Medien

»Unsere Zukunft in die Hand nehmen«

Ein Gespräch mit Jenny Havemann, Organisatorin des zweitägigen »Media Tel Aviv – Israeli-European Summit« in Berlin

von Katrin Richter  06.09.2024 10:01 Uhr

Jenny Havemann organisiert das Medientreffen in Berlin. Foto: Chris Hartung

Ein Gespräch mit Jenny Havemann, Organisatorin des zweitägigen »Media Tel Aviv – Israeli-European Summit« in Berlin

von Katrin Richter  06.09.2024 10:01 Uhr

Frau Havemann, nach einem Jahr online und einem Jahr in Israel findet der »Media Tel Aviv – Israeli-European Summit« nun in Berlin statt. Warum haben Sie sich für diese Stadt entschieden?
Eigentlich wollten wir den Summit auch jetzt in Tel Aviv abhalten. Dann aber kam der 7. Oktober 2023 und der Krieg, und nach mehrmaligem Verschieben wollten wir nach Berlin. Es hatte teils auch praktische Gründe, denn nicht jeder kann einfach so für zwei Tage nach Israel kommen. Wir haben zudem gemerkt, dass diese Verbindung zwischen den Städten sowohl im Politischen als auch im Medienbereich wichtig ist.

Das Motto des Summit lautet »7. October 2023 – What does this day mean for Israel’s future?«. Wenn wir das aufgreifen: Welche Bedeutung kommt diesem Tag zu?
Es war ein absoluter Bruch. Wobei dieser Bruch bereits einige Zeit vorher angefangen hatte. Es gab Demokratieproteste, bei denen ich auch regelmäßig selbst mit dabei war. Damals stellten sich viele Fragen wie: Was ist eigentlich unsere Zukunft? Wie wollen wir als Gesellschaft, als Land eigentlich weiterleben? Seit dem 7. Oktober beschäftigten die Gesellschaft, die Wirtschaft und auch die Politik diese Fragen noch viel stärker. Ich merke das bei den Familien der Geiseln, bei Menschen, die sich auch für Evakuierte, für Betroffene, für Soldaten einsetzen. Alle möglichen Gruppen, die irgendwie vom 7. Oktober betroffen sind, engagieren sich unheimlich stark. Dieses Gefühl, dass wir die Zukunft unseres Landes in die Hand nehmen und sie selbst gestalten müssen, das ist absolut präsent.

Das haben wir am vergangenen Montag beim Generalstreik gesehen.
Es ging ja schon Sonntagabend los. Ich war bei uns in Ra’anana dabei. Nach der Nachricht von der Ermordung der sechs Geiseln war die Stimmung sehr bedrückt. Es war ein furchtbar schwerer Tag für das Land. So depressiv habe ich, glaube ich, die Menschen selten erlebt wie am Sonntag und am Montag.

Wie unterscheiden sich die medialen Reaktionen auf den 7. Oktober in Israel und in Europa?
Ich kann jetzt eher über die deutsche Berichterstattung sprechen, nicht so viel über die britische oder französische zum Beispiel. Ich habe das Gefühl, auf der einen Seite gibt es viele Fortschritte; einige Journalistinnen und Journalisten haben verstanden, was da eigentlich in Israel los ist und wie das Land mit dem seit Jahrzehnten anhaltenden Terror und mit den Kriegen umgeht. Allerdings gab es auch wirklich sehr negative Beispiele. Die Medienlandschaft ist ja auch irgendwie ein wenig ein Spiegelbild der Gesellschaft. Journalistinnen und Journalisten sind Teil der Gesellschaft, sie sind nicht abgekoppelt. Seit dem 7. Oktober hat man tatsächlich gemerkt, dass die Gesellschaft – und ich glaube, das gilt weltweit, aber vor allem für die europäische Gesellschaft – bei Fragen zu Israel und zu Antisemitismus noch weiter in die Extreme gegangen ist.

