Emsland

Trauer um Erna de Vries

Erna de Vries sel. A. (1923–2021) Foto: Till Schmidt

Emsland

Trauer um Erna de Vries

Die Zeitzeugin, die Auschwitz und Ravensbrück überlebte, starb am Sonntag – wenige Tage nach ihrem 98. Geburtstag

von Martina Schwager  25.10.2021 13:21 Uhr

Wenn die Holocaust-Überlebende Erna de Vries vor ihre meist jugendlichen Zuhörer trat, verstummte schnell jegliches Gemurmel. Die zierliche Frau, elegant gekleidet, die schlohweißen Haare hochgesteckt, blickte stets freundlich ins Publikum. Dann kam sie oft ohne Umschweife zur Sache. »Die letzten Worte meiner Mutter waren: Du wirst überleben und erzählen, was man mit uns gemacht hat.« Jetzt ist Erna de Vries drei Tage nach ihrem 98. Geburtstag in ihrem Haus in Lathen im Emsland gestorben.

Erna de Vries war Jüdin. Sie hatte die systematische Verfolgung und Ermordung von Juden durch die Nationalsozialisten überlebt: Rassengesetze, Pogromnacht, Verhaftung, Deportation, die Lager Auschwitz und Ravensbrück. Mehr als 20 Jahre hat sie unermüdlich davon erzählt. Sie hat es als eine Art Verpflichtung empfunden.

SCHLAGANFALL »Wir haben an ihrem Geburtstag mit meiner Schwester und meinem Bruder bei ihr gesessen«, erzählt ihre Tochter Ruth de Vries. »Sie hat viele Blumen bekommen und noch einige Besucher begrüßt.« Vor einem Jahr habe ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten und seitdem überwiegend im Bett gelegen.

Im Februar 2020, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, habe sie zum letzten Mal vor Schülern von ihrem Leben und Überleben während der NS-Zeit berichtet. Seit 1998 hat Erna de Vries hunderte Vorträge gehalten - vor allem vor Jugendlichen, aber auch vor interessierten Erwachsenen.

Erna de Vries, mit Mädchennamen Erna Korn, wurde als Tochter einer jüdischen Mutter und eines protestantischen Vaters in Kaiserslautern geboren. Ihr Vater starb früh. Im Juli 1943 deportierten die Nazis Erna Korn und ihre Mutter nach Auschwitz. »Ich wusste, was das bedeutete«, sagte Erna de Vries später. Hunger, desolate hygienische Zustände, Ungeziefer und Demütigungen, Schläge und schwere Arbeit machten ihr zu schaffen. Sie wurde krank und als arbeitsunfähig aussortiert.

RETTUNG Im Todesblock 25 war ihr Schicksal eigentlich schon besiegelt. In letzter Sekunde, bevor sie auf einen Lkw in Richtung Gaskammer verladen werden sollte, rettete sie ein Eintrag auf einer Karteikarte. Ein Aufseher hatte den Hinweis entdeckt, dass sie »Halbjüdin« war. »Göttliche Fügung«, urteilte sie selbst. Sie durfte umkehren, kam ins Lager nach Ravensbrück in Brandenburg, aus dem sie 1945 die Amerikaner befreiten: »Ich bin beschenkt mit 70 Lebensjahren über den Tag hinaus, an dem mein Todesurteil schon gesprochen war«, sagte Erna de Vries kurz vor ihrem 90. Geburtstag.

Im Jahr 1947 heiratete sie den Juden Josef de Vries (1908-1981), der ebenfalls den Holocaust überlebt hatte, zog mit ihm in seinen Heimatort Lathen und bekam drei Kinder. »Meine Mutter war eine starke, disziplinierte Frau mit klaren Vorstellungen«, sagt Ruth de Vries. Über den Holocaust zu erzählen und aufzuklären, sei ihr ein großes Anliegen gewesen: »Das war ihre Mission.«   

Zugleich habe sie den jungen Menschen immer vermittelt, dass sie keine Schuld trügen. »Aber sie hat ihnen deutlich gemacht, dass sie mit verantwortlich sind für das, was in der Zukunft geschieht«, sagt Ruth de Vries. Ihre Mutter sei zugleich eine sehr lebensfrohe, humorvolle und gastfreundliche Frau gewesen. Hass sei ihr fremd, betonte Erna de Vries selbst einmal vor Jugendlichen: »Hass zerfrisst nur die, die ihn hegen.«

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Beschuldigter bittet um Entschuldigung

Am 5. April 2024 war ein Brandsatz gegen die massive Tür des jüdischen Gebetshauses in der Leo-Trepp-Straße geworfen worden

 11.06.2025

Erinnerung

731 Schulen erinnern an Anne Frank

Der Aktionstag findet seit 2017 jährlich am 12. Juni, dem Geburtstag des Holocaust-Opfers Anne Frank (1929-1945), statt

 11.06.2025

Grand Schabbaton

Eine 260-köpfige Familie

In Potsdam brachte der»Bund traditioneller Juden« mehrere Generationen zusammen

von Mascha Malburg  11.06.2025

Meinung

Jewrovision: einfach jung und jüdisch sein

Junge Jüdinnen und Juden sind alltäglich Anfeindungen ausgesetzt. Für sie ist die Jewrovision ein Safe Space

von Katrin Richter  11.06.2025

Jewrovision

Party der Herzen

1300 Jugendliche kamen in Dortmund zum größten Gesangs- und Tanzwettbewerb für jüdische Kinder und Teenager zusammen. In angespannten Zeiten lebten sie das Motto »United in Hearts«

von Katrin Richter  11.06.2025