Pogromnacht

Tiefer Schmerz

Die Alte Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße wurde im Juni 1938 als eines der ersten jüdischen Bethäuser in Deutschland von den Nazis zerstört. Foto: Stadtarchiv München

Einen Hinweis darauf, welche Bedeutung der bevorstehende 9. November als Tag der Erinnerung für München hat, liefert das Programmheft, das die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern dazu angefertigt hat.

Elf klein bedruckte Seiten waren nötig, um die vielen Veranstaltungen aufzulisten, die den Tag begleiten sollten. Diesem Gedenken an einen der schrecklichsten Tage in der Geschichte der Juden hat das Coronavirus einen Strich durch die Rechnung gemacht. Alle Veranstaltungen wurden pandemiebedingt abgesagt.

zeitzeugin »Ohne jegliches Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens wird dieser Tag trotzdem nicht vorübergehen«, betont IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. Als Zeitzeugin, die an der Hand ihres Vaters die Pogromnacht am 9. November 1938 erleben musste, war sie intensiv in das Programm eingebunden, das nun in der geplanten Form nicht umgesetzt werden kann.

Bereits vor Ankündigung des gesellschaftlichen Lockdowns über den gesamten November hinweg hatte die Stadt München auf die rasch steigenden Corona-Zahlen reagiert.

Für die zentrale Gedenkfeier im Alten Rathaus wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen und die Teilnehmerzahl auf das Allernotwendigste reduziert. Selbst auf die musikalische Umrahmung sollte coronabedingt verzichtet werden, um das Ansteckungsrisiko so klein wie möglich zu halten.

reden Auch wenn letzte Details noch geklärt werden müssen, findet das Gedenken an den 9. November 1938 auf jeden Fall im Online-Format statt. Auf der Internetseite www.gedenken9nov38.de/live können die Reden von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, Oberbürgermeister Dieter Reiter, Historiker Andreas Heusler vom Stadtarchiv und Psychiater Michael von Cranach von der Gedenkinitiative für die »Euthanasie«-Opfer mitverfolgt werden.

Charlotte Knobloch erlebte die Pogromnacht an der Seite ihres Vaters mit.

Einen kompletten Ausfall des Programms will weder die IKG-Präsidentin als Repräsentantin der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands riskieren noch Dieter Reiter, der der Oberbürgermeister einer Kommune ist, die einst als »Hauptstadt der Bewegung« galt. Dazu hat der Tag eine viel zu große Bedeutung.

Im Mittelpunkt steht dabei der tiefe Schmerz, der die jüdische Gemeinschaft nie völlig losgelassen hat. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch genügt zur Beschreibung nur ein einziger Satz, der die Dimension der Geschehnisse rund um den 9. November verdeutlicht. Auch im Alten Rathaus, wo NS-Propagandaminister Joseph Goeb­bels mit einer Hetzrede die sogenannte Reichskristallnacht auslöste, hat ihn Charlotte Knobloch schon verwendet: »An diesem Tag wurde für die Juden das Tor zur Hölle aufgestoßen.«

Dabei geht es nicht nur um die Ereignisse dieser schicksalhaften, 82 Jahre zurückliegenden Nacht, in der in ganz Deutschland die Synagogen brannten. Oberbürgermeister Dieter Reiter macht die Notwendigkeit des Gedenkens am 9. November auch an anderen Punkten fest. Der stark ausgeprägte Antisemitismus und die politischen Entwicklungen, die überhaupt zu einem derartigen Ausbruch von Hass und Gewalt führen konnten, sind für ihn entscheidende Parameter. Darauf hat er bereits mehrfach in verschiedenen Zusammenhängen hingewiesen.

gesellschaft Es ist im Übrigen nicht die politische Entwicklung von damals, die IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch Sorgen bereitet. Sie beunruhigen vielmehr die Ähnlichkeiten zu den aktuell zunehmenden antisemitischen Strömungen bis in die Mitte der Gesellschaft, das Erstarken rechter Parteien wie der AfD, die gestiegene Zahl von Gewalttaten gegenüber Juden sowie offen transportierter Hass. »Daran zeigt sich, warum die Erinnerung so wichtig ist«, betont Knob­loch.

»An diesem Tag wurde für die Juden das Tor zur Hölle aufgestoßen.«

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch

Die Erinnerung aufrechtzuerhalten und den Opfern einen Namen zu geben, ist auch Sinn der alljährlichen Lesung am Gedenkstein der ehemaligen Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße. Prominente Münchner stellen sich dafür regelmäßig zur Verfügung – so auch in diesem Jahr. Dieses Engagement kann in der geplanten Form jedoch nicht umgesetzt werden.

podcast Ganz ausfallen muss die Veranstaltung aber nicht. Die Kulturabteilung produziert dazu einen Podcast, der auf www.gedenken9nov38.de/live zu sehen und auf der Internetseite der Stadt München sowie ab dem 10. November auch in der Mediathek der IKG abrufbar sein wird.

Die (reduzierte) Namenslesung per Internet erinnert an die 191 Juden, die in bayerischen Heil- und Pflegeanstalten und Behinderteneinrichtungen untergebracht waren, am 20. September 1940 über die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar in die Tötungsanstalt Hartheim in Österreich deportiert und nach ihrer Ankunft ermordet wurden.

Sibylle von Tiedemann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der IKG-Kulturabteilung, hat sich intensiv mit dieser Thematik beschäftigt und war in die Vorbereitungen der Namenslesung entscheidend eingebunden.

Mehr Informationen zu den Veranstaltungen fnden Sie hier.

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