Können Sie das näher erklären?
Man hat gemerkt, dass sich Menschen und Medien, die schon rechts waren, aber sich vielleicht gerade noch so im demokratischen Spektrum bewegt haben, plötzlich daraus entfernten. Genauso auch auf der linken Seite. Es gab teilweise Berichte, die so antisemitisch geframet waren, dass ich mich selbst frage, wie das überhaupt möglich ist. Ich bin keine Journalistin, ich bin Bloggerin, und ich betone das bewusst. Denn im Journalismus gibt es bestimmte Prinzipien, bestimmte Regeln, die man einhalten muss. Ich frage mich ernsthaft, wie es sein kann, dass so viele Journalistinnen und Journalisten diese Regeln nicht einhalten. Berichte sind doch keine Meinung, sie sollen zeigen, was ist. Wo ist also das Problem?

Wie hat sich die Berichterstattung innerhalb der israelischen Medienlandschaft seit dem 7. Oktober geändert?
Das Thema war mir besonders wichtig. Seit dem 7. Oktober haben wir immer wieder gesehen, wie israelische Journalistinnen und Journalisten wirklich in Tränen ausgebrochen sind und nicht mehr sprechen konnten, weil es jeden Einzelnen von uns in Israel in irgendeiner Art und Weise betroffen hat – familiär oder im Freundeskreis. Deshalb möchten wir in einem Panel der Frage nachgehen, wie man journalistisch damit umgeht, wenn man mitten in so einer Tragödie ist. Wie kann man dann noch professionell berichten? Was mir aufgefallen ist: Journalistinnen und Journalisten in Israel sind lauter geworden, was Politisches anbelangt. Lucy Aharish zum Beispiel hat in einem ihrer Berichte ganz zu Beginn eine Ansprache auf Englisch gehalten und gesagt: »Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt, das geht so nicht. Ihr müsst einfach ordentlich berichten. Ihr müsst verstehen, was hier passiert und was für eine Tragödie uns widerfahren ist.« Nachdem die sechs getöteten Geiseln gefunden wurden, sagte sie: »Das hätten auch eure Kinder sein können, die dort erschossen wurden.« Sie hat zum Beispiel auch zu Protesten aufgerufen. Das wäre wahrscheinlich vor dem 7. Oktober so nicht denkbar gewesen.

Was können sich deutsche Journalistinnen und Journalisten von ihren israelischen Kollegen abschauen?
Das kommt ganz auf die Medien an. Wie in Deutschland gibt es auch in Israel sehr problematische Publikationen oder Medienformate, die, wie ich finde, keine Berichterstattung leisten, sondern eher Propaganda betreiben. Es gibt aber auch viele sehr gute und professionelle Medien. Vielleicht kann man Objektivität nie zu 100 Prozent haben, aber man kann erklären. Es gibt manchmal in den deutschen Medien diesen Unterton, man betrachtet in einem Bericht, auch wenn dieser sich vielleicht nicht für diese Perspektive der »beiden Seiten« anbietet, beide Seiten. Anstelle sich auf die Nachricht zu fokussieren und zu sagen: Das und das ist passiert.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Man muss unbedingt erwähnen: »Ja, und in Gaza?« Dann sage ich: Schreib doch separat über Gaza und schreib separat über Geiseln, über Kibbuzim. Natürlich ist das thematisch manchmal verbunden, das bestreitet auch niemand, aber man sollte nicht versuchen, das Leid irgendwie »aufzuwiegen«. In Israel wird das weniger miteinander verwoben. Wenn über Gaza gesprochen wird, dann wird über Gaza gesprochen. Wenn über die Krise in der Regierung oder über Geiseln gesprochen wird, dann darüber.

Mit der Unternehmerin sprach Katrin Richter. Der »Media Tel Aviv – Israeli-European Summit« findet am 8. und 9. September in Berlin statt. Organisiert wird er seit 2000 von der Journalistin Susanne Glass und der Bloggerin Jenny Havemann.

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