat sich für den Dienst bei Sar-El gemeldet. Für einen Dienst in der israelischen Armee ohne Waffe. Diesmal für eine Woche. Doch bevor er zum Treffpunkt am Flughafen Ben Gurion kommt, fährt er mit seinem Mietwagen zum Festivalgelände, das heute ein Denkmal ist. »Auch hier stehst du einfach nur fassungslos da«, sagt er. »Ich wollte das mit eigenen Augen sehen und mich als Freiwilliger noch einmal stärken«, sagt er. Die Bilder in seinem Kopf sind die von Fremden und von Freunden. Seit 2013 kommt er immer wieder ins Land. Zwischen den beiden betroffenen Kibbuzim liegen auf einer kleinen Verkehrsinsel Schuhe von Ermordeten und Verschleppten.
Vor Jahren sieht Ivo Dierbach zufällig einen Film über Sar-El. Er ist begeistert. Wäre das etwas für ihn? Freiwillige aus aller Welt helfen für ein oder drei Wochen bei der israelischen Armee. Ohne Waffe und mit viel Elan. Beispielsweise, um Rucksäcke für Sanitäter zu packen. Oder um Lkws auszuladen. Klingt profan? Ist es nicht. Die Armee in Deutschland fand Dierbach als junger Mann so schrecklich, dass er schnell zum Zivildienst wechselte. Nun aber, es ist das Jahr 2013, will er für Israel, dieses kleine Land, vielleicht doch eine Uniform anziehen. Es nicht als Tourist erleben und auf diese Weise wirklich kennenlernen.
Er benötigte zwei Menschen, die für ihn bürgten.
Der studierte Soziologe hatte Jahre zuvor seine Masterarbeit zum Thema »PR und Konstruktion von Wirklichkeit« geschrieben. Sein Israel-Bild, das sich dank hiesiger Medien sehr kritisch gestaltet, kann nicht so recht stimmen, merkt er. Er will sich einen eigenen Eindruck verschaffen. Allzu einseitig sei die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen. Er stellt den Antrag für Sar-El. Das dauert. Dierbach benötigt zwei Menschen, die für ihn bürgen. Einer von ihnen ist Wolfgang Nossen, ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, der in Israel gelebt hat. Später gibt es ein Interview mit der Jewish Agency und schließlich 2013 den ersten Einsatz. Für ihn ist dieser »Dienst für Israel«, wie die Kurse heißen, vor allem eines: ein Symbol. Israel ist nicht allein.
Das Land hat sich verändert seit dem 7. Oktober 2023, Dierbach spürt das. »Das habe ich natürlich schon vergangenes Jahr während meines Einsatzes bemerkt«, sagt er. »Die Menschen wirken auf mich stärker geeint als vorher.« Die einen wollten eine harte Gangart, die anderen verhandeln. »Wir müssen zusammenhalten«, dies sei trotz allem der gemeinsame Nenner. Nun erlebt Ivo Dierbach seinen sechsten Einsatz. Endlich beginnt die Dienstwoche. Es ist Sonntag, gemeinsam mit 14 anderen Frauen und Männern aus den USA, Australien, Portugal und Deutschland trifft er auf dem Flughafen die Madrichot von Sar-El, die Betreuerinnen. Es sind junge Soldatinnen, die offensichtlich etwas von Pädagogik verstehen.
Erst jetzt, im Bus, erfährt Ivo Dierbach, wo er diesmal stationiert sein wird – mitten in der Negevwüste. »Mir ist das egal. Wir als internationale Gruppe leben mit den israelischen Soldatinnen und Soldaten zusammen und sorgen diesmal dafür, dass alle Lkws schnell vom Schrott befreit werden«, erzählt er. Nur noch Reste und Rückstände befinden sich in jenen Kisten, in denen Munition lag. Jetzt, nach der Rückkehr von der Front, müssen sie ausgeräumt und für die Armee neu gepackt werden. Das Packen wiederum übernehmen nicht die Freiwilligen. Das verbietet sich. Ebenso wie politische Diskussionen in der Armee.
Alle Laster müssen schnell vom Schrott befreit werden
Von seinem Einsatzort sind es nur wenige Kilometer bis Beer Sheva, der nächsten größeren Stadt, und 30 Kilometer bis nach Gaza und Ägypten. Angst? Nein, die habe er nicht. Die hatte er noch nie. Er liebt dieses Land. Und er fühlt sich – so verrückt das klingen mag – sicher. Ja, diesmal haben sie wieder eine Schutzweste – Israel ist wehrhaft. Und der Schlafsack ist auch nicht unbedingt Luxus. »Die Armee kann unterscheiden, was wichtig ist und was nur zusätzlich Geld verbrennt.«
Ivo Dierbach imponiert das. Er benötigt keinen Luxus. Er will hier, in diesem Land, einfach gebraucht werden. Dafür nimmt er einen Teil seines Jahresurlaubs und bezahlt die Flüge selbst. Schluckt in der Wüste ordentlich Staub, wenn sie die Munitionskisten abladen, und streicht sich manchmal übers Gesicht, wenn die Haut zu sehr juckt – bei teilweise 35 Grad.
Für den Einsatz bezahlt er auch seinen Flug selbst. Luxus braucht er nicht.
Jeden Abend gibt es für die Freiwilligen sogenannte Aktivitäten. Das ist eine Art Weiterbildung. Ivo Dierbach wusste vor seinen Einsätzen in Israel nicht, dass es in der Armee auch eine muslimische Eliteeinheit und einen arabischen General gibt. Das hat er nirgendwo gelesen.
»Ich erlebe immer wieder, dass die Soldatinnen und Soldaten dankbar dafür sind, dass wir sie unterstützen.« Wie wichtig diese Freiwilligen tatsächlich sind, wurde während der Corona-Zeit deutlich. Da fehlten sie der Armee sehr. Weiterbildung heißt auch, etwas über das Wassermanagement im Land zu erfahren, über wichtige Erfindungen und die Bedeutung der Drusen. Oder zu erleben, wie ein Soldat mitten in der Wüste am Abend tanzt. Lebensweisheit live.
Manche schütteln den Kopf. Viel zu gefährlich
Auch für Ivo Dierbach gibt es die Zeit vor und nach dem 7. Oktober. Das Hamas-Verbrechen lasse sich nur mit Antisemitismus erklären. Und auch all das, was danach folgte und folgt. Der wachsende Antisemitismus überall. Die unfaire Berichterstattung. »Du fährst nach Israel?«, wird er gefragt. Manche schütteln den Kopf. Viel zu gefährlich.
Bevor Ivo Dierbach nach dem letzten Einsatz wieder nach Hause fuhr, war er bei Beni und seiner Familie zu Pessach eingeladen. Beni und er kennen sich gut. Beni lebt wie er in Erfurt und ist nur über die Feiertage in Israel.
»Nächstes Jahr bin ich wieder hier, das ist mein Stinkefinger als säkularer Zionist«, sagt Dierbach. Auch, wenn er kurz Gänsehaut bekommen hatte, als in Tel Aviv Raketenalarm dröhnte. Die Israelis stellten sich in die Hauseingänge. Manche suchten Schutz in öffentlichen Bereichen. Die sind bei Google gut einsehbar. Business as usual.